Gendern - muss das sein?

Sprache ist zwar Kulturgut, aber dennoch einem ständigen Wandel unterworfen

Vor wenigen Wochen veröffentlichte der Duden seine aktualisierte 28. Ausgabe. 148 000 Stichwörter auf 1296 Seiten, darunter 3000 neue Wörter. Besonders eines dieser Wörter sorgte für viel Aufregung - auch bei den Leserinnen und Lesern des »nd«. Die Rede ist von dem Gendersternchen: Ein Asterisk, das zwischen Wortstamm beziehungsweise maskuline Flexionsendung und feminine Flexionsendung gesetzt wird und der sprachlichen Gleichbehandlung aller Geschlechter dienen soll, so die Definition des Dudens. Für ein »umfassendes Nachschlagewerk«, das den Wandel der Sprache zuverlässig abbilden soll, war es nur konsequent, einen Begriff wie »Gendersternchen« in die Neuauflage aufzunehmen.

Denn Sprache mag zwar Kulturgut sein, ist aber auch einem ständigen Wandel unterzogen. Und zwar schon immer. Sie ist nicht losgelöst von gesellschaftlichen Entwicklungen und technischem Fortschritt. Eine Sprache, die sich wandelnden Lebensrealitäten keine Beachtung schenkt, wäre irgendwann nur noch wenig nützlich. Dabei tragen Globalisierung und Digitalisierung selbstverständlich zu einer verstärkten Nutzung englischer Wörter bei: Das Handy - das viele fälschlicherweise für einen Anglizismus halten - ist heute so nötig, wie selbstverständlich. Gleiches gilt für die Begriffe Intercity-Express (ICE), Minijob oder auch den Stress, der es 1936 aus dem Englischen ins Deutsche geschafft hat. Wer noch weiter zurück in der Entwicklung der Sprache blickt, dem fällt auf: Ein Großteil der deutschen Sprache besteht aus Lehn- und Fremdwörtern. Es gibt keinen Grund, die Sprache vor zu vielen Fremdwörtern und Anglizismen zu schützen, haben diese doch selten eine Bedrohung und meistens eine Bereicherung dargestellt.

Wie willkommen neue Fremdwörter sind, scheint allerdings auch eine Generationenfrage zu sein. Während ältere Menschen sich in einem Wirrwarr von Anglizismen schwertun, ist es jüngeren Generationen kaum möglich, ohne sie zu kommunizieren. Wer heute soziale Medien nutzt, Filme und Musik im Internet konsumiert, kommt ohne »liken«, »streamen« und natürlich das »googeln« nicht weit.

Doch Sprache ist nicht nur Abbild der Gesellschaft, sie bildet auch ab. Sprache ist politisch, und die Entscheidung zu »gendern«, also alle Geschlechteridentitäten sprachlich abzubilden, eine politische. Das * ist dabei nur eine Möglichkeit und selbst innerhalb feministischer Strömungen debattiert. Neben dem Sternchen sind das Binnen-I oder der Unterstrich, auch Gendergap genannt, zwei gängige Formen zu gendern - mit teils erheblichen Unterschieden. So geht die Schreibweise BürgerInnen von einer binären Geschlechterordnung aus. Es wird angenommen, es gibt ausschließlich Männer und Frauen, Bürger und Bürgerinnen. Verwendungen wie die eines * oder eines _ lassen hingegen Platz für weitere geschlechtliche Identitäten. Sie schließen auch solche Menschen in die Formulierung mit ein, die sich nicht eindeutig als Mann oder Frau beschreiben (wollen).

Ausgesprochen werden das Sternchen und der Unterstrich durch einen stimmlosen glottalen Verschlusslaut. Ein Laut, der durch den Verschluss der zu den Stimmbändern gehörenden Stimmlippen entsteht. Im Deutschen kommt der Laut in Zusammensetzungen aus zwei Wörtern vor, den Komposita, und bei manchen Präfixen. Ein Beispiel ist der Verein, der mit einer kurzen Pause zwischen »Ver« und »ein« ausgesprochen wird. Mit der Substantivierung bietet die deutsche Sprache gleichzeitig - und schon immer - die Möglichkeit, geschlechtsneutrale Formulierungen, wie etwa Studierende, zu nutzen und Varianten wie das Sternchen zu umgehen.

Was theoretisch einfach erscheint, ist es in der Praxis nicht unbedingt. Auch in der »nd«-Redaktion ist das richtige gendern zwar kein Wahnsinn, aber dennoch zeitweise ein Chaos. So passiert es schon mal, dass in einem Artikel über das ehemalige Ceylon (heute Sri Lanka), der kürzlich erschien, von Brit*innen die Rede war, die als Schlichter*innen agierten. Obwohl im ehemaligen Ceylon eventuell lediglich Briten als Schlichter agierten. Gleichzeitig werden in Interviews immer häufiger Sternchen oder Unterstrich ausgesprochen. Und so wenig, wie gegenderte Sprache in Agenturnachrichten rein redigiert wird, will das »nd« diese Form aus Interviews raus redigieren.

Manch kritische Stimme echauffiert sich jedoch auch über Begriffe, die es im Deutschen schon immer gab. Die Gästin tanzt seit Jahren auf deutschen Feiern - sie wurde nur noch nie erwähnt. Das ungewohnte und dadurch unangenehme Wort Gästin macht deutlich: Sprache beeinflusst uns, unser Denken und unsere Vorstellungen von der Welt. Wer benannt wird und wer nicht, hat Folgen. Hierzu ein beliebtes Beispiel: Ein Vater und sein Sohn haben einen Autounfall. Der Vater kommt ums Leben, der Sohn mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus. Dort muss er schnell operiert werden und kommt in den OP. Einer der Ärzte sieht den Jungen und sagt: »Ich kann ihn nicht operieren, denn er ist mein Sohn.« Wie das sein kann? Bei dem Arzt handelt es sich um die Mutter. Also eine Ärztin.

Ein häufiges Argument gegen das Gendern ist, dass bei der maskulinen Form eines Wortes sowieso die feminine Form mitgedacht werde. Doch wer hat bei den obigen Worten an eine Ärztin gedacht? Und wer denkt andersherum bei dem Wort »Studentinnen« auch an »Studenten«? Das Argument wird stets für eine Richtung verwendet, funktioniert jedoch in keiner. Das Beispiel zeigt, wie Sprache ein- und ausschließen kann, diskriminieren oder aber gleichbehandeln. Werden Personengruppen benannt und mitgedacht? Oder nicht benannt und letztendlich auch nicht mitgedacht?

Linker Journalismus im Jahr 2020 sollte sich diesen Fragen stellen und um sprachliche Gleichbehandlung bemüht sein. Denn beim »nd« gibt es nicht nur Leserinnen und Leser, sondern tatsächlich Leser*innen. Das »nd« hat den Anspruch, nicht nur über, sondern auch für inter- und transgeschlechtliche, homo- und bisexuelle Menschen zu schreiben. Gleichzeitig geht es darum, die Welt so abzubilden, wie sie ist: äußerst divers. Sprache hat dabei eine enorme Macht, der man sich bewusst sein sollte. Der Slogan des 40 Jahre alten Wörterbuches trifft es auf den Punkt: »Duden - Sprache sagt alles«. Zumindest könnte sie es, wenn man das möchte.

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