Indigene und Schwarze sind besonders von der Gewalt betroffen

Die afrokolumbianische Aktivistin Francia Márquez über den stagnierenden Friedensprozess in Kolumbien

  • David Graaff
  • Lesedauer: 4 Min.

Vertreibungen, Morde, Massaker und bewaffnete Kämpfe sind in Kolumbien noch immer an der Tagesordnung. Ist der Friedensprozess gescheitert?

Das Friedensabkommen von 2016 mit der FARC bedeutete nicht den Frieden, sondern ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg dorthin. Gescheitert ist die Politik der Regierung.

Im Interview

Die afrokolumbianische Umwelt- und Menschenrechtsaktivistin Francia Márquez ist Vorsitzende des Nationalen Friedensrates, der die Umsetzung des Friedensabkommens zwischen der Regierung und der FARC-Guerilla überwachen soll, das 2016 verabschiedet wurde. Für ihr Engagement gegen illegalen Goldabbau erhielt die 38-Jährige 2018 den Goldman-Umweltpreis. Über die Lage in Kolumbien sprach mit ihr David Graaff.

Kann oder will die Regierung von Iván Duque nicht mehr für den Frieden tun?

Mir scheint, sie hat kein Interesse daran. Schon im Wahlkampf hat Präsident Duque betont, dass seine Regierung die Friedensvereinbarung ändern will. Der Staat aber kann nicht erst im Friedensvertrag etwas vereinbaren, und es dann nicht halten. So spielt man nicht. Er muss seiner verfassungsmäßigen Pflicht nachkommen, den Menschen ein würdiges Leben in Frieden zu garantieren. In den Territorien, in denen die Menschen schon vorher die Last der Gewalt tragen mussten, verschärft sie sich wieder.

Wie in der Provinz Cauca. Dort werden am häufigsten soziale Aktivisten ermordet. Warum hier?

Das hat viele Gründe. Die Tatsache, dass der Staat nicht Wort hält und an Glaubwürdigkeit verloren hat, hat dazu geführt, dass einige ehemalige FARC-Kämpfer wieder zu den Waffen gegriffen haben. Oder die Tatsache, dass es keine Fortschritte bei einer Verhandlungslösung mit der ELN-Guerilla gibt und Paramilitärs weiter existieren, hat Auswirkungen auf die Situation. Dazu kommen illegale Ökonomien, illegaler Bergbau und Drogenhandel.

Gleichzeitig leiden viele Territorien in Cauca bei Ernährung, medizinischer Versorgung, Bildung und so weiter unter einer strukturellen Vernachlässigung durch den Staat. Es gibt keine Bedingungen für ein würdiges Leben. Das macht die Gemeinschaften in Cauca, von denen viele indigene und afrokolumbianische Gemeinschaften sind, sehr verletzlich gegenüber den legalen und illegalen Ökonomien und bewaffneten Akteuren. Sie sind besonders von einer rassistisch motivierten Gewalt betroffen.

Inwiefern?

In den Territorien der Indigenen und Schwarzen werden der Kokaanbau beziehungsweise der illegale Bergbau und die Verwendung von Quecksilber geduldet. Die Akteure der illegalen Ökonomien machen mit den Menschen, was sie wollen. Diejenigen, die vergiftet werden, sind die Volksgruppen, um die sich niemand kümmert. In anderen Regionen, in den es große Ländereien von Großgrundbesitzern gibt, sieht man so etwas nicht.

Welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie auf den Friedensprozess gehabt?

Die Gewalt geht weiter, wie schon vor der Pandemie. Wir begrüßen, dass die ELN einen bilateralen Waffenstillstand vorgeschlagen hat, der jedoch von der Regierung abgelehnt wurde. Seitens des Rats für Frieden, Versöhnung und Zusammenleben setzen wir uns dafür ein, dass die Regierung die Möglichkeit eines Waffenstillstands und einer Verhandlungslösung in Betracht zieht.

Sie haben 2018 den Goldman Preis erhalten, der als »Nobelpreis für Umweltengagement« gilt. Wie sehen Sie von Kolumbien aus die Fridays-for-Future-Bewegung und Greta Thunberg?

Dass Greta Thunberg ihre Stimme erhebt, ist sehr wichtig. Es wäre wünschenswert, dass noch mehr weiße und europäische Menschen ihr Privileg so nutzen wie sie. Hier in Kolumbien gibt es viele Greta Thunbergs. Der Unterschied zu jemandem, der sich in Kolumbien gegen Umweltzerstörung einsetzt, ist, dass die Gretas hier zum militärischen Ziel erklärt und möglicherweise ermordet werden.

Welche Auswirkungen hat die anhaltende Gewalt gegen Aktivistinnen und Aktivisten auf die Organisationsprozesse?

Die Täter wollen durch Morde, Drohungen, Vertreibungen für Angst sorgen. Der Tod einer Aktivistin bringt nicht nur sie, sondern die ganze Bewegung um sie herum zum Schweigen. Wenn ich zum Beispiel meinen Mund aufmache, tue ich das nicht als Francia, sondern repräsentiere eine Bevölkerung, die jeden Tag ihre Rechte einfordert. Doch die Taten werden selten aufgeklärt. Vergangenes Jahr gab es ein Attentat auf mich, dessen Verantwortliche noch immer nicht ermittelt sind. Die Straflosigkeit ist eine Belohnung für die Täter. Die Gewalt gegen Aktivisten ist systematisch, und keine bloße Zahl, die man ermittelt.

Die Europäische Union und die Bundesrepublik Deutschland sind wichtige Geldgeber des Friedensprozesses. Wie können sie dazu beitragen, dass sich die Lage verbessert?

Wir begrüßen es, dass diese Regierungen zum Frieden beitragen, aber sie müssen auch kohärent sein. Sie haben eine sehr institutionelle Vorstellung von Frieden. Man kann sich nicht einerseits für ein Ende der Gewalt und die Einhaltung der Menschenrechte einsetzen und andererseits auch im Interesse der Unternehmen aus diesen Ländern ein Wirtschaftsmodell fördern, das auf der Ausbeutung von Rohstoffen basiert. Diese Unternehmen hoffen darauf, nun auch die natürlichen Ressourcen in Regionen Kolumbiens ausbeuten zu können, in denen es vorher einen bewaffneten Kampf gab. Doch das verschärft die Umweltkonflikte und damit die Gewalt gegen Aktivisten in den Territorien nur weiter.

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