Lange Liste des Bafin-Versagens
Finanzaufsicht übersah schon viele Betrugsfälle
Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) steckt in ihrer vielleicht größten Krise: Der Skandal um den Finanzkonzern Wirecard hat deutlich gemacht, dass die Behörde trotz früher Hinweise auf Unregelmäßigkeiten entweder nicht richtig geprüft hat oder nicht in der Lage ist, Betrügereien auf die Spur zu kommen. Selbst Behördenchef Felix Hu-feld spricht von einem »totalen Desaster«.
Dabei ist Wirecard alles andere als ein Einzelfall. Finanzskandale, die die BaFin nicht aufgedeckt hat, gebe es »fast wie Sand am Meer«, meint Sven Giegold, Grünen-Finanzexperte im Europaparlament. Er und seine Bundestagskollegin Lisa Paus starteten daher Ende Juni ein »großes Bafin-Gewinnspiel«, bei dem Interessierte Skandale einreichen sollten. Es gehe darum, Finanzminister Olaf Scholz (SPD) »auf die Sprünge zu helfen«, dem die lange Geschichte des Versagens der Bafin offenbar nicht bewusst sei. Die Finanzaufsicht produziere viel Bürokratie, übersehe jedoch die großen Risiken, so Giegold. »Die verheerenden Konsequenzen haben dabei stets Investoren, Geschäftspartner oder Steuerzahlerinnen auszubaden.«
Insgesamt 71 Skandale seit 2007 wurden eingereicht. Der nun gezogene Gewinner einer Reise nach Brüssel oder Bonn nannte den Anlagebetrug durch die Finanzfirma P&R und gehört selbst zu den Geschädigten. P&R hatte Anlegern lukrative Investitionen in Schiffscontainer versprochen. Wie die Staatsanwaltschaft München ermittelte, wurde spätestens seit 2007 ein verbotenes Schneeballsystem aufgebaut, bei dem Anleger zum Teil aus Anlagegeldern neuer Kunden ausgezahlt wurden. Als die Firma 2018 Pleite ging, ermittelte der Insolvenzverwalter, dass die 54 000 Kleinanleger in 1,6 Millionen Container investiert hatten, jedoch nur 618 000 wirklich existierten. Die Gesamtanlagesumme betrug 3,5 Milliarden Euro.
Auf der Liste finden sich zahlreiche weitere Fälle vom grauen Kapitalmarkt, wo es keinerlei Einlagensicherung gibt, anders als im Bankensektor. Doch auch dieser findet sich in großer Zahl: etwa die Deutsche Bank, die in den riesigen Geldwäscheskandal der Danske Bank involviert war, zudem die 2009 in der Finanzkrise vom Staat gerettete Commerzbank oder öffentliche Institute wie die in Abwicklung befindliche WestLB und die HSH Nordbank. Es geht auch um gemeinschaftliche Betrügereien in großem Stil wie den Libor-Skandal um manipulierte Zinssätze oder die Cum-Ex-Steuerbetrügereien. Letztere werden gerade in zahlreichen Gerichtsverfahren mühsam aufgearbeitet. Jedoch könnten viele Fälle als verjährt gelten, da dem Finanzministerium bei der Reform der Abgabenordnung offenbar ein Detailfehler unterlief.
Das lässt auch wenig Gutes erwarten für die von Minister Scholz angekündigte Bafin-Reform. Giegold kritisiert die bisherigen Abkündigungen: »Nur mit mehr Personal und ein paar mehr Kompetenzen ändert sich noch nichts an den strukturellen Problemen.« Es brauche »eine Neuausrichtung der Bafin und einen personellen Neuanfang bei den Spitzenpositionen«.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.