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Corona sorgt für mehr leere Mägen
Welthungerhilfe befürchtet Anstieg der Zahl der Hungernden auf eine Milliarde Menschen weltweit
In Ostafrika ist es eine vierfache Krise: Dürre und Fluten, Heuschrecken sowie der Corona-Lockdown sorgen dort von Äthiopien über Kenia bis hin zum Sudan für eine Verschärfung der ohnehin prekären Ernährungslage.
Per Videoschalte aus Nairobi informierte Kelvin Shingles auf der Pressekonferenz der Welthungerhilfe zur Vorstellung des Jahresberichts über die Lage in Kenia. 2019 habe es eine Dürre gegeben, am 12. März 2020 sei ein Lockdown wegen des Coronavirus in Kraft getreten, im April und Mai habe es Fluten gegeben, und obendrauf machten sich seit Monaten die Heuschrecken breit, schilderte er den Mix, der die Ernährungssicherheit immer weiter untergräbt. Der Kenia-Landesdirektor der Welthungerhilfe nannte Fakten: »29 Prozent der Kenianer sind unterernährt, 60 Prozent der Haushalte leben unterhalb der Armutsschwelle.« »Wir werden nicht an Corona sterben, sondern uns zu Tode hungern«, sei eine häufig in Kenia zu hörende Einschätzung in der Bevölkerung, schilderte Shingles.
Kenia ist nur ein Beispiel dafür, dass die Covid-19-Pandemie die Ernährungslage an vielen Orten verschlechtert. Die Welthungerhilfe sieht einen drohenden Anstieg der Zahl der Hungernden auf eine Milliarde weltweit. 2019 litten laut der Welternährungsorganisation FAO 821,6 Millionen Menschen unter Hunger. »Corona ist der Brandbeschleuniger der Krisen, die durch Klimawandel und Kriege angeheizt wurden«, sagte Marlehn Thieme. Die Präsidentin der Welthungerhilfe präsentierte erschreckende Prognosen: Laut dem Welternährungsprogramm werde sich die Zahl der vom Hungertod Bedrohten bis Ende 2020 auf 270 Millionen Menschen verdoppeln, 400 Millionen Menschen aus dem informellen Sektor hätten im zweiten Quartal 2020 laut der Arbeitsorganisation ILO wegen der Coronakrise ihre Beschäftigung verloren. Dasselbe gelte für 450 Millionen Menschen, die weltweit in der Landwirtschaft tätig seien, sei es im Anbau, im Transport oder Verkauf von Nahrungsmitteln. Weil viele lokale Märkte schließen mussten, sei das Ernährungssystem in vielen Ländern des Globalen Südens teilweise zusammengebrochen. »Immer mehr Menschen fallen in absolute Armut und können ohne Hilfe nicht überleben«, so Thieme.
»Pandemien und Heuschrecken kennen keine Grenzen. Wir können sie nur bekämpfen, wenn wir uns bewusst machen, dass wir in einer Welt leben und die Pandemie nur gemeinsam besiegen können«, betonte die Präsidentin der Welthungerhilfe. »Internationale Solidarität ist jetzt wichtiger denn je. Wir brauchen mehr langfristige Unterstützung für die Anstrengungen der Menschen im Süden.«
Der Appell an die langfristige Unterstützung richtet sich auch an die deutsche Regierung. Die im Nachtragshaushalt für das Entwicklungsministerium und das Auswärtige Amt für die Corona-Nothilfe zur Verfügung gestellten Mittel begrüßte Thieme. Aber dabei könne es nicht bleiben. Auch in den kommenden Haushalten müsse die Bundesregierung internationale Solidarität üben und die Mittel für den Globalen Süden aufstocken, schloss sie sich den Forderungen des Entwicklungsministers Gerd Müller an.
Die Bundesregierung solle die EU-Ratspräsidentschaft dafür nutzen, EU-weit die Weichen zur Armuts- und Hungerbekämpfung zu stellen. Denn so Thieme: »Perspektivlosigkeit ist die zentrale Fluchtursache.«
»Die Vielzahl der Krisen könnte ein Ausmaß annehmen, wie wir es bisher noch nie erlebt haben. Afrika südlich der Sahara wird darunter besonders leiden«, pflichtete Mathias Mogge bei. »Zum ersten Mal in der Geschichte der Welthungerhilfe haben wir die Maßnahmen in all unseren Projektländern und auch in Deutschland anpassen müssen. Die Ausgangssperren in den Programmländern haben dazu geführt, dass viele geplante Aktivitäten nicht einfach fortgeführt werden konnten«, beschrieb der Generalsekretär der Welthungerhilfe die Auswirkungen der Coronakrise auf die eigene Arbeit. Inzwischen wäre es aber wieder möglich, die Projekte vor Ort aufzusuchen und Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. Unter anderem, indem Saatgut bereitgestellt wird.
Mogge und Thieme sind sich sicher, dass 2020 entscheidend sein wird, um für die 17 Nachhaltigen Entwicklungsziele der UNO, die bis 2030 erreicht werden sollen, die Weichen zu stellen. Ziel zwei lautet: Kein Hunger. In Kenia ist das ein Traum.
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