Kein sicherer Boden, nirgends
Eine Ausstellung im Gropius-Bau in Berlin über globale Ausbeutungszusammenhänge
Der Gropius-Bau scheint derzeit ein Haus der Wunden und des Heilens. Im großen Lichthof ist noch immer das Endprodukt der Performance »Guernica in Sand« des taiwanesischen Künstler Lee Mingwei zu sehen. Der Marmorfußboden ist mit farbigem Sand bedeckt, den der Künstler dort in der rituellen Praxis der tibetanischen Sandmandalas verteilte. Er nahm Picassos »Guernica« zum Anlass, um die Wunden, die das 20. und das 21. Jahrhundert den europäischen Gesellschaften beschert hatte, mit heilenden Gesten zu bedenken. Die Sandmalereien, die Picassos Motivik aufnahmen, wurden von einem Besen verwischt. Ein Video der fünfstündigen Performance hielt diesen Prozess fest.
Video und Installation werden zugleich zu einer gelungenen Ouvertüre für die Ausstellung »There’s No Such Thing as Solid Ground« von Otobong Nkanga. Man muss an Lee Mingweis Arbeit vorbei, um in die Räume zu gelangen, die Nkanga, im letzten Jahr Artist in Residence des Gropius-Baus, jetzt bespielt. Und während es bei Mingwei um das Heilen geht, lenkt die in Nigeria geborene Künstlerin Nkanga die Blicke vor allem auf die Wunden. Es handelt sich um die Wunden, die der global entfesselte Kapitalismus lokal schlägt. Was Nkanga wiederum mit ihrem aus Asien stammenden Künstlerkollegen verbindet, ist die sanfte, sehr poetische Art, in der dieses Wunden-Zeigen geschieht.
In der Installation »Solid Maneuvers« schichtet sie Platten aufeinander wie ein tektonisches Modell. Die Platten bestehen aus Kupfer und Aluminium, auch Erdöl und Acryl sieht man - alles Stoffe, die aus der Erde geschürft werden. Die Entnahmetätigkeit sorgt für Leere, für Hohlräume. Die geschichteten Platten erinnern zugleich an Berge, an Abraumhalden, das also, was übrig bleibt, wenn der Mensch mit Baggern und Schaufeln, mit Dynamit und ausgesteiften Schächten der Erde zu Leibe rückt. In einer per Video aufgezeichneten Performance sieht man Otobong Nkanga sich dann zwischen diesen Haldenskulpturen bewegen. Sie füllt die Leere. Sie dreht sich mit erhobenen Händen um die eigene Achse, was wiederum wirkt, als sei sie mit Händen, Kopf und Leib ein ganzes Planetensystem, das in diesem Raum seine Bahnen zieht.
Sehr meditativ wirkt die Installation »Taste of a Stone«. Ein ganzer Saal ist mit kleinen weißen Steinen ausgelegt. In diese Schicht sind zuweilen glatt geschliffene Steinplatten eingelassen. Vereinzelt bahnen sich Pflanzen einen Weg. Die Steine sind für Nkanga Erinnerungsträger. Gleichzeitig können sie als Markierungen verwendet werden, sie werden dann zu Instrumenten von Macht, Abgrenzung und Eigentum.
Den planetarischen Aspekt der Installation »Solid Maneuvers« trifft man später bei dem großen Wandteppich »Double Plot« wieder. Fotos in runder Form wirken da wie kosmische Kugelobjekte. Sie zeigen allerdings Aufnahmen von Unruhen und Aufständen. Verbunden sind diese Bildplaneten mit einem aufrecht stehenden Mann. Dessen Kopf geht in einen Baum über. Eine Mensch-Baum-Hybride ist ein Zeichen dafür, wie alles Leben mit allem anderen Leben verbunden ist. Ein Zeichen aber auch, wie sich Formen und Existenzen ändern können. Harmonie und Bedrohung sind hier in einem Balance-Verhältnis.
Dieser ambivalente Zustand macht den Reiz vieler Arbeiten Nkangas aus. Sie agitiert nicht. Sie mobilisiert auch keinen aufklärerischen Furor. Aber der Schmerz der Verletzung wird deutlich. Er schleicht sich gewissermaßen ins Gemüt, benutzt dabei als Brücke die ausdrucksstarke Ästhetik.
Allerdings lassen sich manche Arbeiten nicht leicht entschlüsseln. Hilfreich ist hier das Begleitblatt, das auf Hintergründe verweist und die eingesetzten Materialien erläutert. Neben einigen raumgreifenden In᠆stallationen bedient sich die Künstlerin aber auch kleinerer Formen. Einige surrealistisch anmutende Zeichnungen sind zu kleineren Gruppen angeordnet. Haare sieht man skulptural von Köpfen entfliehen. Ein an der Wand befestigter Scherenroboter versucht, eine in einem Blumentopf stehende Palme zu durchtrennen. Von einem Frauenkörper gelöste Arme hängen an Ringen frei in der Luft.
Der Titel »There’s No Such Thing as Solid Ground« trifft den Kern vieler Arbeiten gut. Gewählt war dieser Titel schon vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie; die Ausstellung selbst sollte auch früher eröffnet werden und wurde durch den Lockdown verzögert. Nicht mehr auf sicherem Grund zu stehen, passt aber auch perfekt für die jetzige Zeit. Man ist versucht, Otobong Nkanga seherische Fähigkeiten zuschreiben. Ein paar neuronale Impulse später merkt man aber, dass der festere Grund, auf dem man sich im globalen Norden zu befinden glaubte, vielleicht nur eine Illusion war und bestenfalls ein Privileg. Oder eben schlimmstenfalls, weil hierzulande die profitierenden Aspekte der globalen Ausbeutungsmechanismen die prekarisierenden noch immer übertönen.
Die Exposition »There’s No Such Thing as Solid Ground« ist ein sehr sanfter, aber umso nachdrücklicherer Augenöffner.
»Otobong Nkanga: There’s No Such Thing as Solid Ground«, bis 13. Dezember, Gropius-Bau,
Niederkirchnerstraße 7, Berlin.
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