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Grasende Rinder als Klimaschützer
Dauergrünland kann Kohlendioxid aus der Luft holen und den Kohlenstoff im Boden einlagern. Dieser Effekt wird durch Beweidung noch verstärkt.
Noch vor wenigen Jahren gingen Werbestrategen der Autokonzerne damit hausieren, dass die Emissionen einer Kuh für das Klima etwa so schädlich seien wie ein Kleinwagen. Ein Hersteller stellte unsinnigerweise gar einen Zusammenhang zur Ozonschicht her. Für die Vergleiche nahm man einige »Vereinfachungen« vor: Während die Emissionen aus der Autoherstellung vernachlässigt wurden, rechnete man bei der Tierhaltung Emissionen von der Herstellung der Düngemittel bis zum Anbau der Futtermittel mit ein.
Eine Studie der Universität Wien von 2012 bedient sich ebenfalls des Autovergleiches. Allerdings nimmt sie die gesamte Fleischproduktion unter die Lupe, wobei sie nach Produktionsweisen und Herkunftsländern differenziert. Demnach belastet ein Kilogramm Rindfleisch aus den Niederlanden mit 22 Kilogramm Kohlendioxid das Klima ähnlich wie 111 Kilometer Autofahren. Rindfleisch aus Brasilien hingegen schlägt mit 335 Kilogramm Kohlendioxid zu Buche, was einer Fahrt über 1600 Kilometer mit einem europäischen Pkw entspräche.
Anfang 2019 rätselten Wissenschaftler um Euan G. Nisbet von der University of London über den starken Anstieg von Methan in der Atmosphäre zwischen 2014 und 2017. Im Fachjournal »Global Biogeochemical Cycles« (DOI: 10.1029/2018GB006009) machen die Autoren unter anderem die Rinderhaltung für den Methan-Anstieg verantwortlich.
Allerdings warnt Kurt Schmidinger, Koautor der oben erwähnten Wiener Studie, davor, von Weidehaltung auf industrielle Tierhaltung umzustellen, weil dies den Druck auf die Ackerflächen erhöht. Mastschweine, Mastrinder oder Milchkühe, die auf engstem Raum in Ställe eingepfercht sind, übertragen nicht nur Seuchen und leiden unter Tierkrankheiten, sie produzieren auch Unmengen an Gülle. Unterm Strich werden in der industriellen Tierproduktion mehr Treibhausgase emittiert als mit extensiver Weidehaltung, so der Experte.
Kohlenstoff speichern bis in die Wurzelspitzen
Allerdings ist der Methanausstoß von Kühen auf der Weide schwierig zu messen, weil er stark von Futteraufnahme, Stoffwechsel sowie der Bewegung einzelner Tiere abhängt, erklärt Ralf Loges von der der Christian-Albrechts-Universität Kiel. Gemeinsam mit seinem Kollegen Arne Poyda misst Loges seit Juli 2020 auf dem ökologischen Versuchsgut Lindhof der Agrar- und Ernährungswissenschaftlichen Fakultät den Methanausstoß von Weidekühen unter Realbedingungen. Die Wissenschaftler wollen wissen, wie viel Methan eine Milchviehherde ausstößt. Gleichzeitig untersuchen sie die Ressourceneffizienz der Milchproduktion. Deutschlandweit machen die Emissionen aus der Landwirtschaft mehr als sieben Prozent der Gesamtemissionen aus. In Schleswig-Holstein liegt der Anteil sogar über 20 Prozent, wobei der größte Teil aus der Rinderhaltung kommt.
Innerhalb von Millionen Jahren beeinflussten Wildpferde, Auerochsen und Wisente durch Beweidung die Entwicklung des Dauergrünlandes. Als Menschen vor knapp 11 000 Jahren die ersten Wildrinder domestizierten, prägten weidende Wiederkäuer fortan die Graslandschaften auf Hochebenen und in Bergregionen. Bis ins frühe Mittelalter hinein beweideten Wisente die Urwälder in West-, Zentral- und Südosteuropa. Heute versucht man Wisente vor allem wegen ihrer Leistungen in der Landschaftspflege an geeigneten Orten wieder anzusiedeln.
Überall wo der Boden über Jahre hinweg mit mehrjährigen Gräsern bedeckt und wo nachhaltiges Weidemanagement praktiziert wird, lagert sich atmosphärischer Kohlenstoff im Boden ein, erklärt die Veterinärmedizinerin Anita Idel. Denn Gräser produzieren in den Feinwurzeln unter der Erde mehr Biomasse als in den Halmen über der Erde. Die ausgedehnten Wurzelsysteme durchdringen den Boden häufig einige Meter tief. Je mehr es davon gibt, umso mehr Kohlenstoff wird eingelagert. Zudem verlangsamen die dicht verfilzten meterlangen Wurzeln den Wasserabfluss. So wird nicht nur Bodenerosion verhindert, sondern die Struktur beschädigter Böden wieder aufgebaut.
Damit sich eine Tonne Humus bilden kann, werden der Atmosphäre neben Sauerstoff auch 1,8 Tonnen Kohlendioxid entzogen. Insgesamt wird eine halbe Tonne Kohlenstoff dauerhaft im Boden eingelagert. So kann Dauergrünland klimawirksame Gase binden. Im Umkehrschluss werden die Gase, überall dort, wo Grünland umgebrochen wird, wieder freigesetzt.
Bei all diesen Prozessen spielt Beweidung eine Schlüsselrolle: Beißt ein Weidetier in einen Grashalm, löst es einen Wachstumsimpuls direkt in den Wurzeln aus. Infolge dessen nimmt die Wurzelmasse zu. Bei nachhaltiger Beweidung erhöht sich nicht nur die Bodenfruchtbarkeit, auch die Erosion verringert sich, während der Boden insgesamt mehr Wasser aufnimmt. Je vielfältiger und weiträumiger die Vergesellschaftung mit Bodenorganismen wie Bakterien und Pilzen, desto besser werden Nährstoffe aufgenommen und umso besser wird das Wasser weitergeleitet.
Wegen seiner Ausdehnung kann Dauergrünland weltweit rund 35 Prozent des in den terrestrischen Ökosystemen eingelagerten Kohlenstoffs speichern. Das betrifft vor allem Wiesen und Weiden, die seit mindestens fünf Jahren nicht als Acker genutzt wurden. Allerdings bedürfen steile Hanglangen, aber auch vernässte und trockene Böden eines besonderen Weidemanagements, damit die Grasnarbe nicht geschädigt wird.
Im Vergleich dazu bildet intensiv bewirtschaftetes Grünland nur wenig Wurzelmasse aus. Nicht nur das Potenzial zur Bodenbildung und Wasserspeicherung nimmt ab, sondern auch biologische Vielfalt und Bodenfruchtbarkeit. Auch speichert neu eingesätes Gras wegen seiner kleinen und filigranen Wurzeln kaum Kohlenstoff. Dafür fixiert es mehr Stickstoff und verbessert somit die Bodenstruktur. Andererseits kann sich schlecht bewirtschaftetes Grünland relativ schnell in humusreichen fruchtbaren Boden zurückverwandeln.
Moderne Milchrinderzucht - Tierquälerei ohne Sinn
Nicht nur die Ökosystemleistungen, auch der ökonomische Wert fruchtbaren Grünlandes im Milchviehbetrieb wird oft unterschätzt: So kann eine Kuh allein aus dem Grundfutter von hochwertigem Gras und Klee das Zehnfache ihres Körpergewichtes an Milch pro Jahr bilden. Aber nur dann, wenn sie in der Lage ist, Gras in Milch umzusetzen. Die moderne Hochleistungsmilchkuh, die zeitlebens mit Getreide, Mais, Gerste und Sojaschrot gefüttert wird und die täglich 40 bis 50 Liter Milch geben muss, wird von einem Gang auf die Weide nicht annähernd dieselbe Leistung liefern. Die moderne Milchkuh gibt inzwischen mehr Milch, als ihr Organismus verkraften kann. Das geht so weit, dass sie den gewaltigen Energiebedarf ihrer eigenen Milchproduktion mit der Nahrungsaufnahme nicht mehr decken kann. Nach maximal drei Jahren Milchproduktion magern solche Kühe stark ab und gehen mit einem Durchschnittsalter von fünf Jahren zum Schlachter. Diese Art von Tierzucht ist nicht nur Tierquälerei, sie ergibt auch ökonomisch keinen Sinn.
Um die wachsende Zahl an Nutztieren in industrieller Massentierhaltung satt zu bekommen, werden mehr als zwei Drittel der in der EU verfütterten Proteine importiert. Seit den 1970er Jahren geht die Intensivierung der Tierhaltung mit verstärktem Anbau von Mais und Soja einher. Rund die Hälfte der weltweiten Getreideernte wird für den Futtertrog produziert. Längst kann der Feldfutterbau in Regionen, in denen besonders viele Nutztiere auf engstem Raum zusammengepfercht sind, den immensen Futterbedarf nicht mehr decken. Nur dank des importierten Kraftfutters erreichen Masttiere innerhalb weniger Wochen ihr »optimales« Schlachtgewicht. Währenddessen nimmt der ökologische Fußabdruck der Tierproduktion mit seiner energieaufwendigen Produktion von Kraftfutter und der weltweiten Expansion der Milch- und Fleischkonzerne dramatisch zu. So werden Nutztiere zu Nahrungskonkurrenten des Menschen gemacht.
Zudem müssen die wachsenden Güllemengen irgendwo entsorgt werden. Jahrzehntelang hat man die nährstoffreiche Brühe unkontrolliert auf Äcker und Grünland gekippt - bis die Nitratbelastung zu hoch wurde. Hinzu kam die abnehmende biologische Vielfalt der Böden und die Emissionen des treibhauswirksamen Lachgases, eines Zersetzungsprodukts der Stickstoffverbindungen in Gülle und Mineraldünger.
Nachhaltige Beweidung geht nur mit weniger Tieren
Zwar soll mit der neuen Düngeverordnung ab April 2020 die Ausbringmenge flüssiger organischer Düngemittel auf Grün- und Ackerland auf 80 Kilogramm Stickstoff pro Hektar begrenzt werden. Doch wie soll das gehen, wenn die Tierzahl in den Ställen unverändert hoch bleibt? Hätte man vor Jahren die Zahl der Nutztiere begrenzt, kritisiert Onno Poppinga vom Kasseler Institut für ländliche Entwicklung, lägen die Stickstoffüberschüsse heute nicht bundesweit bei mehr als 100 Kilogramm je Hektar. Überschüsse, die für die Landwirte auch einen finanziellen Verlust von etwa 1,8 Milliarden Euro bedeuten.
Ein Drittel der weltweiten landwirtschaftlichen Nutzfläche ist Ackerland, zwei Drittel Grasland. Bezogen auf die gesamte Erdoberfläche sind mehr als 40 Prozent Grasland.
Feuchtwiesen, Steppen und Savannen liefern die größte Nährstoffbasis zur Proteinbildung, wie eine Studie bereits vor 20 Jahren nachwies. Nach Schätzungen der Welternährungsorganisation FAO sind für 100 Millionen Menschen in Trockengebieten und weiteren 100 Millionen Menschen in anderen Klimazonen Weidetiere die einzige mögliche Einkommensquelle.
Nach Angaben der Klima-Allianz Deutschland ließen sich bei entsprechender Reduzierung von Lebensmittelabfällen und Tierbeständen 7,8 Millionen Tonnen Kohlendioxid einsparen. Hier würde das Konzept Beweidung mit Nutztieren gut hineinpassen. Denn eine extensive Beweidung kommt nicht zuletzt den arteigenen Bedürfnissen von Wiederkäuern entgegen. Allerdings wird die Weidehaltung für alle Nutztiere nur funktionieren, wenn sich die Tierzahl gegenüber den industriellen Tierhaltungsanlagen deutlich verringert. Denn Grünland ist nicht unbegrenzt vorhanden. Das wiederum bedeutet, dass wir unseren Konsum von Fleisch- und Milchprodukten deutlich reduzieren müssen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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