Unverwundbar, weiblich, schwul

Normalerweise haben Fantasyhelden Muckis, Witz und Riesendekolletés. Auch im Film »The Old Guard« wimmelt es vor Stereotypen. Dennoch ist die Comicadaption besser als ihr Genre.

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 4 Min.

Wenn Actionfilme nicht mehr so richtig weiterkommen mit der notorischen Anhäufung unlogischen Schwachsinns, dann suchen sie ihr Heil gern mal im Schwachsinn um des Schwachsinns Willen, als würde das Starksinn ergeben oder wenigstens eine Form von Restsinn. Actionfilmfiguren haben dann plötzlich Superkräfte ungeklärten Ursprungs, können durch die Zeit reisen und manchmal sogar beides.

Die antike Kriegerin Andromache of Scythia zum Beispiel, genannt Andy, starb einst in einer Jahrtausende zurückliegenden Schlacht, erstand jedoch dank der Wundergabe der spontanen Selbstheilung wieder auf und kämpft sich seither durch die Menschheitsgeschichte. Ihre Mission: Gutes tun. Warum sie das bei völliger Vernachlässigung jeder Art Eigennutz tut, bleibt dabei zwar ähnlich rätselhaft wie so vieles in ihrer vierköpfigen Crew Unsterblicher. Aber gut - Actionfilme kümmern sich ja bekanntlich noch ein wenig weniger um die Gesetze von Logik, wenn ihnen eine Spur Fantasy beigemengt wird.

Und so interveniert »The Old Guard«, wie die selbstlose Eingreiftruppe in der Netflix-Adaption von Greg Ruckas gleichnamiger Graphic Novel heißt, im sudanesischen Kriegsgebiet unserer zerrütteten Gegenwart, um eine Gruppe entführter Mädchen aus den Fängen misogyner Warlords zu befreien. Augenscheinlich. Denn hinter der Befreiungsaktion - auch das zählt zum Superheldenfantasy-Kanon wie gewaltige Muckis und 5D-Dekolletés - steckt ein von Profitgier getriebener Chemiefabrikant, der sich die Superheldenkräfte von Andys Crew unter den Nagel reißen will.

In den folgenden knapp zwei Stunden geht es also, anders als in den Rettungseinsätzen zuvor, nicht nur darum, das Schlimmste von der autoaggressiven Spezies Mensch abzuwenden; gerettet werden muss diesmal die schnelle Eingreiftruppe selbst. Immerhin steht dem Quartett dabei jedoch der erste Neuzugang seit Napoleons Eroberungskriegen zur Seite: Nile Freeman, eine US-Soldatin, der beim Auslandseinsatz in Afghanistan die Kehle durchgeschnitten wurde, bevor sie via »Highlander«-Moment unversehrt zu jenen kommt, für die es normal ist, dass tödliche Wunden wie von selbst verheilen.

Mit Charlize Theron in der Rolle der Heldin Andy ist »The Old Guard«, oberflächlich betrachtet, bloß der übliche Mystery-Mumpitz, in dem überdurchschnittlich attraktive Protagonisten sich im Kampf bewähren gegen unterdurchschnittlich aasige Antagonisten, wie sie Harry Potters Stiefbruder Dudley alias Harry Melling in der Rolle des Pharmatycoons Merrick kaum stereotyper verkörpern könnte. Schon weil GI Nile von der Schauspielerin KiKi Layne dargestellt wird und ihr Gegenspieler Copley vom Londoner Chiwetel Ejiofo, steckt hinter der Normfassade eine Vielschichtigkeit, die sich vom Standardrepertoire handelsüblicher Fantasy-Comicverfilmungen grundlegend unterscheidet.

Diese fünf Highlander stammen schließlich nicht aus Schottland, sondern aus verschiedenen Regionen. Das macht sie zu einer vielfältigen Eliteeinheit, deren Einsatzgebiet auch staubige Kriegsgebiete fernab genretypischer Tourismusmetropolen Europas und der USA sind. Weil zumindest Andy irgendwo in der griechischen Mythologie verwurzelt ist, kippt sie unter Stress zwar öfter mal die eine oder andere Ouzo-Flasche auf Ex. Anders als ihre vielen männlichen Pendants von Marvel bis DC enthält sie sich dabei aber der vom Marketing kalkulierten Schlagfertigkeit in Extremsituationen.

»Du glaubst doch schon an das Übernatürliche«, sagt sie zur religiösen Nile, als die zu beten beginnt, an ihrer Berufung zur unsterblichen Superheldin zweifelnd. »Folge einfach dieser Unlogik.« Wenn sich die zwei Amazonen dann auch noch zu Hip-Hop im abstürzenden Flugzeug eine Martial-Arts-Schlacht der Extraklasse liefern, während ihre männlicher Partner Nicky (Luca Marinelli) und Joe (Marwan Kenzari) das erste offen schwule Superheldenpaar der Blockbusterhistorie bilden, zeigt sich »The Old Guard« als verblüffend emanzipiertes Stück Fantasy-Action. Kein Wunder, könnte man meinen: Es stammt ja auch von einer Regisseurin.

Warum Gina Prince-Bythewood selbst toughe Kriegerinnen gelegentlich in Highheels durch die Wüste hetzen lässt, wieso auch ihre männlichen Mitstreiter allesamt lässige Thirtysomethings mit Modelqualitäten sind, woher der Schurke in bester Blofeld-Tradition sein Söldnerheer rekrutiert, das sich um des Profits ihres Vorgesetzten willen wie die Fliegen abknallen lässt - all das mag dabei den Gesetzmäßigkeiten einer Branche geschuldet sein, die seit Menschengedenken die Inhalte dem Visuellen unterordnet. Denn trotz gelegentlicher Effekthaschereien bleibt »The Old Guard« auch weit über die großartigen Special Effects hinaus - man denke an den plötzlichen Wundverschluss! - ein angenehmes Erzeugnis angesichts der Masse an testosterongefluteter Fernsehunterhaltung.

»The Old Guard«, abrufbar auf Netflix

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