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Kampf um »Kenia« in Magdeburg
Vor dem Landesparteitag: Grüne bekunden ihren Willen zum Weiterregieren mit SPD und CDU
Was muss das damals, im Februar 1990, für eine komische Szene gewesen sein: Versteinerte Mienen im Publikum. Entsetzen, Fassungslosigkeit. Und das nur wegen ein paar Rosen. Die hatte der Polizeihauptmann von Halle geschenkt bekommen, auf dem Gründungsparteitag der Grünen Partei in der DDR im Februar 1990. Was die extra angereisten westdeutschen Parteifreunde ziemlich erzürnte: »Ihr schenkt den Bullen Blumen? Seid ihr verrückt?«, sollen sie gerufen haben. So ist es dokumentiert, von Walter Tharan, einem der ersten Grünen-Aktivisten im heutigen Sachsen-Anhalt, wo sich Delegierte des dortigen Grünen-Landesverbandes am Wochenende zu einem Parteitag treffen.
Die Szene zeigt, wie schwierig Annäherung ist, wenn die geschichtlichen und gesellschaftlichen Hintergründe sich diametral voneinander unterscheiden. Nun gibt es nicht nur das wiedervereinte Deutschland seit fast 30 Jahren, sondern auch die vereinten Grünen. Hier wie dort zeigen sich fortdauernde Differenzen, unter anderem aufgrund unterschiedlicher Erfahrungen. Zugleich betont Sebastian Striegel, der mit Susan Sziborra-Seidlitz an der Spitze des Landesverbands Sachsen-Anhalt steht: »Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Dinge auch in scheinbar aussichtslosen Situationen veränderbar sind.«
Es scheint, als habe diese Erfahrung Eingang in den Charakter seines Landesverbandes gefunden, der sich seit fast viereinhalb Jahren mit der CDU, führende Kraft in der sogenannten Kenia-Koalition von Union, SPD und Grünen, diverse Gefechte liefert. Und der diese Praxis offenbar fortsetzen will.
Vor dem Parteitag in Halle haben die Grünen bereits vollmundig verkündet, auch in die nächste Landesregierung eintreten zu wollen. »Wir werden die begonnene ökologische Erneuerung Sachsen-Anhalts fortsetzen«, erklärte der Landesvorstand bereits im Juni. Demnach stünde die amtierende Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft und Energie, Claudia Dalbert, auch künftig einem Magdeburger Kabinett zur Verfügung. Dieses dürfte wohl auch nach der Landtagswahl am 6. Juni kommenden Jahres von der CDU geführt werden, glaubt man den aktuellen Umfragen.
Das Motiv scheint klar: Die Grünen wollen die erste schwarz-blaue Koalition Deutschlands auf Landesebene verhindern, für die insbesondere CDU-Fraktionsvize Lars-Jörn Zimmer die Werbetrommel rührt. Von einem »Bollwerk gegen die AfD« spricht Sebastian Striegel. Er stellt zugleich klar, dass eine mögliche Fortsetzung der Koalition mit CDU und SPD vor allem weiteren Verbesserungen und einer Fortsetzung etwa von Klimaschutzprojekten dienen soll.
Dabei war »Kenia« von Anfang an ein fragiles Bündnis mit enormen Fliehkräften. Zusammengehalten wurde und wird es, so scheint es, vor allem durch das gemeinsame Ziel, einen weiteren Rechtsruck verhindern zu wollen. Striegel betont, dass beispielsweise die Kennzeichnungspflicht für Polizisten in Sachsen-Anhalt nur auf Druck der Grünen zustande gekommen sei.
Aber wie weit muss man für eine solche Koalition gehen, wie viel muss man ertragen? Rückblick: Im Sommer 2017 stimmten Teile der CDU für einen AfD-Antrag zur Einführung einer Enquetekommission zur Untersuchung von Linksextremismus. Später wollte Innenminister und CDU-Landeschef Holger Stahlknecht den rechten Polizeigewerkschafter Rainer Wendt zu seinem Staatssekretär machen. Ebenso erhitzte die Neonazivergangenheit des CDU-Kreisvorstands Robert Möritz die Gemüter.
»Wir haben dafür gesorgt, dass Rainer Wendt nicht Staatssekretär wird. Wir haben nach dem Möritz-Skandal gefragt, wie viele Hakenkreuze Platz haben in der CDU«, sagt Sebastian Striegel selbstbewusst und untermauert damit den Gestaltungsanspruch seiner Partei. Tatsächlich kann man der Magdeburger Landtagsfraktion kein Abdriften ins Konservative vorwerfen, wie man es etwa in Baden-Württemberg unter dem dortigen Grünen-Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann beobachten kann. Folgerichtig befindet sich Sachsen-Anhalts »Kenia«-Bündnis im Prinzip seit Unterzeichnung des Koalitionsvertrages im Dauerstreit.
Natürlich wären die Grünen wohl mit anderen Optionen glücklicher. Man wolle »mit allen demokratischen Parteien reden«, sagt Striegel, also auch mit der Linken. Doch eine Koalition links der Mitte scheint zumindest kurzfristig außer Reichweite.
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