Der arme Mann aus L.A.

Charles Bukowski hat um sein Leben geschrieben.

  • Frank Schäfer
  • Lesedauer: 6 Min.

Charles Bukowski war ein begnadeter Briefschreiber. Wenn ihn mal wieder ein kleines Underground-Magazin um einen Beitrag anging und er nichts in der Schublade hatte, was trotz seines Pensums gelegentlich vorgekommen sein soll, druckte man einfach seinen Antwortbrief. Meistens war der immer noch gehaltvoller und jedenfalls unterhaltsamer als das meiste, was sonst noch so drinstand. Selbst seine kürzeste Retoure hätte man abdrucken können. Sie stammt vom Januar 1994 und geht an den Herausgeber einer Literaturzeitschrift in Austin, Texas:

»Lieber H.

Ich kann Ihnen nichts schicken.

Ich habe Leukämie.

Bukowski«

Zwei Monate später haben ihn seine Freunde zu Grabe getragen. Am Sonntag vor 100 Jahren wurde er geboren, in Andernach am Rhein als Sohn eines US-Soldaten und einer deutschen Mutter. Als er drei war, zogen sie nach Los Angeles.

Auch der alte Schriftsteller Bukowski wusste, was er den »little mags« zu verdanken hatte, er hielt ihnen die Treue, als er längst für gute Dollars in Männerzeitschriften und für symbolisches Kapital in renommierten Literaturmagazinen publizierte. »Früher hat man nur über Könige geschrieben, über Leute von scheinbar adeligem Rang«, konstatiert er in einem Brief an Douglas Blazek 1965, »das gilt in mancher Hinsicht heute noch. Ich erinnere mich, dass ich mal eine sehr lange Erzählung, fast einen Roman, an eine Zeitschrift geschickt habe; sie handelte von einem Alkoholiker, der im Armenkrankenhaus landet, festgeschnallt auf einem Bett, und sein Blut auswürgt und zum Sterben in einen dunklen Raum abgeschoben wird. Sie schrieben mir zurück: ›Dies ist eine Tour de Force, sehr stark erzählt, aber wir haben uns schließlich doch dagegen entschieden, weil die Hauptfigur nach unserem Eindruck keine Bedeutung und keinen Wert hat.‹ Die Hauptfigur war ich.«

Bukowski und Co. mussten sich selbst helfen und eigene Zeitschriften gründen. Dabei profitieren sie von den technischen Neuerungen auf dem Druckmarkt. Mit erschwinglichen Matritzen-Kopierern lassen sich relativ preisgünstig und schnell Druckerzeugnisse von ein paar hundert Exemplaren herstellen. Die sehen oft schäbig aus, billig, improvisiert, aber sie erfüllen ihren Zweck, stellen die gewünschte Gegenöffentlichkeit her, in der die Plebejer den literarischen Aufstand proben können. Als »Mimeo Revolution«, benannt nach der Vervielfältigungsmethode Mimeographie, geht diese Bewegung in die US-Subkulturgeschichte ein. Bukowski ist ihre Ikone, weil er zu den wenigen gehört, die schließlich auch vom bürgerlichen Literaturbetrieb wahrgenommen werden. Seine unzähligen Gedichte in »Ole«, »The Outsider«, »Wormwood Review«, »Trace« usw., nach der Schicht mit einem Sixpack als Wegzehrung in die Tasten gedroschen, begründen seinen Ruf.

Bis dahin war es ein langer, harter Weg als Tagelöhner, Lagerist, Postbote, Briefsortierer - und immer auch Säufer. Trinken war etwas, das er schon früh gut konnte. Es polierte einem gehemmten, von Minderwertigkeitskomplexen geplagten Mann das Ego und schuf somit erst die Voraussetzung fürs Schreiben.

Als ihn die »Notes of a Dirty Old Man«-Kolumne in der Underground-Postille »Open City« zu einer Berühmtheit im Raum Los Angeles machte, die ersten Bücher erschienen, sein Stammverleger John Martin ihm ein monatliches Salär von 100 Dollar offerierte - ein eher symbolischer Betrag, aber es glaubte endlich jemand an ihn! - und die ersten Lesungen zeigten, dass er auf der Bühne bestehen konnte, auch wenn er vorher regelmäßig kotzen musste, kündigte er 1970 bei der Post, um sich als freier Schriftsteller zu verdingen. Mit 50! Jetzt beginnt seine »Glückssträhne«. Zweifel daran, ob sie halten würde, begleiten ihn sein ganzes Leben, auch noch, als er in Europa längst ein Underground-Bestseller ist. Sie sind der Treibstoff seiner Produktion.

Eine Schreibblockade muss man sich leisten können. Der arme Mann aus Los Angeles hatte nie den Eindruck, dass er es könnte. Bukowski hat um sein Leben geschrieben, und zwar nicht nur metaphorisch. Selbst »wenn einmal nichts Dolles dabei herauskommt, so mag ich doch die ganze Action, das Geklapper der Schreibmaschine, die ganze Besessenheit daran. Sogar schlechte Texte und Absagen belasten mich kaum, da ich weiß, dass ich es beim nächsten Mal besser machen kann«, schreibt er in einem Brief an seinen Verleger. »Allein das Geräusch der Schreibmaschine vermittelt mir eine Art Beständigkeit, die vieles heilt, bis sich die Summe aus Fehlern und Glücksgriffen tatsächlich besser liest und besser anhört als vorher.« Nicht immer ist das gelungen. Bukowski hat genügende miese Gedichte geschrieben. Und die Highbrow-Literaturkritik wollte sein Werk gleich ganz als Trivialliteratur abtun.

Warum eigentlich nicht? Muss man denn damit gleich ein negatives Werturteil verbinden? Als Porträtist des trivialen Lebens ist er ein großer Künstler, weil er adäquate ästhetische Mittel gefunden hat für seine Sujets. Bukowski schreibt in einem schmutzigen, der gesprochenen Sprache abgelauschten, klischeegesättigten Idiom, er nutzt Trivialgenres als Folie (Porno, Crime, Comic), und es ist immer das Gleiche. Aber er will damit eben auch das triviale, ewiggleiche Alltagsleben der Arbeiter, Tagelöhner, Kleinkriminellen, Säufer, Hobos und Trivialautoren abbilden. Er bringt das Niedere zur Sprache, in einer Sprache, die genau so tief unten ist wie die Phänomene, die sie beschreibt.

Aber seine Trivialität ist auch noch in einem anderen, fast schon klassenkämpferischen Sinn kalkuliert. Er will eine triviale Literatur, weil er gegen die hohe Literatur rebelliert, die nur mit einem Collegeabschluss zu verstehen oder jedenfalls halbwegs zu goutieren ist. Literatur, Kunst überhaupt, sollte nicht nur eine Beschäftigung für eine kleine Bildungselite sein, sondern für alle. »Die Poetische Revolution hat die Muse auf die Tellerwäscher, Tankwarte, Bauern, Betrüger, Traubenpflücker, Landstreicher und Fabrikarbeiter losgelassen«, stellt er 1970 zufrieden fest. »Ihr Einfluss reicht mittlerweile bis in die heiligen Mauern der Eliteuniversitäten und darüber hinaus, und inzwischen hat sich die Poesie von einer diffusen, schüchternen und formelhaft ineffizienten Stimme zu einer Stimme der Klarheit gemausert, die von angebranntem Toast, ausgespuckten Olivenkernen und mir und dir und der Spinne in der Ecke spricht. Das ist für mich lebendige Poesie.«

Für mich auch. Und deshalb blieb Bukowski nach der ersten präpotenten Annäherung so relevant, dass ich sein Output weiterverfolgte. Es ist spannend zu sehen, wie er seine Methode variierte und weiterentwickelte. Bereits in der zweiten Hälfte der Siebziger beginnt er, den »Dirty Old Man«-Mythos zu entlarven, den schnöden Alltag des Schriftstellers literarisch zu verarbeiten und seiner Kindheit mehr Raum zu geben, ihr schließlich sogar einen eigenen Roman zu widmen: »Ham on Rye«, um den selbst totale Bukowski-Verächter nicht herumkommen.

In seinen letzten Jahren entwickelt er einen Parlando-Stil, der für den Kleinscheiß des Alltags, mit dem sich ein wirklich alt gewordener Mann herumschlagen muss, wie angegossen passt. Alles kann jetzt zum Gedicht werden, die Einkommenssteuererklärung, die letzte Mozart-Symphonie, der Brief eines enttäuschten Fans, die Zeit in der Warteschlange - und sogar die Momente, in denen er auf den Blitz der Eingebung wartet. Diese Einschläge wurden vielleicht spärlicher, aber sie kamen zuverlässig. Bis zum Schluss.

Von Frank Schäfer erschien kürzlich bei Zweitausendeins »Notes on a Dirty Old Man. Charles Bukowski von A bis Z«, 227 S., geb., 17,90 €.

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