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Spielerisch die Regel regeln
Im Brettspiel »Oh Woman« geht es um Fragen zur Periode. Zwei Münchnerinnen haben es designt und wollen damit das Thema Menstruation enttabuisieren. Von Annika Eßmann
Zwei weiß gekleidete junge Frauen platzieren Blutstropfen in Vaginen. Die Vaginen, das sind kleine hölzerne Mulden, in denen rote Steinchen liegen. Die beiden, die gerade das Brettspiel »Oh Woman« spielen, sind gleichzeitig auch seine Erfinderinnern: Stephanie Renz (25) und Tania Hernández (28). Tania liest eine Spielkarte vor: »Vagina und Vulva sind dasselbe. Richtig oder falsch?« Stephanie überlegt kurz und fragt dann eher als das sie antwortet: »Richtig?« Tania schüttelt den Kopf. Stephanie ist verblüfft.
Die beiden sind Freundinnen und Geschäftspartnerinnen. Sie haben sich in einer Werbeagentur in München kennengelernt und gründeten im Januar 2019 das Designstudio what the fish. Hauptsächlich beraten sie Firmen zu ihrer Markenbildung, aber mit dem Spiel »Oh Woman« wollen sie nun ein eigenes Produkt herausgeben.
Zu Beginn war ihr Umfeld leicht schockiert von der Idee, ein Spiel über Menstruation zu entwerfen. Tanias Vater, der gebürtig aus Spanien kommt, fragte, ob die Spielsteine wirklich Blutstropfen darstellen und Stephanies Schwester fragte, ob sie nun total durchgedreht sei. »Aber inzwischen können es viele unserer Freunde gar nicht mehr erwarten, das Spiel auszuprobieren«, sagt Stephanie.
Damit sie das Spiel auch wirklich realisieren können, haben die beiden Designerinnen Ende August eine Crowdfunding-Kampagne gestartet. Mit dem gesammelten Geld möchten sie die erste Produktion ihres Spiels finanzieren und außerdem 1,70 Euro pro verkauftem Spiel an den Berliner Verein Periodensystem spenden, der obdachlose Frauen mit Hygieneprodukten versorgt.
Nach einer Woche waren knapp 150 Unterstützer*innen am Spiel interessiert, das sich primär an Mädchen ab zehn Jahren richtet und dem Strategiespiel Kalaha nachempfunden ist. Auf dem hölzernen Brett sind zwei Reihen von jeweils sechs Mulden angeordnet. »Das sind die Vaginen«, erklärt Stephanie. Die kleinen roten Steine darin stellen Blutstropfen dar. Bevor jedoch einer der maximal zwei Spieler*innen die eigenen Steine bewegen darf, muss er oder sie eine Frage mit Richtig oder Falsch beantworten. Zum Beispiel: Die weibliche Eizelle wird immer wieder nachproduziert? - Falsch. Intimbehaarung ist unhygienisch? - Falsch.
Zusammen mit der Augsburger Hebamme Maxi Wenninger haben Stephanie und Tania diese und weitere Fragen zusammengestellt und dabei manches gelernt. Zum Beispiel, dass eine Frau auch durch Periodensex schwanger werden kann, wenn ihr Zyklus sehr kurz ist - oder dass die Vulva den äußeren Bereich der Scheide beschreibt und Vagina den Gang von Scheidenöffnung bis Muttermund.
Spielerisch Wissen vermitteln
Solche Aha-Effekte haben die beiden Freundinnen auch zur Spielidee inspiriert. »In Gesprächen haben wir häufig entdeckt, dass wir Vieles über unseren Körper nicht wussten - auch sehr grundsätzliche Sachen, die wir eigentlich in der Pubertät lernen sollten«, meint Stephanie. Wenn sie aber an ihre eigene Pubertät denkt, dann erinnert sie sich vor allem an ihre erste Biologiestunde, in der einige Jungs mit den mitgebrachten Tampons eine Wasserschlacht veranstalteten. Auch Tania berichtet von einer Freundin, die sie gefragt hat, wie sie denn auf Toilette gehen soll - mit »dem Ding da drin«. Hinzu kommt, so die Münchnerinnen, dass in der Pubertät viele Erwachsene für Jugendliche oft uncool sind und als Ansprechpartner*innen nicht in Frage kommen. Stattdessen ist es leichter, mit den besten Freund*innen zu sprechen.
Daher hoffen Stephanie und Tania, dass vor allem Jugendliche zwischen 10 und 17 Jahren das Spiel gemeinsam ausprobieren. Sie möchten Wissen an diejenigen vermitteln, die ihre erste Periode vielleicht noch nicht hatten und viele Fragen haben. Die Besonderheit ist, dass dies auf spielerische Art passiert, wie Stephanie betont. »Gleichzeitig hoffen wir auch, dass das Spiel die Kommunikation mit den Eltern einfacher macht, da das Spiel die Atmosphäre auflockert«, sagt Tania. Und Stephanie fügt hinzu: »Wir möchten erreichen, dass diese Gespräche zur Normalität werden und offener über das Thema diskutiert wird.« Das Spiel soll zugleich Wissensvermittler und Konversationsstarter sein.
Mit ihrer Idee treffen die beiden Designerinnen den Nerv der Zeit, sagt Kathrin Wegmann, Sexualpädagogin und Dozentin am Institut für Sexualpädagogik. Dessen Geschäftsstelle ist in Koblenz, aber die Dozent*innen sind im ganzen deutschsprachigen Raum in der sexuellen Bildung tätig. Wegmann besucht häufig Schulklassen, mit denen sie über Themen wie die Periode oder das erste Mal spricht. In dieser Arbeit erlebt die Sexualpädagogin oft, dass Mädchen, die ihre erste Menstruation noch nicht hatten, viele Fragen haben und neugierig sind. Zum Beispiel: Tut die Periode wirklich weh?
Angesichts dessen ist es wichtig, sagt Wegmann, dass es Medien gibt, die diese Neugierde altersgerecht und mit richtigen Informationen stillen - und das ist zunehmend der Fall. »Es gibt momentan so viele Leute, die sich mit dem Thema Periode sehr kreativ auseinandersetzen und mit ihren Büchern oder Spielen viele Menschen erreichen. Unter Kolleg*innen herrscht meist große Freude darüber«, sagt sie.
Zwar fühlt sich eine große Mehrheit der Mädchen vor ihrer ersten Menstruation gut darauf vorbereitet, sagt Wegmann mit Verweis auf eine Langzeitstudie zur Jugendsexualität 2015, die die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung herausgegeben hat. »Aber es gibt immer noch ein großes Bedürfnis nach Wissen, um wirklich gut vorbereitet zu sein«, erklärt die Pädagogin. Denn es existieren noch viele Mythen wie zum Beispiel die, dass sich ein Tampon bis in den Bauchraum schieben lässt. Mit anderen Worten: Für Medien wie das Spiel der zwei Münchnerinnen besteht weiterhin Bedarf - auch weil im Schulunterricht viele Fragen offenbleiben.
Kathrin Wegmanns Eindruck ist, dass das Thema Menstruation in der Schule eher lehrbuchartig abgearbeitet wird. Dadurch gibt es nur wenig Platz für Fragen, die den Jugendlichen wichtig sind. »Das Thema Intimbehaarung ist für die Jugendlichen relevant, aber das wird im Biounterricht meist nicht besprochen, worauf man zum Beispiel bei der Rasur achten sollte«, erklärt Wegmann. »Oh Woman« aber befasst sich mit solchen Fragen. Auf einer Spielkarte heißt es dazu: »Für die Hygiene spielt es keine Rolle, ob die Behaarung auf der Vulva rasiert ist oder nicht. So wie du dich wohlfühlst, so machst du es einfach!«
Die Scham verlieren
Das Brettspiel unterscheidet sich aber in einem wichtigen Punkt von Diskussionen im Unterricht, sagt Wegmann. »Bei solchen Spielen ist der Vorteil, dass es in einem geschützten Rahmen gespielt werden kann, mit Menschen, denen man vertraut«, erklärt sie. Das ist wichtig, denn im Umgang mit sensiblen Themen wie Intimbehaarung oder Menstruation wird die Gruppe der Gleichaltrigen immer wichtiger - neben dem, was in der Familie vorgelebt wird. Die Pädagogin vermutet, dass dies vor allem mit den heutigen digitalen Austauschmöglichkeiten zusammenhängt. »Es ist ein Miteinander in derselben Situation«, sagt sie.
Ein ähnliches Miteinander möchten Stephanie und Tania mit ihrem Spiel erreichen. Sie hoffen, dass dadurch und durch spielerisches Lernen, Mädchen* selbstbewusster werden, um beispielsweise ohne Scham eine fremde Person zu fragen: »Hey, ich habe meinen Tampon vergessen. Hast du einen?« Die Frage ist doch etwas vollkommen Natürliches.
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