Vom Libanon nach Den Haag
Urteil des UN-Sondergerichts im Falle des ermordeten Rafik Hariri
Die Urteilsverkündung begann mit einer Schweigeminute für die Opfer der Katastrophe von Beirut. Am 4. August hatten zwei gewaltige Explosionen im städtischen Hafen zum Tod von über 160 Menschen geführt. Über 6000 wurden verletzt, Schätzungen der Behörden zufolge verloren über 300 000 Menschen ihr Zuhause.
Danach wandte sich das UN-Tribunal unter Leitung des vorsitzenden Richters David Re der eigentlichen Tagesordnung zu: Der Strafprozess zum Attentat auf den früheren libanesischen Premier Rafik Hariri vor 15 Jahren. Hariri und 21 weitere Menschen waren am 14. Februar 2005 bei einem Bombenanschlag auf den Konvoi des sunnitischen Ex-Ministerpräsidenten in der libanesischen Hauptstadt Beirut getötet worden. Ein Selbstmordattentäter hatte einen Kleinlaster mit zwei Tonnen Sprengstoff zur Explosion gebracht und eine gewaltige Explosion ausgelöst, deren Wucht in ganz Beirut zu spüren war.
Schnell wurde seine Ermordung zum Politikum. Die erste UN-Kommission zur Untersuchung des Vorfalls lenkte schnell den Verdacht auf die syrische Regierung wie auch die schiitische Organisation Hisbollah. Doch laut dem Urteil am Mittwoch - 15 Jahre danach - sehen die verantwortlichen Richter keine direkten Beweise für eine Beteiligung der Hisbollah-Führungsriege oder Syriens. Das erklärte das Gericht des Sondertribunals zum Libanon am Dienstag in Leidschendam bei Den Haag.
Obwohl nicht die Hisbollah als Organisation angeklagt war, waren es vier ihrer Mitglieder, die sich vor dem Gericht verantworten mussten. Der 56-jährige Salim Jamil Ayyash wurde für schuldig befunden: Er sei an dem Terroranschlag beteiligt gewesen, urteilten die Richter am Dienstag. Über das Strafmaß wird zu einem späteren Zeitpunkt entschieden. Die anderen drei, Hassan Habib Merhi, Assad Hassan Sabra und Hussein Hassan Oneissi, wurden freigesprochen.
Keiner der Angeklagten - allesamt libanesische Staatsbürger - war jedoch selbst anwesend. Ihre derzeitiger Aufenthaltsort ist unbekannt. Hassan Nasrallah, Generalsekretär der Hisbollah, hatte zudem öffentlich gesagt, dass man die Vier auch nie finden würde, nicht einmal in »300 Jahren«.
Ob er selbst weiß, wo sie sind, bleibt offen. In dem Verfahren gab es zudem fast ausschließlich indirekte Beweise, sagte das Gericht. Von zentraler Bedeutung ist dabei ein Netzwerk von Mobiltelefonen, das nachweisbar in den Monaten vor der Ermordung Hariris immer wieder in seiner Umgebung benutzt wurde, kurz vor dem eigentlichen Akt aber auf einmal stillgelegt wurde. Das Urteil umfasst nach Angaben des Gerichts mehr als 2600 Seiten; die Verlesung dauerte insgesamt mehrere Stunden.
Eine direkte Beteiligung der Hisbollah kann aus diesen Gründen zwar nicht nachgewiesen, aber eben auch nicht ausgeschlossen werden. Nicht zuletzt deshalb sorgt der Fall auch 15 Jahre später vor allem im Libanon für Spannungen. Welche Auswirkungen das Urteil hat, wird sich in den kommenden Tagen herausstellen. Die Situation im Zedernstaat ist wegen der Katastrophe vom August und einer seit Jahren sich verschärfenden Wirtschaftskrise angespannt.Mit Agenturen
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.