Sozialisten brauchen »Engagement«
»Libération«-Chefredakteur peilt mit Sammlungsbewegung die französische Präsidentschaftswahl an
Das Ziel ist klar: die Präsidentschaftswahlen 2022. Über die Bildung einer neuen linken Sammlungsbewegung will der ehemalige Chefredakteur der Zeitung »Libération«, Laurent Joffrin, Frankreichs Linke mittelfristig wieder regierungsfähig machen. Für dieses politische Anliegen legt er sein Amt an der Spitze der größten linken Zeitung Frankreichs nieder. »Libération« war aus den Studentenunruhen und dem Generalstreik vom Mai 1968 hervorgegangen.
Die Bewegung »Engageons-nous« (Engagieren wir uns) soll offiziell am 30. August - zeitgleich mit der Sommeruniversität der Sozialistische Partei in La Rochelle - in einem Pariser Theater aus der Taufe gehoben werden. Den Aufruf, der Anfang der Woche veröffentlicht wurde, haben zusammen mit Laurent Joffrin 130 namhafte Intellektuelle, Persönlichkeiten aus Kultur und Wissenschaft, ehemalige Gewerkschafter und Aktivisten linker Organisationen unterzeichnet. Dazu gehören beispielsweise die Schauspielerin Agnès Jaoui, die Theaterdirektorin Ariane Mnouchkine, die Soziologen François Dubet und Michel Wieviorka, die Anthropologin Dounia Bouzar, die Schriftstellerin Noelle Châtelet und die Journalistin Laure Adler.
In dem Text wird festgestellt, dass die jüngsten Kommunalwahlen neue Hoffnungen für Frankreichs Linke geweckt haben. Doch um ihr wieder eine gewichtige Rolle auf nationaler Ebene zu verschaffen, brauche sie »ein glaubwürdiges Programm, mit dem man auch regieren könnte«. Die Unterzeichner bedauern, dass die Linke durch die schweren Niederlagen bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2017 das Feld freigelassen haben für Emmanuel Macron und seine rechtsextreme Herausforderin Marine Le Pen. Um diese Konstellation zu ändern, brauche Frankreichs Linke eine »zentrale Kraft« zwischen den Grünen einerseits und radikalen Kräften wie La France insoumise andererseits, die geeignet ist, einen aussichtsreichen linken Kandidaten für die Präsidentschaftswahl 2022 aufzustellen und zum Erfolg zu tragen.
Nach Ansicht von Laurent Joffrin soll die neue Bewegung alle sozialdemokratisch orientierten linken Kräfte des Landes einschließlich der Sozialistischen Partei und der von ihr abgefallenen Gruppierungen sammeln, enttäuschte Macron-Anhänger auffangen. Dazu soll sie auch bisher politisch nicht aktive, aber linksgesinnte Franzosen aufnehmen. Es sei unerträglich, betont Joffrin, dass die Sozialistische Partei, der er selbst viele Jahre lang angehört hat, politisch bis zur Bedeutungslosigkeit verkümmert ist und im Kielwasser der Grünen nur noch »sozial-ökologische« Positionen vertritt. Frankreichs Linke brauche ein neues Zentrum, um alle Kräfte zu sammeln, die realistische und pragmatische linke Alternativen zur gegenwärtigen rechten Politik suchen, sich aber auch »nicht durch die Ökologie dominieren lassen wollen«.
Die Sozialistische Partei und ihr Vorsitzender Olivier Faure verdächtigen den ehemaligen Präsidenten François Hollande, hinter der Initiative seines langjährigen Freundes Laurent Joffrin zu stehen, und sich so für die Präsidentschaftswahl 2022 in Erinnerung und in Stellung zu bringen. »Hollande sucht seit Monaten ein Fenster, durch das er wieder ins politische Leben des Landes zurückklettern könnte«, meint Olivier Faure. »Er begreift einfach nicht, dass ihn niemand vermisst und zurückhaben will. Was uns Sozialisten von den Franzosen am meisten vorgeworfen wird, ist das katastrophale Erbe der Amtszeit von Hollande.«
Laurent Joffrin räumt ein, dass er über seine Initiative zuvor mit dem Ex-Präsidenten gesprochen hat, aber auch mit anderen ehemaligen PS-Spitzenpolitikern wie Bernard Cazeneuve, Ségolène Royal und Jean-Christophe Cambadélis. Doch Einfluss auf seinen Vorstoß habe François Hollande nicht genommen. Aus dessen Umfeld heißt es, dass er die Initiative von Joffrin »wohlwollend beobachtet« und dass sich die Idee für eine »sozialdemokratische Renaissance« mit dem decke, was er selbst denkt und empfindet.
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