Eine Bande als Konzernvorstand

Staatsanwaltschaft konnte ihre Vorwürfe gegen die Wirecard-Führung dank eines Kronzeugen massiv ausweiten

Der Straftatbestand des »gewerbsmäßigen Bandenbetrugs« wurde einst ins Strafgesetzbuch aufgenommen, um besser gegen Mafiastrukturen vorgehen zu können. In besonders schweren Fällen erwartet den Delinquenten eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Es kommt nicht alle Tage vor, dass die Justiz dies einem Dax-Unternehmen vorwirft. Aber im Wirecard-Skandal scheint nichts unmöglich.

Dass die Staatsanwaltschaft München ihre Vorwürfe gegen die früheren Vorstände des Finanzdienstleisters massiv ausweiten konnte, hat einen einfachen Grund: Ein nicht namentlich genannter Kronzeuge hat ausgepackt und den Ermittlern Licht in den bislang recht dunklen Fall gebracht. Dabei dürfte es sich um den früheren Chef einer Wirecard-Tochtergesellschaft in Dubai handeln. Die Cardsystems Middle East war für das Geschäft in Asien zuständig, wo sich die Betrügereien ereigneten. Bislang ging die Justiz davon aus, dass die Konzernspitze Hinweisen über Unregelmäßigkeiten unzureichend nachgegangen sei und zu spät die Aktionäre informiert habe. Es stand noch die Möglichkeit im Raum, dass das Unternehmen selbst Opfer von Betrügern geworden ist. Jetzt wirft die Staatsanwaltschaft Konzernchef Markus Braun, seiner rechten Hand Jan Marsalek, dem früheren Finanzvorstand Burkhard Ley und dem ehemaligen Chef der Buchhaltung vor, seit 2015 die Bilanzfälschung angeordnet und durchgeführt zu haben. Drei der Beschuldigten wurden am Mittwoch in Untersuchungshaft genommen, während Marsalek sich offenbar nahe Moskau, geschützt vom russischen Geheimdienst, versteckt hält.

Firmengeschichte

Wirecard wurde 1999 inmitten der New-Economy-Blase aus den Resten einer Berliner Internetfirma ausgegründet. Das Start-up erhielt damals vier Millionen DM von einem Münchner Wagniskaptalgeber. Geschäftsidee waren Dienstleistungen bei der elektronischen Zahlungsabwicklung im noch rudimentär vorhandenen Onlinehandel.

Der jetzt inhaftierte Chef Markus Braun kam 2002 zu Wirecard. Im Jahr 2005 ging die Firma an die Börse, ein Jahr später wurde sie in den TecDax für größere Technologieunternehmen aufgenommen, und im September 2018 gelang sogar der Aufstieg in die erste Börsenliga, den Dax.

Die junge Fintech-Firma profitierte davon, dass die Banken aus dem extrem margenschwachen Geschäft der Zahlungsabwicklung ausstiegen. Wirecard arbeitet vor allem für Unternehmen wie Aldi, Rossmann, BASF oder Münchner Flughafen und steht praktisch zwischen diesen und den Banken. Gleichzeitig bietet man virtuelle Kreditkarten an und hat in Deutschland eine Banklizenz. Skurrilerweile entwickelte man auch ein System für Betrugserkennung bei digitalen Zahlungen, das auch mit Künstlicher Intelligenz arbeitet.

Der Aufstieg war eng verbunden mit einer internationalen Ausweitung des Geschäfts. Ab 2007 wurde Wirecard in der Asien-Pazifik-Region aktiv, wo die späteren Betrügereien stattfanden. Man ist auch in Australien und Nordamerika vertreten, übernahm 2016 einen lateinamerikanischen Internet-Zahlungsdienstleister aus Brasilien.

Gerüchte über Betrügereien gab es indes schon lange vor dem jetzigen Fall. Insidern zufolge habe die Firma schon im Jahr 2008 Privatleuten aus den USA geholfen, die dortige Gesetzgebung zu Glücksspiel zu umgehen. Kreditkartenabrechnungen von Wirecard hätten Zahlungen an Blumenlieferdienste oder Handyshops in den Steueroasen Gibraltar und von den British Virgin Islands ausgewiesen, tatsächlich sei es illegal auf Online-Poker-Konten gelandet. Diese Information stammt allerdings aus einem Interview der Zeitschrift »Capital« mit dem Aktieninvestor Tobias Bosler, der seinerzeit hoffte, mit einem Absturz der Wirecard-Aktie viel Geld zu verdienen. 

In einem anderen Fall wurden Gerüchte über Wirecard gestreut und dann ebenfalls auf einen Kursabsturz gewettet. Zwei Vertreter der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger erhielten später Haftstrafen. KSte

Nach jetzigem Erkenntnisstand erfand die Wirecard-Chefetage Geschäfte mit Drittfirmen in Dubai und Südostasien, die für das deutsche Unternehmen angeblich Kreditkartenzahlungen in Südostasien und im Mittleren Osten abwickelten. In einigen Ländern hatte man keine Lizenz, selbst diese Geschäfte durchzuführen. Das Geld wurde vor Ort von Treuhändern verwaltet. In der Bilanz ausgewiesen wurde zuletzt eine Summe von umgerechnet 1,9 Milliarden Euro auf deren Konten, die offenbar nicht existierten. Einer der wichtigsten Treuhänder, ein Rechtsanwalt mit engen Verbindungen zur Familie des Autokraten Rodrigo Duterte, erklärte bereits vor einigen Wochen, er habe gar nicht gewusst, wer sein Auftraggeber sei. Mit der Summe auf dem Treuhandkonto habe man nicht mehr als ein iPhone kaufen können.

Die undurchsichtigen Strukturen in Asien schienen den Konzernchefs offenbar am besten geeignet zu sein, die Bilanz aufzublähen. Luftbuchungen in Deutschland wären vermutlich selbst der hiesigen Finanzaufsicht Bafin und den Wirtschaftsprüfern aufgefallen, die in dem Fall ja komplett versagten. Grund für die Bilanzfälschung dürfte gewesen sein, das Unternehmen in besseres finanzielles Licht zu rücken, um den Aktienkurs weiter in die Höhe zu treiben. Dies war Voraussetzung dafür, dass die relativ kleine Firma aus dem Münchner Vorort Aschheim bis in den Dax aufstieg und zeitweilig einen höheren Börsenwert aufwies als selbst die Deutsche Bank. Davon profitierten die Wirecard-Vorstände, die selbst große Aktienpakete halten, auch persönlich. Konzernchef Braun hatte einen Teil davon kurz nach Bekanntwerden des Skandals noch zu Geld gemacht.

Der eingesetzte Insolvenzverwalter wird nun die Geschäftszahlen der vergangenen Jahre neu schreiben lassen. Für den letzten Abschuss für das Jahr 2018 steuerte die Asien-Tochter mit 237 Millionen Euro einen Großteil der ausgewiesenen Gewinne bei, die nun Makulatur sein werden. Das hat Folgen für den hiesigen Steuerzahler: Der Insolvenzverwalter hat bereits angekündigt, Geld vom Fiskus zurückzufordern, da nicht existierende Gewinne nicht versteuert werden können.

Hart wird es auch die Aktionäre treffen, deren Kursgewinne sich in Luft aufgelöst haben, außerdem die rund 5000 Mitarbeiter, von denen viele wohl ihre Jobs verlieren werden, sowie die Gläubigerbanken in Deutschland und Japan. Diese vertrauten der rosigen Darstellung der Finanzlage bei Wirecard und gaben bereitwillig Kredite im Gesamtumfang von 3,2 Milliarden Euro. Diese Gelder sind aufgrund der Insolvenz »höchstwahrscheinlich verloren«, vermutet die Staatsanwaltschaft.

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