Kohleverstromung verringert sich stetig

Bundestag will am Freitag den Ausstieg bis Ende 2038 beschließen - der Markt ist schneller

  • Jörg Staude
  • Lesedauer: 4 Min.

Zwölf Jahre ist her, da hielt Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Ruhrgebietsstadt Hamm anlässlich der Grundsteinlegung für zwei 800-Megawatt-Steinkohleblöcke eine Rede mit einer klaren Botschaft: Die Ablehnung neuer Kraftwerksbauten sei »umwelt- und klimapolitisch kontraproduktiv«, denn sonst komme es zu einer Verknappung beim Strom, weshalb Altanlagen »länger am Netz bleiben müssten, als es im Sinne einer vernünftigen Klimapolitik zu verantworten wäre«. Damals erfüllte Deutschland,- vor allem wegen der Abwicklung der Ost-Industrie,- locker seine Klimaziele. Ein Kohleausstieg schien undenkbar.

Das Argument, dass es gut fürs Klima sei, wenn neue wirkungsvollere Kohlekraftwerke alte Anlagen ersetzen, wird trotz der jetzigen Ausstiegspläne weitergepflegt. Damit begründete der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet, warum es gut sei, wenn noch im Jahr 2020 mit Datteln 4 ein weiteres großes Kohlekraftwerk neu ans Netz geht. Denn damit würden CO2-Emissionen reduziert, weil weniger effiziente Kraftwerke abgeschaltet werden könnten.

Der Ausstieg

Das »Gesetz zur Reduzierung und zur Beendigung der Kohleverstromung« regelt die schrittweise Verringerung der Kohleverstromung, die bis spätestens Ende 2038 vollständig beendet werden soll. Es gibt Zwischenschritte: Demnach wird der Anteil der Kohlverstromung durch Steinkohle- sowie Braunkohlekraftwerke von aktuell 22,7 bzw. 19,9 Gigawatt Leistung bis Ende 2022 auf jeweils rund 15 Gigawatt reduziert. 2030 sollen es dann noch 8 bzw. 9 Gigawatt sein.

Braunkohlekraftwerke werden über vertragliche Vereinbarungen mit den Betreibern stillgelegt. Über den Ausstiegspfad und die Höhe der jeweiligen Entschädigungen gibt es spezielle Einigungen mit den einzelnen betroffenen Ländern. Im Rahmen eines Vertrages oder einer Verordnung soll unter anderem ein Klageverzicht der Betreiber vereinbart werden - beim Atomausstieg konnten die Kraftwerksbetreiber seinerzeit milliardenschwere Entschädigungen vor Gericht erklagen.

Steinkohlekraftwerke sollen im Zeitraum bis 2026 über Ausschreibungsverfahren stillgelegt werden, wofür die jeweiligen Betreiber finanziell kompensiert werden. Als Anreiz für frühzeitige Stilllegungen werden die jeweiligen Höchstpreise degressiv ausgestaltet. Für die Stilllegungen, die ab 2027 bis zum Abschlussdatum vorzunehmen sind, soll es keine finanzielle Entschädigung geben.

Beschäftigte, die mindestens 58 Jahre alt sind und durch den Kohleausstieg ihren Arbeitsplatz in einem Kraftwerk oder Tagebau verlieren, können ein Anpassungsgeld erhalten. Dieses wird als Überbrückungshilfe maximal fünf Jahre bis zum Eintritt in die Rente gezahlt. Möglicherweise drohende Rentenabschläge werden ausgeglichen. nd

Klimapolitisch ist das Nonsens. Der Uniper-Konzern, dem Datteln 4 gehört, will die Anlage bis 2034 laufen lassen. Wenn Deutschland seine Pflichten aus dem Pariser Klimaabkommen einhalten will, müsste hierzulande spätestens 2030 Schluss sein mit der gesamten Verstromung von Stein- und Braunkohle. Laut dem Ausstiegsgesetz, das am Freitag von Bundestag und Bundesrat beschlossen werden soll, liegt der Stichtag erst Ende 2038. Lediglich ein Vorziehen auf 2035 bleibt dabei möglich.

Angesichts des umfassenden Lobbyismus, den die Kohle in Deutschland nach wie vor genießt, ist es ein historischer Tag, wenn das Parlament das Zeitalter der Kohle in der deutschen Stromversorgung für beendet erklärt. Dennoch: Der Ausstieg kommt zu spät, er ist zu zaghaft und zu teuer. Die Fehler, die zu diesem Ergebnis führten, seien aber viel früher gemacht worden, meint die Berliner Energieökonomin Claudia Kemfert. So sei es falsch gewesen, dass Deutschland vor 20 Jahren trotz des Einstiegs in die Förderung der erneuerbaren Energien weiter munter Kohleanlagen baute. »Schon damals war bekannt, dass wir aussteigen müssen. Getan wurde leider das Gegenteil«, kritisiert Kemfert.

Paula blockiert die SPD - Protest gegen Kohleausstiegsgesetz 2038

Allein von 2013 bis 2015 wurden in Deutschland neue Steinkohleblöcke mit zusammen fast 6000 Megawatt in Betrieb genommen - unter anderem in Mannheim, Karlsruhe, Lünen, Hamburg und Wilhelmshaven. Dies ist gut ein Drittel der heutigen Kapazität. Vor allem diese, in der Branche als »junge Steinkohle« titulierten Anlagen hielten zuletzt die Einigung in der Koalition über das Ausstiegsgesetz auf. Zu groß war der Druck der Eigner die meckerten, diese Anlagen würden nicht einmal mehr ihre Investitionen einspielen. Allein der Bau der beiden Blöcke in Hamm kostete zwischen zwei und drei Milliarden Euro - und dann soll nach wenigen Jahren Betrieb Schluss sein? Auch dieses Problem soll mit Geld gelöst werden. Laut der Einigung in letzter Minute gibt es bis zu 1,6 Milliarden Euro zusätzlich, wenn die Betreiber ihre Anlagen bis 2027 freiwillig vom Netz nehmen.

2015 war der erste Vorstoß des damaligen Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel (SPD) zum Kohleausstieg von der vereinigten Kohlelobby von Union, Gewerkschaften, Teilen der SPD und den Kohle-Bundesländern vereitelt worden. Erst 2017 wendete sich das Blatt, nicht nur politisch. Laut einer aktuellen Analyse des Ökoinstituts verringerte sich die Kohleverstromung seither stetig. Gründe dafür sind steigende CO2-Preise im Emissionshandel und erste Schritte einer aktiven Kohleausstiegspolitik. So wurden 3000 Megawatt Braunkohlekapazität abgeschaltet und in die sogenannte Sicherheitsbereitschaft überführt. Seit Herbst 2019 ist die Stromerzeugung in nahezu allen Braunkohlekraftwerken deutlich rückläufig. Verglichen mit früheren Zeiten, hat die Kohle alles in allem ein Drittel am Strommarkt verloren, fiel hinter die Erneuerbaren und Gas zurück.

Aber wertvolle Zeit wurde weiter verschenkt, weil Bund und Länder anderthalb Jahre benötigten, um die Empfehlungen der Kohlekommission von Anfang 2019 umzusetzen. Inzwischen ist Kohlestrom wirtschaftlich so unter Druck, dass das Ausstiegsgesetz mit seinem Milliardenentschädigungen die Laufzeit der Anlagen eher zu verlängern als zu verkürzen droht. Die Marktrealität hat die Politik überholt.

Weitere Folge des Lobbyismus ist, dass der Strukturwandel in den Kohleregionen in relativ kurzer Frist vollzogen werden muss. Das treibt die sozialen Kosten in die Höhe, sorgt gerade im Osten für politische Unsicherheit. Ob die versprochenen 40 bis 50 Milliarden Euro, die über das längst beschlossene Strukturstärkungsgesetz in den nächsten 20 Jahren in die Braunkohleregionen fließen sollen, wirklich in dem Umfang bereitstehen, ist nicht sicher. Am Ende kam kein Staatsvertrag zustande, so dass die Kohleländer keinen verbrieften Anspruch darauf haben.

Von den beiden 800-Megawatt-Blöcken, zu deren Grundsteinlegung Merkel damals sprach, läuft übrigens nur noch einer. Der andere wurde wegen technischer Probleme kurz nach der Inbetriebnahme stillgelegt.

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