Diversität aus »Hair« gestrichen
Theater Chemnitz
Theater repräsentiert nicht nur Gesellschaft, sondern kritisiert sie auch, und oft hat es den Anspruch, progressiv zu sein. Das Musical »Hair« war 1967, als es in den USA Premiere feierte, fortschrittlich. Es zeigte mit dem »Tribe« eine Hippiebewegung, die sich gegen den Vietnamkrieg richtete, ungeniert Drogen konsumierte und Rockmusik hörte. »Hair« öffnete 1968 aber auch den Broadway und die Theaterbühnen des Landes für Schwarze Schauspieler*innen. Und zwar nicht - wie in der rassistischen Tradition üblich - als Darsteller*innen von »Sklaven« oder »Diener«, sondern als gleichberechtigte Mitglieder des »Tribe«.
»Hair« soll nun in Chemnitz ab August im Opernhaus aufgeführt werden. Größer denn je scheint dem Theater laut Ankündigungstext gerade jetzt die Hoffnung auf »Liebe und Respekt« des sogenannten Zeitalters des Wassermanns (Aquarius). Doch während im Original ein Drittel der Schauspieler*innen Schwarz waren, hat man sich in Chemnitz für eine ausschließlich weiße Besetzung entschieden. Gestrichen wurde dafür etwa die Figur des Hud, eines militanten Schwarzen Mannes.
Wie steht diese Entscheidung im Verhältnis zur Ankündigung des Theaters? Schon jetzt ist die gesellschaftlich dominante Erinnerung an den »Summer of Love« eine Geschichte, die viel vergisst. Im Gedächtnis blieben weiße Hippies mit Blumen im Haar, die für eine pazifistische Welt kämpfen. Kaum einer denkt indessen daran, dass parallel ein harter Kampf der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung gegen Segregation und den tiefsitzenden Rassismus des Landes stattfand. Im selben Jahr - 1968 -, als »Hair« am Broadway zu sehen war, wurde Martin Luther King ermordet.
Die Theater Chemnitz erklären diese Entscheidung als »gewissermaßen aufgezwungen« - wegen Corona-Hygieneregeln und einer kurzen Vorbereitungszeit gibt es ein kürzeres Stück - und machen es sich damit zunächst sehr einfach. Gerade im Sommer 2020, der in der späteren Erinnerung zu einem Sommer der antirassistischen Proteste werden könnte, in dem Kings Forderungen nach einer Umverteilung von Macht und Kapital angesichts sozialer Segregation und systemimmanenten Rassismus nicht nur in den USA zurück auf die Straße gekommen sind, wirkt dies wie eine absichtliche Respektlosigkeit. »Hair« thematisiert diese Forderungen, es wäre also wie gemacht für eine Aktualisierung: Rassismus in den USA wird diskutiert, viele der Liedtexte adressieren direkt Diskriminierungen, denen Schwarze Menschen ausgesetzt sind. Ein Protestslogan des »Tribe« heißt etwa: »What do we think is really great? To bomb, lynch and segregate!« (Was halten wir für wirklich glänzend? Zu bomben, zu lynchen und auszugrenzen!)
In der Stellungnahme der Theaterleitung heißt es: »Es geht uns nicht darum, einzelne Thematiken aus dem Stück zu eliminieren, sondern von dem zu erzählen, was zentral in ›Hair‹ verhandelt wird: dem Anbruch einer liebevolleren, toleranteren, respektvolleren Welt, an der wir alle arbeiten - ungeachtet der Herkunft und der ethnischen Zugehörigkeit.« Doch wer entscheidet, was zentral ist? Und welche Bedeutung hat es, dass das Schwarze Erleben dieser Zeit eben als kurzum streichbar erachtet wird?
Die Chemnitzer haben auf die Kritik reagiert. Intendant Christoph Dittrich sagte dem »nd« am Dienstag, die Besetzung solle um People of Color ergänzt werden. Es werde nun überlegt, wie dies möglich sei, ohne in eine »verletzende Alibisituation zu geraten«.
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