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Männer gegen die Moderne
Der Deutschrap neigt seit Jahren zu einer verkürzten Kapitalismuskritik und hegt seit Neuestem Sympathien für Verschwörungstheorien
Verschwörungsmythen und deutscher Sprechgesang sind in den letzten Jahrzehnten eine unheilvolle Allianz eingegangen. Die erste Generation der rappenden Weißbrote identifizierte die kapitalistische Moderne als ihren Feind, aber zu keiner Zeit gelang es ihr, eine materialistische Gesellschaftskritik in die durch die Musik vorgegebene Form zu pressen. Freundeskreis aus Stuttgart prophezeiten 1999 im Lied »Die Revolution der Bärte« das bald Köpfe rollen werden, da »andere an die Töpfe wollen«, die ihren »Tribut nicht falschen Götzen zollen«, »weil der Tanz ums Goldene Kalb nicht ungescholten bleibt«. Diese antisemitische Bildsprache entliehen aus der christlichen Liturgie, war schon vor 21 Jahren kein Grund für eine kritische Auseinandersetzung.
Nicht erst das Werk von Xavier Naidoo offenbart, dass die meisten rappenden Jungmänner in der Vergangenheit zu einer verkürzten Kritik der kapitalistischen Gesellschaft neigten und in ihren Texten Verschwörungsmythen verbreiteten. Das Raunen über jene Mächtigen, die angeblich die Welt lenken, die eindimensionale Einteilung der Welt in Gut und Böse und die zur Schau gestellte aggressive Männlichkeit waren schon immer fester Bestandteil der als progressiv missverstandenen Subkultur. Teile der deutschsprachigen Szene kultivierten zudem in den letzten Jahren ihr Faible für den aus den USA stammenden Mythos, wonach eine satanistische Machtelite - um jung zu bleiben - Kinderblut trinkt. »Da sind so Dinge, sehr reiche, sehr mächtige Leute, die sich daran irgendwie, keine Ahnung, was die damit machen, aber ich glaube schon daran, dass so etwas sein kann«, erklärte der Berliner Rapper Sido erst kürzlich in einem Gespräch mit dem Rapper Ali Bumaye.
Eine fundierte Kritik am kapitalistischen Normalvollzug sucht man vergeblich im deutschsprachigen Rap. Stattdessen werden im Duktus der Systemkritik unzählige Verschwörungsmythen verbreitet. »Ich halte Deutschrap in weiten Teilen für so antisemitisch wie den Rechtsrock«, erklärte der Ex-Rapper Ben Salomon erst kürzlich gegenüber der »Taz«.
Die Adaption der einst von der afroamerikanischen Community erfundenen Musikform durch nationalistische und rechte Akteure war immer nur eine Frage der Zeit. Es brauchte zwar einige Jahre, um die technischen Skills zu erlernen, aber derzeit plant Xavier Naidoo eine Kollaboration mit dem Nazi-Rapper Chris Ares. Die Tage der Unschuld sind für Deutschrap endgültig vorbei.
Aber es kommt noch schlimmer. In der derzeitigen Krise bietet gerade Sprechgesang eine perfekte Plattform, um die unzähligen wirren Mythen über die Entstehung von Covid-19 und seine weltweite Ausbreitung zu artikulieren. Der erste Track zu diesem Thema stammt von Bloody32 und trägt den Titel »Ein Volk«: »Nicht das Virus, sondern Politik hat uns ruiniert«, rappt darin der aus Cottbus stammende deutschnationale Sprechgesangsinterpret und beklagt, dass die Politik dafür verantwortlich ist, dass »die Wirtschaft untergeht«. Als Punchline nutzt er das Motto »Wir sind das Volk« und sucht damit gezielt den Anschluss an die derzeitigen Proteste gegen die Krisenregelungen.
Mit seinem professionell produzierten Video erreicht der Fan des Fußballvereins Energie Cottbus derzeit in den sozialen Medien eine beachtliche Reichweite. Zu sehen sind in den Aufnahmen Ausschnitte von den Protesten in Berlin und Brandenburg. Zwischendurch taucht auch der vegane Koch und Verschwörungsideologe Attila Hildmann auf. Inhaltlich handelt es sich um eine wilde Aneinanderreihung von sich widersprechenden Vorwürfen. So soll die Bevölkerung von »Anfang an belogen« und in »Panik« versetzt worden sein, andererseits hätte die Regierung falsch gehandelt und »zu spät« reagiert, weshalb die Menschen erst krank wurden.
Eine Konsistenz der Argumente erwartet sein Publikum nicht. Allein die wiederholte Aneinanderreihung von altbekannten Ressentiments wird geschätzt. In den Kommentarspalten träumen die User dann vom »Freiheitskampf«, es wird davon geschwärmt, dass »der Text einfach nur die pure Wahrheit« sei, und einige bekunden bereitwillig, dass sie den Song »in Dauerschleife« hören. Das Video entfaltet seine gewünschte Wirkung. »Es wird wiedermal Zeit für einen Aufstand«, schreibt ein weiterer Nutzer. Der Versuch deutscher Neonazis, an den Erfolg großer Teile der Verschwörungsideologen mittels subkultureller Stilmittel anzuknüpfen, scheint in diesem konkreten Fall von Erfolg gekrönt.
Die Zukunft des Deutschraps wird düster. Wie in der Mehrheitsgesellschaft, wird der Diskurs gerade verschoben. Die Experten vom Online-Netzwerk »HipHop.de« konstatierten im April geknickt, dass das »aus Hip-Hop-Perspektive eigentlich positiv konnotierte Wort ›systemkritisch‹« längst einen »braunen Beigeschmack« hat. Ihre Haltung, anstatt den erhobenen Zeigefinger »in Richtung des braunen Mobs« zu schwenken, lieber den senkrechten Mittelfinger zu zeigen, ist mehr als sympathisch. Die jahrelange Weigerung der Szenekoryphäen, sich mit den Themen Antisemitismus, Homophobie und Sexismus im deutschsprachigen Rap zu beschäftigen, gilt es aber ebenfalls kritisch zu hinterfragen.
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