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Nägel, Glas und Mafia
In Rom sind die Strände von Ostia Schauplatz der Auseinandersetzung zwischen der Stadtverwaltung und dem organisierten Verbrechen
Die Aufregung am Strand von Ostia ist groß: Ein neunjähriger Junge war in eine Spritzennadel getreten, ein Sanitätskasten weit und breit nicht zu finden. Erst der herbeigerufene Notarzt konnte die Nadel ziehen. Die Angst, ob sich der Junge vielleicht mit HIV infiziert haben könnte, blieb. Doch nicht allein dies: Die Mutter berichtete, der Strand sei über und über mit Glassplittern verunreinigt, auch fänden sich Nägel und andere Metallsplitter im Sand. Die herbeigerufenen Reinigungskräfte der städtischen Administration bestätigten die Funde und schlossen vorsorglich alle freien Strände von Ostia, die gerade erst nach dem Corona-Lockdown unter hohen Sicherheitsbedingungen wieder geöffnet worden waren.
Der Zehnte Bezirk der italienischen Hauptstadt - wie Ostia amtlich genannt wird - ist ein Sorgenkind Roms. Der einst mondäne Badeort, den schon die alten Römer schätzten, ist in den vergangenen Jahren zum sozialen und kriminellen Brennpunkt verkommen. Das Sagen hat hier weniger die Politik, als die mafiösen Banden der Spada und Casamonica.
Die systematische Verunreinigung der freien Strände ist, wie ein Mitarbeiter der Stadtreinigung bestätigte, das Werk der Kriminellen: Im Abstand von je zehn Zentimetern waren rostige Nägel mit der Spitze nach oben in den Sand gesteckt worden, dazu wurden unzählige zertrümmerte Glasstücke über den Strand verstreut. Schilder, die Abstands- und Hygieneregelungen anzeigen sollten, waren herausgerissen und auf einen Stapel geschmissen worden. Wurde der Strand wieder gereinigt, ergab sich binnen Stunden dasselbe Bild.
Die örtliche Staatsanwaltschaft stellte Strafanzeige gegen unbekannt, obwohl allen Beteiligten die Adresse wohl bekannt ist: Die örtliche Mafia sucht die Auseinandersetzung mit Stadt und Staat. Erst vor Kurzem hatte das römische Appellationsgericht in zweiter Instanz lange Haftstrafen gegen führende Mitglieder der Spada bestätigt, Güter im Wert von 18 Millionen Euro wurden eingezogen.
Die Anti-Mafia-Behörde Roms hatte den Schlag gegen das organisierte Verbrechen auch auf den mit der Spada verbündeten Casamonica erweitert. Auch hier wurden 17 Personen in Haft genommen und Werte in zweistelliger Millionenhöhe konfisziert.
Es ist vor allem die römische Stadtregierung unter Virgina Raggi von der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S), die konsequent gegen die organisierten Strukturen des Verbrechens vorgeht. Doch die M5S dominiert zwar die hauptstädtische Administration, in Ostia hingegen geben ultrarechte Politiker von Fratelli d’Italia (FdI) bis CasaPound - die »Faschisten des 3. Jahrtausends«, wie sich die Organisation selbst bezeichnet - den Ton an. Die zuständige Stadträtin Mariacristina Masi (FdI) hatte notgedrungen eingeräumt, die »Probleme am Strand von Ostia rissen trotz aller Bemühungen der Verwaltung nicht ab«, man »sei jedoch bemüht, Ordnung und Sicherheit für die Bürger wieder herzustellen«.
Der Machtkampf zwischen Clans und Politik dauert schon so lange an, dass kaum ein Römer glaubt, dass sich das noch ändern könnte. 2015 wurde die Ortsverwaltung wegen Beziehungen zum organisierten Verbrechen sogar aufgelöst. Bei den folgenden Kommunalwahlen 2017 stellte sich heraus, dass die Clans die Kandidaten von FdI und CasaPound finanzierten und unterstützten. CasaPound erlangte neun Prozent der Stimmen.
Erst am 17. Juni hatte Roms Stadtverwaltung das Hauptquartier von CasaPound, ein vor 17 Jahren illegal besetztes Haus in Rom, unter Aufsicht und die Hauptakteure der Neofaschisten unter Anklage gestellt. Eine Maßnahme, die sowohl die rechten Kräfte als auch die Clans zu Wutaktionen wie die Verunreinigung der Strände provozierte.
Roms Oberbürgermeisterin Raggi sagte dem Treiben den Kampf an. »Wir werden uns von solchen Aktionen nicht einschüchtern lassen«, so die frühere Rechtsanwältin. Die römischen Mafiastrukturen unterhalten besorgniserregende Verbindungen zur Camorra und der kalabresischen ’Ndrangheta, über Rom läuft der Drogenhandel in den Norden und in die EU-Staaten, wie auch Waffenhandel in Krisengebiete.
Lazios Gouverneur, der sozialdemokratische PD-Chef Nicola Zingaretti, erklärte seine volle Solidarität mit der römischen Administration: »Je mehr Aktivitäten die Mafia in Ostia zeigt, desto mehr werden wir präsent sein und sie bekämpfen.« Ob sich die sonnenhungrigen Römer in den kommenden Wochen am Strand von Ostia wieder sicher fühlen können, lässt sich noch nicht absehen.
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