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Ende im Kopftuchstreit nicht in Sicht

Nach langen Debatten steht das Berliner Neutralitätsgesetz vor dem Aus

  • Tim Zülch
  • Lesedauer: 4 Min.

Mit den jüngsten politischen Auseinandersetzungen um Berlins Neutralitätsgesetz zeichnet sich in der Hauptstadt noch immer kein Ende des »Kopftuchstreits« ab. Für neuerlichen Zündstoff sorgte am Donnerstag die Mitteilung der Justizverwaltung, dass Juristen in Ausbildung bei Berliner Gerichten und bei der Staatsanwaltschaft in Verhandlungen jetzt religiöse Symbole wie Kopftuch, Kreuz oder Kippa tragen dürfen. Das haben die Leitungen des Gemeinsamen Juristischen Prüfungsamts von Berlin und Brandenburg sowie des Kammergerichts entschieden.

Die von einem Sprecher von Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) abgegebene Erklärung zu der seit dem 1. August geltenden Regelung auf Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes und des Berliner Neutralitätsgesetzes löste am Abend eine Kontroverse im Rechtsausschuss des Abgeordnetenhauses aus. Hieß es doch, das Gesetz untersage zwar Pädagogen an allgemeinbildenden Schulen, Richtern, Staatsanwälten oder Polizisten das Tragen religiöser Symbole oder Kleidung im Dienst, ermögliche aber Ausnahmen für Menschen in Ausbildung.

CDU-Landesvizechef Falko Liecke nannte die neue Regelung einen »Frontalangriff auf die staatliche Neutralität«. Behrendt missachte damit das Neutralitätsgesetz und sende ein »gefährliches Signal an die immer stärker organisierten Vertreter des politischen Islam in dieser Stadt«. Die CDU-Fraktion forderte vom Senat in einem Dringlichkeitsantrag, der neuen Regelung einen Riegel vorzuschieben.

Empört äußerten sich Vertreter von FDP und AfD. Kritik erntete Behrendt aber auch beim Koalitionspartner SPD. »Die SPD-Fraktion steht zum Neutralitätsgesetz, sie steht zur religiösen Neutralität bei Schulen, Justiz und Polizei«, betonte der rechtspolitische Fraktionssprecher Sven Kohlmeier.

Erst vor einer Woche hatte das Bundesarbeitsgericht in Erfurt einer Berliner Lehramtsbewerberin, die sich als Quereinsteigerin beworben hatte, eine Entschädigung von 5160 Euro zugesprochen. Als Muslima trägt die Klägerin ein Kopftuch als Ausdruck ihres Glaubens. Im Bewerbungsgespräch hatte sie gesagt, dass sie das Kopftuch auch im Unterricht nicht ablegen werde und war daraufhin abgelehnt worden. Darin erkannte das Gericht einen »unverhältnismäßigen Eingriff in die Religionsfreiheit nach Artikel 4 Grundgesetz«. Es bestätigte damit eine entsprechende Entscheidung des Berliner Landesarbeitsgerichts von 2018. Das hatte moniert, dass das Gesetz Lehrkräften an öffentlichen Schulen pauschal das Tragen sichtbarer religiöser oder weltanschaulicher Symbole und auffallender religiös oder weltanschaulich geprägter Kleidungsstücke untersage, da dies den »Schulfrieden« gefährde.

Miriam Aced vom Bündnis »GegenBe᠆rufsverbot«, das die Klägerin im Prozess begleitet hat, sieht in dem Urteil den Anfang vom Ende von Neutralitätsgesetzen: »Ab jetzt muss das Land Berlin Frauen mit Kopftuch gleichberechtigten Zugang ermöglichen«, sagte sie.

Seit dem Urteilsspruch gibt es in der Berliner Koalition Streit um das Gesetz. Im Gegensatz zu Behrendt hält Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) am grundsätzlichen Verbot religiöser Symbole in der Schule fest. Sie prüfe eine Beschwerde gegen das Urteil vor dem Bundesverfassungsgericht oder dem Europäischen Gerichtshof, betonte sie jetzt.

Die Linksfraktion im Bundestag hat den Richterspruch begrüßt. »Das Urteil ist ein wichtiges Signal gegen die Vorverurteilung und Stigmatisierung von muslimischen Frauen mit Kopftuch«, erklärte die religionspolitische Sprecherin Christine Buchholz. »Denn muslimische Frauen mit Kopftuch werden bei der Arbeitssuche um ein Vielfaches häufiger abgelehnt als Frauen ohne sichtbares muslimisches Symbol.«

Der Konflikt um das Tragen des Kopftuchs wurde vor Gericht erstmals durch die 1972 in Afghanistan geborene und später eingebürgerte Fereshta Ludin in Baden-Württemberg ausgetragen, die sich dort 1998 um eine Einstellung im Schuldienst beworben hatte und abgelehnt worden war. 2003 lehnte das Bundesverfassungsgericht ihre Klage letztinstanzlich ab. 2015 revidierte das höchste deutsche Gericht aber seine bisherige Auffassung und gab der Beschwerde zweier Musliminnen aus Nordrhein-Westfalen statt, die sich geweigert hatten, ihre Kopfbedeckung im Unterricht abzunehmen. »Ein pauschales Verbot religiöser Bekundungen in öffentlichen Schulen durch das äußere Erscheinungsbild von Pädagoginnen und Pädagogen« sei »mit deren Glaubens- und Bekenntnisfreiheit nicht vereinbar«, urteilten die Richter. Eine »abstrakte Gefahr« der Beeinträchtigung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität» allein rechtfertige ein Verbot nicht.

Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) den Schulfrieden dennoch gefährdet. «In Neukölln beobachten Schulleitungen einen zunehmenden Bekenntniszwang an Schulen. Schüler*innen fühlen sich verstärkt durch konfrontative Religionsbekundungen diskriminiert», sagte er. Staatliche Neutralität sei die Voraussetzung für eine diskriminierungsfreie Gesellschaft.

Das ist aus Sicht von Maryam Haschemi Yekani, Anwältin der Klägerin vor dem Bundesarbeitsgericht, falsch verstandene Neutralität. «Die Frage ist doch: Was bedeutet Neutralität? Vor 100 Jahren wurde beispielsweise Frauen die Fähigkeit abgesprochen, als Richterinnen neutrale Entscheidungen treffen zu können», sagte sie dem «nd». Das neue Urteil könne dem Schulfrieden auch zuträglich sein. «Es könnte doch sein, dass Lehrer*innen mit Kopftuch in Konflikten sogar besser intervenieren können.»

Ähnlich sieht es Miriam Aced vom Bündnis «GegenBerufsverbot». «Ich gehe davon aus, dass jeder Lehrer und jede Lehrerin - unabhängig von ihrer Kopfbedeckung - über geeignete Tools verfügt, um mit Konflikten umzugehen», erklärte sie.

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