Tod durch den Strang
In Pakistan steigt die Anzahl von Blasphemieanklagen. Die Vereinten Nationen sind besorgt
»Er soll am Hals aufgehängt werden, bis der Tod eintritt.« Derart kühl und unbewegt verurteilte der Richter eines Gerichts in Lahore am Montag dieser Woche Asif Pervaiz zum Tode - wegen Blasphemie. Dem 37 Jahre alten Christen war vorgeworfen worden, per SMS gotteslästerliche Nachrichten über den Islam verschickt zu haben. Der Anwalt des vierfachen Vaters hat Berufung gegen das Urteil angekündigt.
Für weltweite Schlagzeilen sorgte der »Blasphemiefall« Asia Bibi. Fast neun Jahre saß die Katholikin in der Todeszelle, bis das Todesurteil im Januar 2019 durch das höchste Gericht Pakistans aufgehoben wurde. Der Freispruch führte in Pakistan zu tagelangen gewaltsamen Protesten muslimischer Hardliner. Im Mai 2019 konnte Asia Bibi unter größter Geheimhaltung nach Kanada ausreisen.
In den vergangenen Tagen sorgte Asia Bibi mit widersprüchlichen Äußerungen über das 1988 von General Zia-ul-Haq zur Machtsicherung seiner Putschregierung erlassene Blasphemiegesetz für Schlagzeilen. Gegenüber dem Programm in der pakistanischen Sprache Urdu des Senders Voice of America (VOA) distanzierte sich Asia Bibi energisch von der von der französischen Journalistin Anne-Isabelle Tollet über ihr Leben geschriebenes Buch »Enfin Libre!«, dessen englische Ausgabe in diesem Monat erscheinen soll. Ausdrücklich lehnte Bibi gegenüber VOA zudem eine Kritik des Blasphemiegesetzes ab.
Nur wenige Tage später appellierte Bibi jedoch in einem auf Youtube veröffentlichten Interview mit dem Päpstlichen Hilfswerk Kirche in Not an den pakistanischen Premierminister Imran Khan, mehr zum Schutz für die Blasphemiegesetzopfer zu tun. »Als Opfer spreche ich aus eigener Erfahrung. (...) Ich habe schrecklich gelitten (...) und ich hoffe, dass diese Gesetze so geändert werden können, dass jeder Missbrauch vermieden wird.«
Im Juli dieses Jahres wurde ein wegen Blasphemie angeklagter US-Bürger und Anhänger der in Pakistan verfolgten islamischen Glaubensrichtung Ahmadiya von einem fanatischen Muslim im Gerichtssaal erschossen. Im August wurde ein Christ wegen seiner auf Facebook geposteten Kritik des islamischen Opferfestes wegen Blasphemie angeklagt. Das gleiche Schicksal erlitten der Schauspieler Saba Qamar und der Sänger Bilal Saeed - beide sind Muslime - wegen der Aufnahme eines Musikvideos in einer Moschee.
Angesichts der »alarmierenden Zunahme von Blasphemieanklagen« forderte Amnesty International Ende August die Aufhebung der Blasphemiegesetze. »Die breite, vage und zwanghafte Natur der Blasphemiegesetze verletzt die Rechte auf Religions- und Glaubensfreiheit sowie die Meinungsfreiheit«, betonte Amnesty International. Als »besorgniserregend« nannte die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen am 8. September den Anstieg von Blasphemieklagen sowie der Aufrufe zur Gewalt gegen Journalisten, Menschenrechtler, Frauen und Minderheiten.
Freisprüche von Blasphemieanklagen sind in Pakistan selten und Anwälte der Opfer, Richter und Kritiker des Blasphemiegesetzes sind einer großen Gefahr ausgesetzt. Anfang 2011 waren der Muslim Salmaan Taseer, Gouverneur der Provinz Punjab, und der christliche Minister Shahbaz Bhatti ermordet worden, weil sie sich für die Freilassung von Asia Bibi und für eine Reform des Blasphemiegesetzes starkgemacht hatten. Der inzwischen hingerichtete Mörder von Taseer gilt den Islamisten hingegen als Märtyrer.
Nadeem Anthony war einer der Anwälte von Bibi im Berufungsverfahren vor dem High Court in Lahore. Er werde deshalb bis heute von radikalen Muslimen bedroht, schreibt Anthony in einer E-Mail an »nd«. »Seitdem kann ich nicht mehr in meine Kanzlei gehen.« Über die Situation von Asia Bibi sagte Nadeem: »Selbst in Kanada besteht für sie durch die Hardliner Lebensgefahr.«
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!