Gras am Kiosk provoziert

Zwei junge Männer haben sich auf den Verkauf von Nutzhanf verlegt. Sie sind Teil einer Branche, deren Ende womöglich bevorsteht

Egal, ob in der Bude am Duisburger Hauptbahnhof, im Kiosk in der Kölner Altstadt oder einem Berliner Späti. Seit gut einem Jahr erobert Cannabis den Einzelhandel in Deutschland. Kleine Papptäfelchen, auf denen bunte Früchte aufgedruckt sind und an die ein Döschen mit Hanfblüten geklebt wurde. Oder Tütchen, von denen einen absurde Comictierchen angrinsen. Cannabis gibt es mittlerweile fast überall. Doch es hat nicht etwa, völlig unbemerkt, eine Legalisierung des Kifferkrauts stattgefunden. Was hier verkauft wird, ist Nutzhanf. Nutzhanf allerdings, der in höheren Mengen Cannabidiol (CBD) enthält, einen chemischen Bestandteil der weiblichen Hanfpflanze, der erst in den vergangenen Jahren wirklich entdeckt wurde und seitdem als Wundermittel gilt.

CBD gibt es in Salben, Nahrungsergänzungsmitteln, Teesorten oder eben als Bestandteil der getrockneten Hanfblüte. Cannabidiol ist im Gegensatz zu Tetrahydrocannabinol (THC) nicht psychoaktiv. Es löst also keinen Rausch aus. Dafür hat CBD andere Wirkungen. Als Bestandteil von Arzneimitteln wird es etwa zur Krampflösung bei multipler Sklerose genutzt oder zur Bekämpfung einiger seltener Epilepsieformen. Auch andere Wirkungen, etwa gegen Schmerzen, Angstzustände und Übelkeit, werden Cannabidiol nachgesagt, sind bisher allerdings noch nicht ausreichend erforscht. Auch gegen Covid-19 könnte CBD helfen, wie Forscher aus den USA feststellten. Einerseits linderte es, im Tierversuch, Entzündungen der Atemwege, andererseits soll es Rezeptoren besetzen, die von Covid-19 zum Eindringen in den Körper genutzt werden. Dadurch werde die Viruslast verringert. Doch um ihre Gesundheit dürfte es vielen Cannabiskonsumenten und auch so mancher Firma, die das CBD-Gras verkauft, nur am Rande gehen. Zu eindeutig spielt die Vermarktung mit vielen Kiffer-Klischees.

Zwei, die nicht mit solchen Klischees spielen, sind Christian Kiss und Gideon de Graaff. Seit einem Jahr verkaufen sie unter dem Namen »Green Heaven« CBD-Cannabis in einem Onlineshop. Im März haben sie in einer Seitenstraße im Wuppertaler Stadtteil Barmen einen Laden eröffnet - der kurz nach der Eröffnung coronabedingt erst mal schließen musste. Doch mittlerweile ist das kleine Geschäft an vier Wochentagen geöffnet.

Im Angebot haben die beiden mehr als ein Dutzend Hanfblüten, Haschisch, Öle und CBD-Vaporizer, so etwas wie E-Zigaretten. »Wir wollen Hanf den Menschen näherbringen, und es so ein bisschen aus der Drogenecke holen«, erzählt Gideon de Graaff. Beide sprechen über ihre bunt gemischte Kundschaft, die von der über 60-jährigen Frau bis zum gerade Volljährigen, der »Cannabis ausprobieren, aber nicht zum Dealer gehen« wolle, reicht. 40 bis 60 Menschen kämen pro Woche in den Laden. Einer von 100 Kunden entspreche vielleicht den Kiffer-Klischees.

Ob die Menschen die getrockneten Blüten oder das weiterverarbeitete Öl kaufen wollten, sei ihnen nicht anzusehen. Doch wie kommt man darauf, einen Laden für CBD-Gras zu eröffnen? Die beiden jungen Männer lachen und sagen, sie hätten schon lange mit Cannabis zu tun. Die ernsthafte Antwort schiebt de Graaf hinterher: »Wir haben das vor ein paar Jahren in Österreich gesehen, fanden spannend, dass es Nicht-THC-haltiges Cannabis gibt, das einen Nutzen für den Menschen hat. Später haben wir in Berlin gesehen, dass es auch in Deutschland einen Anklang findet und haben uns dann immer intensiver mit dem Thema beschäftigt.«

De Graaff ist gelernter Veranstaltungstechniker, war im öffentlichen Dienst angestellt. Kiss ist Mediengestalter. Beide haben ihre Jobs für das CBD-Geschäft aufgegeben. Muss man etwas Besonderes beachten, wenn man einen solchen Laden eröffnet? »Wir verkaufen Nutzhanfprodukte, die unterliegen nicht dem Betäubungsmittelgesetz, deswegen gab es keine besonderen Auflagen für die Eröffnung des Geschäfts«, erklärt de Graaff.

Komische Blicke bei Besichtigungen habe es nicht gegeben. Alle potenziellen Vermieter hätten sich offen gezeigt. Christian Kiss führt das darauf zurück, dass CBD mittlerweile doch einer breiten Öffentlichkeit bekannt sei und viele Menschen von der heilsamen Wirkung der Substanz gehört hätten. »Man merkt ja, wie sich das in ganz Deutschland verbreitet«, ergänzt de Graaff. Doch ganz so einfach, wie die beiden Jungunternehmer es darstellen, ist die Sache mit dem CBD-Cannabis nicht. In Köln verbot die Verwaltung im Juni per Ordnungsverfügung den Verkauf von Lebensmitteln und Lebensmittelzutaten, die CBD enthalten. Sie gelten, weil vor 1997 kein »nennenswerter Verzehr« bekannt war, als »Novel Food« und seien deswegen ohne eine Sonderzulassung nicht »verkehrsfähig«. Eine Auffassung, die auch das nordrhein-westfälische Umweltministerium bestätigt. Ausgenommen davon sei nur »unter bestimmten Bedingungen Nutzhanf«, und dieser insbesondere, »wenn er aus dem Anbau in Ländern der Europäischen Union mit zertifiziertem Saatgut stammt oder sein Gehalt an (THC) 0,2 Prozent nicht übersteigt und der Verkehr damit (ausgenommen der Anbau) ausschließlich gewerblichen oder wissenschaftlichen Zwecken dient, die einen Missbrauch zu Rauschzwecken ausschließen.«

Nach Auffassung des Düsseldorfer Ministeriums dürfen »unbearbeitete oder lediglich unwesentlich bearbeitete Pflanzenteile nicht an die Endverbraucherin oder den Endverbraucher abgegeben werden.« Polizeilich sei die Lage auch eindeutig. Pflanzen und Pflanzenteile der zur Gattung Cannabis gehörenden Pflanzen fielen unter das Betäubungsmittelgesetz. »Soweit Händler oder Erwerber von Cannabisprodukten nicht unter die Ausnahmeregelungen des BtMG fallen, werden diese Erzeugnisse sichergestellt und ein Strafverfahren wegen Verdacht des Verstoßes gegen das BtMG eingeleitet. In dessen Verlauf wird geprüft, ob gewerbliche oder wissenschaftliche Zwecke vorliegen«, so die Antwort der Landesregierung.

Georg Würth vom Deutschen Hanfverband sieht viele Fragezeichen. Er sagt, der Gesetzgeber habe offenbar nicht damit gerechnet, dass es eine größere Nachfrage nach nicht berauschenden, unverarbeiteten Nutzhanfblüten geben könnte. Wenn ein CBD-Fall vor Gericht komme, gehe es um die Frage, ob ein Missbrauch zu Rauschzwecken ausgeschlossen sei. Dies wird von Gutachtern unterschiedlich bewertet. Würth erklärt, »theoretisch« und mit teuren Verfahren sei es möglich, das THC aus dem Nutzhanf zu extrahieren. Oder man könne »sehr große Mengen dieser Blüten auf einmal konsumieren«. Würth glaubt aber, »die Wirkung des so kumulierten THC« würde »durch extrem viel CBD allerdings neutralisiert«. Insgesamt sind die Regelungen um den Verkauf und die Nutzung von CBD-Hanf äußerst undurchsichtig.

Der Deutsche Hanfverband tritt auch deswegen für eine generelle Legalisierung ein. »Damit würde sich das ganze Problem rund um die THC-armen Sorten nebenbei erledigen«, so Würth, der noch anfügt, dass auch die Weltgesundheitsorganisation WHO schon 2018 vorgeschlagen habe, entsprechende Hanfsorten von der internationalen Drogenkontrolle auszunehmen, da sie weitgehend unbedenklich seien.

Eine Auffassung, der sich die EU-Kommission nicht anschließt. Zulassungen von CBD-Produkten hat sie schon auf Eis gelegt, und kürzlich wurde bekannt, dass sie plant, CBD-Hanf als Betäubungsmittel einzustufen. Vom neu gegründeten Branchenverband Cannabiswirtschaft folgte der Aufschrei. Die »wachstumsstarke CBD-Branche« würde gefährdet, obwohl es keinerlei »wissenschaftliche Erkenntnisse« gebe, die eine solche Einstufung sinnvoll erscheinen ließen, so der Präsident des Verbandes, Stefan Meyer. Zugleich warnt er vor der Entstehung eines Schwarzmarktes und fordert Bundesregierung und EU dazu auf, Gespräche über »praktikable und sinnvoll regulierte Marktbedingungen für cannabinoidhaltige Produkte« zu führen. Manche Überregulierung müsse fallen, andere Standards sollten hinzukommen.

Die Aromablütenhändler in Wuppertal haben keine allzu großen Sorgen wegen eines Verbots. »Ich kann mir ernsthaft kein CBD-Verbot vorstellen, mittlerweile dürften Tausende Menschen in der Branche arbeiten und davon leben«, sagt Christian Kiss. Doch die derzeit herrschende rechtliche Grauzone macht auch den beiden zu schaffen. Eine »einheitliche Regelung wäre schon besser«, so Kiss. Schließlich hätten sie ihre wirtschaftliche Existenz auf den Laden aufgebaut.

Gegen ein paar mehr Regeln hätten sie dabei wohl nichts. Von CBD-Hanf am Kiosk sind sie keine Fans. Tütchen, auf denen ein CBD-Gehalt zwischen zwölf und 16 Prozent angegeben werde, seien unseriös. »Es verkauft ja auch niemand Bier mit fünf bis 15 Prozent Alkohol«, sagt Kiss. Bei ihnen bekommt jeder Käufer einen Laborbericht zur Blüte dazu. Da sind dann bis zu 16 Inhaltsstoffe und ihr Gehalt aufgeführt. Für sie sei das ein »wichtiger Qualitätsstandard«, sagt Kiss. Ob solche Qualitätsstandards helfen, einem Verbot entgegenzuwirken, ist fraglich. Der CBD-Boom könnte schon bald wieder sein Ende finden.

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