Mit der Reichsflagge gegen den Staat

Die Corona-Proteste auf der Bundesstraße 96 haben viele Motive und eine Wurzel: Man misstraut dem Staat zutiefst, oder lehnt ihn ganz ab.

  • Jörg Schurig, dpa
  • Lesedauer: 5 Min.

Oppach. Wenn es nach den Fahnen geht, ist die Sehnsucht nach dem Kaiserreich und anderen vergangenen Zeiten im Osten Sachsens besonders groß. Jeden Sonntag versammeln sich hier an der Bundesstraße 96 Menschen unterschiedlichen Alters mit Transparenten und Flaggen, die in vielen Fällen die Farben schwarz-weiß-rot haben. Die Fahne des deutschen Kaiserreiches ist zwar nur dann verboten, wenn sie als Reichskriegsflagge ein Hakenkreuz trägt. Dennoch ist ihre öffentliche Zurschaustellung ein Ausdruck rechter Gesinnung. Das wird auch an der B 96 in Oppach bei Bautzen deutlich.

Die Straße führt durch vier Bundesländer und endet auf der Insel Rügen. Im Mai begannen die Proteste im Süden. Auch in Mahlow (Brandenburg) gibt es mittlerweile kleinere Kundgebungen. Auslöser in Sachsen waren die Corona-Beschränkungen, inzwischen geht es um mehr. Wer auf gesprächsbereite Demonstranten trifft, wird mit einer komplexen Problemlage konfrontiert: Manche leugnen das Virus ganz, andere halten es für ungefährlich. Kämpfer gegen den Mobilfunkstandard 5G treffen auf GEZ-Gegner. Dass die Corona-Einschränkungen Grundrechte wie die Meinungsfreiheit zunichte machte, gilt hier als Tatsache.

Auch die Impfpflicht ist für viele eine beschlossene Sache: Da kann Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) dementieren so viel er will. Im Fokus steht aber vor allem Bill Gates. Den Microsoft-Gründer wähnt man als Strippenzieher hinter Corona. An der B 96 ist man überzeugt, dass Gates die Menschheit mit einer Zwangsimpfung kontrollieren will. Die Corona-Krise hat solchen Verschwörungsmythen Auftrieb gegeben und sorgt nun für einen Schulterschluss. Diverse Gruppen verzahnen sich an der Bundesstraße zu einer Art Einheitsfront gegen den Staat. Nicht selten geben Rechtsextreme den Ton an.

Nach Ansicht des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) in Sachsen bieten Corona-Proteste Extremisten die Möglichkeit, sich als Verteidiger von Grundrechten, als Verbreiter von »Wahrheiten« und als »Kümmerer« darzustellen: »Gleichzeitig werden der Regierung und den handelnden Institutionen Verantwortungslosigkeit, böswillige und diktatorische Absichten und die Verbreitung von Unwahrheiten unterstellt. Daran geknüpft ist die Forderung nach «Widerstand».« Vor allem in Sozialen Medien würden anlässlich der Demonstrationen Verschwörungstheorien verbreitet.

Wer Teilnehmer der Corona-Proteste in Oppach nach Rechtsextremen in ihren Reihen fragt, erntet entweder ungläubiges Staunen oder findet Verständnis. Wenn das Deutschland diene, habe er nichts einzuwenden, sagt ein Rentner, der seinen Namen nicht nennen will und eine Deutschland-Fahne trägt. Seine Informationen bezieht er nach eigenen Angaben nur noch aus zwei Quellen: Youtube und »Russia Today«. ARD und ZDF habe er »abgewählt«. Er stehe hier, »um Deutschland wieder in die richtige Spur zu bringen«, sagt der Mann.

Dass Deutschland schon seit der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 neben der Spur läuft, ist die feste Überzeugung vieler an der B 96. Der Zugang zur Protestgemeinschaft ist dennoch unterschiedlich. Eine ältere Frau, die gleichfalls namenlos bleiben möchte, gibt an, früher für die CDU im Gemeinderat und Kreistag gesessen zu haben. Dort sei es aber immer mehr um Intrigen, Posten und Macht gegangen. Inzwischen hat sie die Partei gewechselt und ist nun bei der AfD. Die Reichsfahnen im Spalier der Protestler sind für die Frau lediglich Teil der Meinungsfreiheit - ein »normaler bürgerlicher Protest.«

Dass sich andere Demonstranten trotz sichtbarer Präsenz der Rechten nicht abwenden, überrascht den Dresdner Politikwissenschaftler Hans Vorländer kaum: »Berührungsängste gibt es nicht. Das war auch bei Pegida schon zu beobachten. Man reiht sich ein in eine Phalanx des Protestes, ohne daran zu denken, dass sich darin auch Rechtsextreme befinden, die die freiheitliche-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik in Frage stellen.« Es sei eine altbekannte Strategie der Rechten, Unzufriedenheit in Teilen der bürgerlichen Mitte zu verstärken, zu instrumentalisieren und für sich nutzbar zu machen.

Vorländer fühlt sich bei den Protesten an der B 96 aber nicht an die islam- und ausländerfeindliche Pegida-Bewegung erinnert - mit Ausnahme der Fahnen und rechten Parolen: »Es fehlt einfach der große Rückhalt, den Pegida zumindest in der Anfangszeit hatte.« An der Bundesstraße stehe ein Häuflein versprengter Aktivisten, die um die öffentliche Aufmerksamkeit buhlten und Menschen einzufangen versuchten, die durch Corona und die möglichen ökonomischen Folgen verängstigt seien: »Sie suchen die Aufmerksamkeit, die sie durch mediale Wahrnehmung auch bekommen.«

Als er vor einer Woche mit seiner Deutschland-Fahne ganz allein an der Bundesstraße in Ebendörfel stand, sei ihm ganz mulmig geworden, sagt der Rentner, der keinem öffentlich-rechtlichen Sender mehr traut: »Da habe ich mir gedacht, was ist, wenn ein Wagen mit drei Linken vorbeikommt.« Deshalb sucht er sicherheitshalber nun lieber in Oppach die Gemeinschaft von etwa 100 Gleichgesinnten. Am vergangenen Sonntag hat die Polizei entlang der Bundesstraße 96 in Sachsen exakt 200 Demonstranten gezählt. In der ganzen Region leben etwa 630 000 Menschen. Von einem Massenprotest kann keine Rede sein.

Kurz vor dem Ende des einstündigen Straßenprotestes an der B 96 lässt der Rentner mit der Deutschland-Fahne die Katze aus dem Sack. Er habe gehört, dass die Bundesrepublik gar nicht rechtmäßig existiert. Dies habe der Europäische Gerichtshof festgestellt, sage zumindest sein Bekannter. Er selbst glaubt das zwar »nur zur Hälfte«, und auch ein Reichsbürger will er nicht sein. Ganz fest ist seine Überzeugung jedoch, wenn es um die aktuelle Maskenpflicht im Handel und Nahverkehr geht: »Die Maske ist ein Maulkorb und die Botschaft klar: Kniet nieder und haltet still.«

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