Was gehört an die breite Öffentlichkeit?

Journalisten haben Sequenzen der Videovernehmungen des mutmaßlichen Lübcke-Mörders online gestellt.

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 3 Min.

Dürfen Medien Vernehmungsvideos von Verdächtigen veröffentlichen? Diese Frage wird derzeit in der Öffentlichkeit diskutiert, nachdem STRG_F, ein Programm des ZDF-Kanals Funk, ein rund 25-minütiges Video online gestellt hat. Darin sind Kernsequenzen aus Vernehmungen des mutmaßlichen Lübcke-Mörders Stephan Ernst zu sehen.

Die Aufnahmen seien »ein zeitgeschichtliches Dokument«, begründen die Journalisten ihre Entscheidung, die Sequenzen zu zeigen. Das Material sei ihnen »zugespielt« worden. Zuvor waren die kompletten Vernehmungsvideos - insgesamt 15 Stunden - im Gericht abgespielt worden.

In den zwei per Videokamera aufgenommenen Verhören schilderte der mutmaßliche Täter, wie er sich radikalisiert haben will und wie die Tat geschehen sein soll - in unterschiedlichen Varianten. Einige seiner Aussagen dürften nach einer weiteren Einlassung vom Mittwoch vor Gericht erneut infrage stehen. Ernst hat damit mittlerweile drei verschiedene Variationen des Tathergangs geschildert.

Doch welche Auswirkungen hat die Veröffentlichung der Videos auf den Prozess, der noch bis Oktober angesetzt ist? Der rechte Szeneanwalt Björn Clemens, Rechtsbeistand des als Unterstützer Mitangeklagten Markus H., hatte dem Vorsitzenden Richter Thomas Sagebiel am Mittwoch Befangenheit vorgeworfen, da er die Veröffentlichung des Videos nicht verhindert habe. Schließlich müssen die Videos von Prozessbeteiligten oder beispielsweise aus dem Gericht geleakt worden sein. Die Filmsequenzen würden nicht nur einen »Voyeurismus« der Öffentlichkeit bedienen, sondern könnten nun auch weitere Prozessbeteiligte in ihrem Aussageverhalten beeinflussen - eine rechtmäßige Fortsetzung der Verhandlung könnte so nicht gewährleistet werden. Darüber hinaus verletze die Veröffentlichung der Videos die Persönlichkeitsrechte von Ernst. Mit dem Gebot einer Resozialisierung und dem Recht auf Vergessen sei eine Veröffentlichung ebenfalls nicht in Einklang zu bringen, ergänzte Ernsts Anwalt Mustafa Kaplan gegenüber Medien. Ernst werde für alle Ewigkeiten im Internet an den Pranger gestellt.

In seltener Einigkeit verurteilten auch die Staatsanwaltschaft sowie die Nebenklagevertreter die Veröffentlichung, sahen jedoch bei Richter Sagebiel keine Verantwortung. Der Vorsitzende habe gar keine Möglichkeit gehabt, das Auftauchen des Videos im Internet zu verhindern.

Letztlich ist es vor allem eine presseethische Frage. Gibt man mit dem Video Ernst eine unnötige Plattform für seine Perspektive? Inwiefern kann er sich in einer Aufnahme inszenieren, die im Kontext einer Polizeivernehmung gemacht wurde? Reicht die Einordnung der Autoren, damit die Aussagen nicht für sich alleine stehen? Ist es nicht notwendige Transparenz, Videos, die Journalisten sehen dürfen, auch der breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen? Klar ist, dass hier grundlegende Fragen der Berichterstattung über Terrorprozesse aufgeworfen werden.

Ernsts Anwalt Kaplan beantragte in dieser Woche, den Film von STRG_F vor Gericht zu zeigen. Das könnte am Montag der Fall sein.

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