Friedensnobelpreisträger in der Kritik

Äthiopiens junger Präsident Abiy Ahmed geht mit repressiven Mitteln gegen aufbegehrende Ethnien vor

  • Philipp Hedemann
  • Lesedauer: 4 Min.

»Einige werden denken: Die diesjährige Auszeichnung wird zu früh verliehen.« In seiner Begründung für die Verleihung des Friedensnobelpreises an den äthiopischen Ministerpräsidenten Abiy Ahmed ging das Friedensnobelpreiskomitee im Oktober vergangenen Jahres gleich auf die erwartbare Kritik an ihrer Entscheidung ein. Heute ist sie berechtigter denn je. Im Land des einstigen Hoffnungsträgers eskaliert nach dem Mord an Hachalu Hundessa, einem beliebten Sänger und wichtigen Oppositionsaktivisten, die Gewalt. Der 43-jährige Abiy Ahmed lässt die Proteste brutal niederschlagen. Hunderte starben, Tausende Oppositionelle wurden verhaftet. Zeigt der zu Beginn seiner Amtszeit meist lächelnde Charismatiker jetzt sein wahres Gesicht?

Als Abiy - in Äthiopien werden selbst Regierungschefs mit dem Vornamen angesprochen - am 2. April 2018 zum Regierungschef ernannt wurde, überraschte der bis dahin loyale Funktionär eines seit 1991 regierenden repressiven Regimes mit einem atemberaubenden Reformtempo. Der jüngste Regierungschef Afrikas ließ Tausende von politischen Gefangenen und Journalisten frei, hob den Ausnahmezustand auf, öffnete das Land für ausländische Investoren, besetzte sein Kabinett zur Hälfte mit Frauen, begeistert sein Volk mit einer Rhetorik von Liebe und Versöhnung - und beendete nach über 18 Jahren den Krieg mit Nachbarland Eritrea. Dem Konflikt waren rund 80 000 Menschen zum Opfer gefallen, Abiy selbst hatte im Krieg als Soldat feindliche Stellungen ausgespäht.

Im zweitbevölkerungsreichsten Staat Afrikas brach eine regelrechte Abiy-Mania aus. Vor allem junge Äthiopier verehrten Abiy in einem quasi-religiösen Personenkult. Mittlerweile ist davon nicht mehr viel zu spüren. Im Juni vergangenen Jahres entging der Vater von drei Töchtern in der Hauptstadt Addis Abeba nur knapp einem Anschlag mit einer Handgranate. Zwei Menschen starben, 156 wurden verletzt.

Seitdem Abiy regiert, hat die ethnisch motivierte Gewalt zugenommen, immer wieder kommt es im 110-Millionen-Einwohner-Land zu Toten, rund eine Million Äthiopier sind so zu Flüchtlingen im eigenen Land geworden. Dass es im Viel-Völker-Staat mit mehr als 80 Ethnien und mindestens ebenso vielen Sprachen nun zu tödlichen Ausschreitungen kommt, liegt auch daran, dass sich unter der jahrzehntelangen Herrschaft der Tigray-Minderheit viel Hass und Frustration angestaut haben. Jetzt, da das System der Überwachung und Unterdrückung der Entwicklungsdiktatur Äthiopien teilweise zerschlagen ist, entladen diese Konflikte sich oft gewalttätig.

Seitdem am 29. Juni der beliebte Sänger Hachalu Hundessa in einem Vorort der Hauptstadt Addis Abeba erschossen wurde, eskaliert die Gewalt erneut. Nach offiziellen Angaben wurden dabei mindestens 239 Menschen - die meisten von ihnen Zivilisten - getötet und mehr als 3500 Menschen meist ohne Anklage verhaftet. Unter ihnen sind viele Oppositionsführer und regierungskritische Aktivisten.

Der 34-jährige Hachalu gehörte den Oromo an. In seiner Musik thematisierte er oft das Gefühl seiner Volksgruppe, wirtschaftlich und politisch benachteiligt zu werden. 2018 wurden seine Lieder zu Hymnen der Protestbewegung, die zum Rücktritt von Abiys Vorgänger Hailemariam Desalegn führte.

Abiy ließ unmittelbar nach der Ermordung des populären Sängers verlautbaren, dass hinter dem Mord wohl »innere Feinde« stünden, die das Land destabilisieren wollen. Auch fremde Mächte - ein unverhohlener Verweis auf Ägypten, mit dem Äthiopien sich gerade erbittert um die Befüllung eines gigantischen Nilstausees am Oberlauf des Flusses in Äthiopien streitet - könnten laut Abiy hinter dem Anschlag stehen. Elf Tage nach dem Mord gab die Polizei die Verhaftung von zwei Tatverdächtigen bekannt. Laut der äthiopischen Generalstaatsanwältin hätten sie gestanden, mit dem Mord zum Sturz der Regierung beitragen zu wollen.

Doch nicht wenige Äthiopier bezweifeln diese offizielle Version und den schnellen Fahndungserfolg. Annette Weber von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin sieht eine Mitschuld bei Abiy Ahmed. »Die Reaktion auf die Ermordung war eine Katastrophe. Um das seit seinem Regierungsantritt verloren gegangene Vertrauen der Bevölkerung zurückzugewinnen, hätte Abiy eine unabhängige, internationale Untersuchungskommission einsetzen und nicht mit einer beispiellosen Verhaftungswelle reagieren müssen«, so die Äthiopien-Expertin.

Weber glaubt, dass der mittlerweile in weiten Bevölkerungsteilen verhasste Regierungschef, der ursprünglich für Mai geplante Wahlen zunächst auf den August und jetzt wegen der Corona-Pandemie auf unbestimmte Zeit verschieben ließ, nun auch ohne Wahlen um sein physisches und politisches Überleben fürchten muss. »Abiy scheint das politische Gespür verloren zu haben. Er hat die hohen Erwartungen, die anfangs so viele Äthiopier in ihn gesetzt haben, nicht erfüllt. Mit der Verhaftungswelle hat er sich sehr viele neue Feinde geschaffen. Ein Attentat auf Abiy oder ein Putsch sind jetzt nicht unwahrscheinlich, zumal er sich noch nie auf seinen Sicherheitsapparat und das Militär verlassen konnte«, so Weber.

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