- Politik
- Schweden
Schweden droht Koalitionskrach
Sozialdemokraten gefährden mit Zugeständnissen nach rechts ihr Bündnis mit den Grünen
Eine überparteiliche Einigung für eine Reform der Migrationspolitik sucht ein parlamentarischer Ausschuss für Migration im Schwedischen Reichstag. Gebildet wurde er bereits vor einem Jahr. Mitte August soll er nun seinen Bericht mit Empfehlungen vorlegen. Die Minderheitsregierung des sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Stefan Löfven ist auch auf diesem Politikfeld auf die Unterstützung von außerhalb angewiesen.
Die konservativen Moderaten als größte Oppositionskraft wollen die Sozialdemokraten in der Migrationsfrage zu grundsätzlichen Zugeständnissen bewegen. So sollen Familienzusammenführungen noch stärker vom Geldbeutel der Betroffenen abhängig gemacht und eine Obergrenze für Asylsuchende eingeführt werden. Nach Gesprächen der Sozis mit Spitzenpolitikern der »Moderaten Sammlungspartei« signalisierten sie, dem Druck von rechts nachgeben zu wollen. Das allerdings könnte die Regierung in Stockholm platzen lassen. Auch innerhalb der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei ist ein heftiger Streit entbrannt, bei dem die Wahrung ihrer Prinzipien eingefordert wird.
Eine jährliche Obergrenze bei der Aufnahme von Flüchtlingen ist für den grünen Koalitionär ein rotes Tuch. Die Umweltministerin und Sprecherin der Umweltpartei Isabella Lövin erklärte gegenüber Sveriges Radio, dass sie sich keine Situation vorstellen könne, in der die Grünen einer solchen Obergrenze zustimmen würden. »Wir sitzen zusammen in der Regierung und damit eine solche Politik Realität werden kann, müssten beide Parteien dahinterstehen«, betonte Lövin.
Sollten die Grünen die Koalition wegen dieser Frage tatsächlich verlassen, wäre das für sie durchaus riskant. Denn Neuwahlen wären in diesem Fall nicht zu vermeiden. Bei den letzten Parlamentswahlen im September 2018 hatte Miljöpartiet schwere Verluste eingefahren. Mit mageren 4,4 Prozent wurde die Hürde für den Einzug in den Reichstag nur knapp übersprungen und ein Drittel der Parlamentssitze eingebüßt.
Minderheitsregierungen sind in den nordeuropäischen Staaten zwar nichts Ungewöhnliches. Die von dem Sozialdemokraten Löfven angeführte ist allerdings eine der schwächsten in der Geschichte. Gemeinsam mit dem grünen Juniorpartner verfügt die Koalition mit 116 von 349 Sitzen nur über ein Drittel der Stimmen im Reichstag. Dass es im Januar 2019 überhaupt zu einer Wahl Löfvens zum Premier kam, erkauften die Sozialdemokraten mit politischen Zugeständnissen an die Liberalen und die bäuerliche Zentrumspartei, von denen die Regierung toleriert wird. Als Gegenleistung für die beiden Mitte-rechts-Parteien werden Steuersenkungen für Vielverdiener, die Lockerung des Kündigungsschutzes und die Privatisierung der Arbeitsvermittlung vorangetrieben.
In einem Interview für die Tageszeitung Sydsvenskan am vergangenen Freitag versuchte Ministerpräsident Löfven die Wogen zu glätten. Einer jährlichen Obergrenze für die Zahl der Menschen, die in Schweden Asyl suchen dürfen, erteilte er eine Absage. Den kleineren Koalitionspartner lobte er über den grünen Klee. Eine restriktivere Asylpolitik ist damit aber längst nicht vom Tisch. Die rechtsextremen Schwedendemokraten, bei der Wahl zum Schwedischen Reichstag 2018 zu dritten Kraft aufgestiegen, haben die gesellschaftliche Debatte in diese Richtung beeinflusst.
Vor weiteren Umfallern der Sozialdemokraten warnt auch der Vorsitzende der Linkspartei Jonas Sjöstedt. Gegenüber dem schwedischen Fernsehsender SVT sagte er am vergangen Mittwoch: »Man kann nicht im Voraus bestimmen, wie viele Menschen Asyl beantragen.« Das Asylrecht werde besonders in Krisenzeiten gebraucht. Eine Begrenzung widerspreche seiner Grundidee. Löfven forderte der Vänsterpartiet-Politiker auf, sich wieder auf die Suche nach linken Mehrheiten zu machen.
Mit den geplanten Arbeitsmarktreformen tut sich ein weiteres Konfliktfeld auf, dass die Sozialdemokratie in eine Zerreißprobe führt und die Regierungskoalition sprengen könnte. Angriffe auf den Kündigungsschutz und die staatliche Arbeitsvermittlung und weitere Rechte der Beschäftigten werden neben dem der Linkspartei auf den Widerstand der Gewerkschaften treffen.
Zudem wird in Politik und Gesellschaft weiter über Schwedens Sonderweg in der Coronakrise ohne Lockdown und Schulschließungen gestritten. Wegen der vielen Covid-19-Todesfälle in Pflegeheimen wurde jetzt eine parlamentarische Untersuchungskommission eingesetzt.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.