Und das Kapital applaudiert
Wie autoritäre Populisten rechte Ideologien bedienen und den Klassenkampf von oben befeuern
Der Begriff des Populismus ist sehr schillernd. Darunter werden unterschiedlichste Politikformen subsumiert. Der hier anzuzeigende Band ist auf den autoritären Populismus fokussiert. Grundlage der Beiträge war ein Treffen der Assoziation für kritische Gesellschaftsforschung (AkG), das zwei Mal jährlich Sozialwissenschaftler*innen diverser Länder zusammenführt, weshalb hier der wissenschaftliche Duktus dominiert. Bedauerlich ist, dass der Beitrag von Betül Yarar, Professorin an der Universität Bremen, zum autoritären Herrschaftsprojekt in der Türkei, nur in englischer Sprache abgedruckt ist.
Im Vorwort erläutern die Herausgeber*innen: »Autoritären Populismus begreifen wir als konservative Mobilmachung gegen die liberale Demokratie, die die zugrundeliegende Kompromiss- und Verständigungsorientierung aufkündigt. Im Zentrum steht eine dichotome Freund-Feind-Konstruktion von Zugehörigkeit zu einem nationalen Kollektiv und den Anderen.« Der bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung arbeitende Soziologe Alex Demirovic ergänzt in seinen einleitenden Überblicksbeitrag, dass autoritäre Herrschaftsformen »für die bürgerliche Demokratie selbst konstitutiv sind«. Das man überraschen. Damit tritt er explizit in grünen und linksliberalen Kreisen üblichen Fehleinschätzungen entgegen, die die liberale Demokratie häufig mit der bürgerlichen Demokratie gleichsetzen und pauschal von autoritären Herrschaftsformen scharf abgrenzen.
In den Länderbeispielen von Deutschland, Österreich, Ungarn, Brasilien und der Türkei werden die Spezifika der unterschiedlichen autoritärpopulistischen Herrschaftsformen genauer in den Blick genommen. Gleich zwei Texte beschäftigten sich mit Deutschland. Die Journalistin Carina Book analysiert rechte Tendenzen in den Staatsapparaten. In ihren mit vielen Quellen unterlegten Beitrag zeigt sie, dass die Spitzen der Sicherheitsbehörden die sogenannte Flüchtlingskrise vor fünf Jahren ähnlich wie viele Bürger am rechten Rand der Gesellschaft beurteilten. Book führt hierfür unter anderem den Ex-Verfassungsschutzpräsidenten Hans Georg Maaßen an. Weniger bekannt dürfte sein, dass auch der Chef der Bundespolizei, Dieter Romann, im Herbst 2015 Texte verfasste, die im Umfeld der AfD auf Zustimmung stießen. Daniel Mullis und Paul Zschocke offerieren empirischen Untersuchungen in Stadtteilen von Frankfurt/Main und Leipzig, um deutlich zu machen, wie sich rechtsautoritäre Einstellungen verbreiten. Als Ursachen sehen sie neben rassistischen Einstellungen auch Abstiegsängste und ein tiefsitzendes Gefühl, von der politischen Teilhabe ausgeschlossen zu sein. Stadtteilinitiativen, in denen die Bevölkerung sich für ihre Interessen ohne Ausgrenzung, stattdessen mit verstärkter Integration, einsetzen, könnten aber ein probates Mittel gegen rechte Ideologien sein.
Wie rechtspopulistische Regierungen den Klassenkampf von oben befeuern, offenbart Joachim Becker am Beispiel von Ungarn und Polen, zugleich auf Unterschiede eingehend. Während die polnische PIS-Regierung Teile der antikommunistischen Gewerkschaften in ihr Regierungsprojekt einbezieht, setzt die Orban-Regierung auf Entmachtung der Vertretungen der Arbeiter*innen und erhält dafür viel Beifall unter anderem auch vom deutschen Kapital, das in Ungarn gute Verwertungsmöglichkeiten vorfindet.
Aufsätze zum Rechtspopulismus in Brasilien beschließend den anregenden Band. Anne Engelhardt erinnert an die im März 2018 erschossenen linken Aktivistin und Politikerin Marielle Franco, die hierzulande vor allem als Feministin und Antirassistin bekannt ist, aber darüber hinaus eine populäre Figur der brasilianischen Arbeiter*innenbewegung war und eine führende Rolle beim Bildungsstreik in ihrer Heimat eingenommen hatte. Auf dem Heimweg von einer Streikversammlung ist die Stadträtin von Rio de Janeiro und Mitglied der Partei Sozialismus und Freiheit (PSOL) heimtückisch ermordet worden. Die 40-Jährige hatte sich kurz vor ihrem gewaltsamen Tod gegen Polizeigewalt und extralegale Hinrichtungen engagiert.
Carina Book/ Nikolai Huke/ Norma Tiedemann/ Olaf Tietje (Hg.), Autoritärer Populismus. Verlag Dampfboot, 189S., br., 22€.
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