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»Die Zwangsarbeiter hatten die gefährlichsten Arbeiten«
Die neuen Besitzer planen auf dem Areal einer ehemaligen Nazi-Rüstungsfabrik einen »ökologischen Zukunftsstandort«
Das Betreten des Geländes ist bis heute verboten. »Stop! Gefahrenbereich!« steht auf einem am Maschendrahtzaun befestigten Schild. »Kameraüberwachung. Verstärkte Polizeibestreifung. Hausfriedensbruch wird zwingend zur Anzeige gebracht.« So viel Warnung weckt Neugier. Durch ein Loch, das andere vor uns in den Zaun gerissen haben, schlüpfen wir auf die andere Seite. Wir stolpern einen von Brennnesseln und anderen Pflanzen überwucherten Abhang hinunter und stehen plötzlich vor einer rostigen Eisentür. Durch leichten Druck gibt sie nach – und den Blick frei in das Innere einer verwüsteten Halle. Überall liegen Trümmer herum. Trübes Licht fällt durch eine Auslassung unter dem kuppelförmigen Dach, ein tiefes Loch im Boden ist nur notdürftig abgedeckt.
Das Gebäude ist eines von ursprünglich mehr als 200, die zum »Werk Tanne« gehörten. Die Fabrik war von 1939 bis 1944 in Betrieb und diente den deutschen Faschisten vor allem zur Produktion von Trinitrotoluol (TNT). Schon unmittelbar nach ihrer Machtübernahme hatten die Planungen für einen massiven Ausbau der Spreng- und Kampfstoffproduktion in Deutschland begonnen. Anfang des Jahres 1934 hielten Experten im Oberharz Ausschau nach einem geeigneten Gelände – und sie wurden im dichten Wald bei Clausthal-Zellerfeld fündig. 1936 war die Anlage, die aus Tarnungsgründen »Werk Tanne« genannt wurde, fertig gebaut. Neben der TNT-Herstellung wurden dort auch Bomben, Minen und Granaten befüllt. Um 1942 schufteten rund 2500 Menschen im »Werk Tanne«.
Unter ihnen waren auch viele Kriegsgefangene und viele aus der Sowjetunion verschleppte Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen, weiß der Geologe und Umweltschützer Friedhart Knolle aus Goslar. Vor allem sie hätten die gefährlichsten Arbeiten ausführen und die Sprengkörper mit dem hochgiftigen TNT befüllen müssen. Bei einer schweren Explosion im Juni 1940 starben 61 Menschen. In Clausthal-Zellerfeld barsten damals die Scheiben, der Rührstab der Nitrierungsanlage flog knapp zwei Kilometer weit bis zum Klepperberg. Knolle, Co-Autor des kürzlich erschienenen Buches »Tarnname ›Tanne‹«, lüftet seit Jahren die Geheimnisse um die Fabrik, warnt vor den anhaltenden Belastungen für die Umwelt.
Von draußen dringt Baulärm durch die zerborstenen Fenster in die Halle. Seit vielen Jahren läuft die Sanierung des 74 Hektar großen Areals. Die Arbeiten sind schwierig, Altlasten und Schadstoffe liegen an vielen Stellen. So führte die Abwasserleitung der Fabrik bis ins zwölf Kilometer entfernte Osterode, wo die Rückstände im Boden versenkt wurden. Auch sind nur wenige Dokumente von damals erhalten. Zudem sollen neue Eingriffe keine stabil lagernden Stoffe aufwirbeln.
Aber es gibt Fortschritte. Der vorherige Grundstückseigentümer, die aus der bundeseigenen Industrieverwaltungsgesellschaft hervorgegangene Firma IVG Immobilien, ließ ein Pufferbecken und eine Aktivkohleanlage errichten, die belastetes Wasser speichern und reinigen soll. In den benachbarten Pfauenteichen haben Niedersachsens Landesforsten fast alle Altablagerungen entfernt. Belastete Schlämme mussten auf Sondermülldeponien entsorgt werden. »In den oberen beiden Teichen würde ich inzwischen wieder angeln«, sagt Knolle. Im unteren ist Fischen und Baden bis heute verboten.
Seit Februar 2018 besitzt die Halali Verwaltungs GmbH mit Sitz in Liebenau das Gelände. Die Geschäftsführer Jens Jacobi und Alexander Schönburg-Hartenstein haben angekündigt, das ehemalige »Werk Tanne« zu einem »ökologischen Zukunftsstandort« umzubauen. Eine Pflanzenkläranlage mit Speicherbecken – die größte dieser Art in Deutschland – soll auf natürliche Weise giftige Verbindungen aus den Sickerwässern filtern. Sie könnte schon im Herbst in den Probebetrieb gehen, sagt Jacobi. Auch eine Photovoltaikanlage ist geplant. Sie soll jährlich rund 17 Millionen Kilowattstunden Strom erzeugen und 5000 Haushalte in Clausthal-Zellerfeld mit erneuerbarer Energie versorgen. Auf Dauer, hofft Jacobi, könnten sich kleine und mittlere Unternehmen ansiedeln. Im aktuellen Bebauungsplan ist der künftige »Gewerbepark Tanne« bereits ausgewiesen.
»Um in eine erfolgreiche Zukunft zu starten, ist zuerst eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit unabdingbar«, sagt der Geschäftsführer aber auch. Am 7. Oktober 1944 hatten Flugzeuge der US-Luftwaffe die Sprengstofffabrik angegriffen und 70 Gebäude zerstört. Fast 100 Menschen kamen dabei ums Leben, in der Mehrheit Zwangsarbeiter. Für sie gibt es jetzt erstmals eine Gedenk- und Erinnerungstafel an der Kriegsgräberstätte an den Pfauenteichen, dem sogenannten Russenfriedhof. »Für eine solche Gedenktafel habe ich viele Jahre gekämpft«, sagt Knolle. Die feierliche Einweihung folgt im September.
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