Cornflakes oder Cadillacs

Das Digitalsemester offenbart scheinbar Nebensächliches als Hauptsache.

  • Ulrike Wagener
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein leerer Vorlesungssaal. »Mein Gott, ist das erschlagend«, murmelt der Mathematikprofessor im Video zu Beginn seiner ersten »Geistervorlesung«. Die Coronapandemie hat die Universitäten unvermittelt digitalisiert. Nicht alle waren darauf vorbereitet und mussten - wie dieser nicht namentlich genannte Professor, ein Beispiel, das der Sprachwissenschaftlers Kenan Hochuli auf der Konferenz »Digitale Lehre in der Germanistik« in der letzten Woche vorgestellt hat - erst schmerzlich feststellen, dass der digitale Raum anders funktioniert als der analoge. Es führte den einzelnen vor, was der Medientheoretiker Marshall McLuhan meinte, als er behauptete, dass das Medium die Botschaft sei: »Für die Art und Weise, wie die Maschine unsere Beziehungen zueinander und zu uns selbst verändert hat, ist es vollkommen gleichgültig, ob sie Cornflakes oder Cadillacs produziert.« Man könnte auch sagen, ganz gleich, ob es um die Unterrichtung in Algebra geht, um die Planung eines Filmfestivals oder die Organisation einer Reise, die Verlegung in den digitalen Raum hat zunächst den gleichen Effekt. Denn »die ›Botschaft‹ jedes Mediums oder jeder Technik« ist nach McLuhan »die Veränderung des Maßstabs, Tempos oder Schemas, die es der Situation des Menschen bringt«.

Für den eingangs erwähnten Matheprofessor bedeutete dies die Erfahrung, dass seine Vorlesung online nicht mehr dieselbe war. Obwohl er sich am gleichen Ort befand und die gleichen Lehrtechniken, Pult und Tafel, verwendete. »Kann man mich verstehen?« Keine Antwort. Die Vorlesung lässt sich nicht einfach mit dem gleichen Ergebnis ins Digitale übertragen. Damit zeigt sich, das Erzählformat bestimmt - nicht zwangsweise das Erzählte - aber doch wie es rezipiert wird, und was davon ankommt. Das Schema verändert sich: Von einem synchronen Format, bei dem alle Beteiligten zur gleichen Zeit am gleichen Ort waren, zu einem asynchronen, versetzten. Das hat Vorteile. Die Studierenden können die Unterrichtseinheit absolvieren, wann es ihnen passt, sie können zurückspulen, wenn sie etwas nicht verstanden haben, pausieren, um etwas nachzuschlagen. Aber die Interaktion fällt weg, keine Nachfragen, Bezüge zu anderen Themen, Diskussion.

Und auch bei synchronen Formaten, bei denen alle Beteiligten gleichzeitig online sind, findet diese verändert statt. Ein großer Teil unserer gewohnten Verständigung geht verloren: keine nonverbale Kommunikation, kein stiller Austausch durch einen Blick zur Nebenperson, keine geflüsterte Nachfrage. Das Tempo verändert sich: Auf der Konferenz wurde deutlich, dass sich sowohl Lehrende als auch Studierende über einen zu hohen Workload beklagten. Das lag vor allem daran, dass die Beteiligten (noch) nicht einschätzen konnten, wie viel Zeit ein Arbeitsauftrag beanspruchen würde. Viel Stress wurde dadurch ausgelöst, dass Aufgaben als »gesetzt« kommuniziert wurden, auch wenn die Dozierenden im Nachhinein meist bereit waren, Zugeständnisse zu machen, wenn es Probleme gab - auch der Maßstab verändert sich.

Insgesamt wurde wohl vielen in den letzten Wochen und Monaten immer klarer, dass ein Medium nicht automatisch »sozial« wird, nur weil es digital ist. Denn der soziale Austausch war es, den die Studierenden laut den Umfragen der Universitäten im Digitalsemester am meisten vermissten.

Das heißt jedoch nicht, dass sozialer Austausch im digitalen Raum nicht stattfinden kann; es braucht nur eine angemessene Form. Und so ist auch die digitale Lehre, wie der Wissenschaftler Thorsten Ries auf der Konferenz betonte, »nur dann ineffizient, wenn man die Lehrform nicht an das Medium anpasst«.

Eine Zusammenstellung von Tools für die digitale Lehre in der Germanistik findet sich unter dem Kurzlink: ogy.de/tools-digital

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