»Mickey 17«: Sterben lernen!

»Mickey 17« von Bong Joon-ho ist Science-Fiction-Komödie und sozialkritische Satire zugleich

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 6 Min.
Irgendwann bekommt Mickey 17 es mit seinem Doppelgänger zu tun. Besser gesagt: mit Mickey 18, seinem Klon.
Irgendwann bekommt Mickey 17 es mit seinem Doppelgänger zu tun. Besser gesagt: mit Mickey 18, seinem Klon.

»Es ist schrecklich, zu sterben. Ich hasse es. Es macht mir Angst.« Das sagt Mickey. Und er muss es wissen. Denn Mickey ist schon ziemlich oft gestorben. Weswegen er auch immer wieder von neugierigen Mitmenschen gefragt wird, wie das denn so sei, das Sterben.

Mickey hat das Sterben sozusagen zu seinem Beruf gemacht. Genaugenommen handelt es sich gar nicht um Mickey, der hier spricht, sondern um Mickey 17. Denn Mickey, mit vollem Namen Mickey Barnes, ist bereits lange tot. Doch immer wieder aufs Neue stirbt er unschöne Tode. Zum Beispiel an einem unbekannten Virus auf einem fernen Planeten, der besiedelt werden soll, über den die Menschheit aber noch nichts weiß. In so einem Fall wird immer Mickey vorgeschickt, bevor das Raumschiff landet. Denn: Wer weiß schon, was einem auf so einem sonderbaren unbekannten Planeten, auf dem es immer schneit und auf den ersten Blick weit und breit kein Leben zu entdecken ist, am Ende droht, wenn man sich arglos dessen Atmosphäre aussetzt? Deshalb: Erst mal Mickey rausschicken. Wenn Mickey dann von seiner Patrouille zurückkommt und Blut spuckt, um danach schließlich röchelnd zu verenden, weiß man: Da kann etwas nicht stimmen auf diesem Planeten. Auf diese Art sind Mickey 8, 9, 10, 11, 12 und 13 gestorben. Immerhin für einen guten Zweck: Die Wissenschaft hat schließlich dank eines Impfstoffs den Virus besiegt.

Bevor nun die Verwirrung allzu groß wird: Wir befinden uns im Jahr 2054. Die Welt ist, wie man ahnen kann, in keinem schönen Zustand: Rohstoffknappheit, Umweltkollaps, Überbevölkerung. Der Hardcore-Kapitalismus unserer Zeit hat seinen Tribut gefordert. Aber die Wissenschaft – privat finanziert, versteht sich – hat derweil große Fortschritte gemacht: Man kann Menschen klonen. Das Material, das für die Herstellung von Klonen benötigt wird, ist zuhauf vorhanden: Sie werden aus »Human Waste« hergestellt, also aus menschlichem Darminhalt und aus allem, was sonst noch so zurückbleibt von einem Menschen nach seinem Tod. Ein schöner Energiekreislauf.

Mickey 17 ist so ein Klon. Genauer gesagt: Er ist ein »Expendable«, was auf Deutsch ungefähr so viel heißt wie »Entbehrlicher«. Oder auch: »zu Verbrauchender«. Was eine sehr gute Bezeichnung für den Beruf ist, den er ausübt. Als er noch nicht Mickey war, sondern noch Mickey Barnes, hat er – in Not und in der Absicht, vom Planeten Erde zu entkommen – seine Unterschrift unter einen Vertrag gesetzt, der Folgendes vorsieht: Mickey arbeitet künftig in der Forschung, und zwar als »Expendable«. Das bedeutet: Mickey ist ein menschliches Versuchskaninchen, an dem Sachen ausprobiert werden, die nicht selten seinen Tod zur Folge haben, zum Wohle der Menschheit. Wenn zum Beispiel die Effektivität eines neu entwickelten tödlichen Nervengases getestet werden muss, testet man es zuerst an Mickey. Mickey stirbt dann, meist auf ungute und anstrengende Art. Das ist aber kein Problem, denn der Vertrag, den er unterschrieben hat, besagt, dass Mickey – oder richtiger: ein Klon von Mickey – gleich am nächsten Tag wieder aus einem supermodernen 3D-Drucker (»Human Printer«) frisch ausgedruckt wird. Mickeys komplette Daten, insbesondere seine Identität, seine Erinnerungen, sprich: sein Gehirninhalt, sind alle sauber im Labor abgespeichert, und immer wenn Mickey bei der Ausübung seines Berufs sein Leben aushaucht, ist pünktlich am nächsten Morgen schon Mickeys Klon zur Stelle. Soll heißen: Der alte Mickey ist tot, es lebe der frisch fabrizierte Mickey! Und dann beginnt das Leben von neuem. Nur weiß man nie, ob das neue Leben nur 12 Minuten dauert oder mehrere Monate. Aber das ist nun mal der Job.

Der südkoreanische Filmregisseur Bong Joon-ho, ein Spezialist für groteske Filme, die einen genauen Blick auf die kapitalistischen Verhältnisse der Gegenwart und Zukunft werfen, hegte bisher keine Scheu, was eine Kritik der Klassengesellschaft und ihrer Folgen betrifft: Bereits sein erster Langfilm »Barking Dogs Never Bite« (2000) erzählt von Armut und sozialer Hierarchie; im dystopischen Science-Fiction-Thriller »Snowpiercer« (2013) probt das Proletariat den Aufstand gegen die in Saus und Braus lebenden Herrschenden; in »Okja« (2017) ist es der Versuch, menschlich zu handeln in einer von profitgierigen Großkonzernen dominierten Welt, der im Mittelpunkt steht; in der Filmsatire »Parasite« (2019) nistet sich eine arme Familie auf clevere Art mehr und mehr in der Villa einer reichen ein.

Nicht selten ist in Bong Joon-hos Filmsatiren der soziale Kommentar aufklärerisch und pessimistisch zugleich: Die Klassenschranken sind undurchlässig; in einer ungerechten und von struktureller Gewalt zusammengehaltenen Welt ist die Eskalation von Gewalt die notwendige Folge; die gesellschaftlich Benachteiligten und Marginalisierten tragen, anstatt den Klassenkonflikt zu erkennen, die Kämpfe untereinander aus.

Mit seinem neuen Film »Mickey 17« hat Bong nun eine ziemlich lustige schwarze Science-Fiction-Komödie vorgelegt, in der sich – ähnlich wie in den Storys des US-amerikanischen Schriftstellers Philip K. Dick, eines Hauptvertreters der »New-Wave«-Science-Fiction der 60er Jahre – ein Anti-Held in einer fortgeschrittenen kapitalistischen und mit faschistischen Zügen versehenen Gesellschaft mit Fragen der Identität des Menschen und der Genese von Realität auseinandersetzen muss. Wobei hier, mit den Mitteln der Komik, etliche philosophische Fragen abgehandelt werden: Was ist der Mensch? Welchen Wert hat sein Leben? Was ist der Tod? Ist der Tod ein Gut oder ein Übel oder keines von beiden? Und welche Vorteile hat die Sterblichkeit? Philosophieren heißt Sterben lernen!

Marshalls Redeweise und Akzent sind der infantil-großkotzigen Angeberei Trumps nachempfunden.

Außer der bei Bong üblichen finsteren Komik wird auch in »Mickey 17« wieder Slapstick und Action geliefert, alles schön aufbereitet in einem retrofuturistisch designten Setting: Die Expedition zu dem oben erwähnten kargen und kalten Winterplaneten per Raumschiff wird finanziert von dem christlichen Fundamentalisten Kenneth Marshall, einem narzisstischen, dummen, verlogenen, reaktionären Politiker, der mit seinen Gefolgsleuten auf dem anvisierten Planeten eine Kolonie »reinrassiger« Menschen gründen will und der ansonsten ausschließlich an persönlicher Bereicherung und seinem eigenen Wohlergehen interessiert ist. Wer jetzt an Trump, Musk oder Merz denkt, liegt nicht völlig daneben. Der Regisseur hat jedenfalls in seinem Film zahlreiche Hinweise hinterlassen, die schwer zu ignorieren sind: Marshalls Redeweise und Akzent sind der infantil-großkotzigen Angeberei Trumps nachempfunden. Seine Fantasieuniform ähnelt jener der Offiziere des bösen »Imperiums« aus der »Star Wars«-Saga, deren Uniformen wiederum ein Design aufweisen, für das erkennbar die Nazioffiziersuniformen die Vorlage bildeten.

In der Hierarchie der Raumschiffbesatzung ist Mickey 17 sozusagen der menschliche Bodensatz. Er und die anderen Ausgebeuteten, die hier Dienst ableisten müssen, tragen mausgraue Kittel, und bei der Essensausgabe erhalten sie undefinierbare graue Brocken als Nahrung, während man zwei Etagen höher Champagner trinkt.

Irgendwann im Lauf des Geschehens bekommt Mickey 17 es mit seinem Doppelgänger zu tun. Besser gesagt: mit Mickey 18, seinem Klon. Wobei genaugenommen er selbst ja auch ein Klon ist. Egal. Mickey 17 hätte jedenfalls eigentlich auf dem bereits erwähnten unwirtlichen Planeten, auf dem er der Einfachheit halber zurückgelassen wurde, einen Erfrierungstod sterben sollen. »Ich wünsch dir einen angenehmen Tod!« (»Have a nice death«), verabschiedet sich sein Kollege noch lächelnd von ihm. Doch dann wird Mickey 17 überraschend von großen unansehnlichen Krabbeltieren, die aussehen wie überdimensionierte Kellerasseln, vor dem Tod bewahrt. Mickey 18 ist aber zu dem Zeitpunkt schon ausgedruckt worden. Und so entstehen zwangsläufig Probleme. Denn überzählige Klone, sogenannte »Multiples«, sind nicht vorgesehen.

Bongs Verschmelzung von turbulenter Screwball Comedy, Creature Feature und sozialkritischer Satire ist grandioses Kino. Nur schade, dass der Film »hoffnungsvoller endet, als wir das momentan verdienen«, wie Alison Willmore vom »New York Magazine« schreibt.

»Mickey 17«: USA 2025. Regie und Buch: Bong Joon-ho. Mit: Robert Pattinson, Naomi Ackie, Steven Yeun, Toni Collette, Mark Ruffalo. 137 Min. Jetzt im Kino.

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