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Gefährliche Wunderlampe
Der Ägäis-Streit dreht sich um Territorialansprüche.
»Die Türken spielen mit dem Feuer. Keine griechische Regierung kann gestatten, dass sie zwischen den griechischen Inseln eine Bohrinsel installieren.« Das Zitat aus der Zeitung »Ellinikos Vorras« könnte von heute sein, stammt aber von Februar 1974. Damals beauftragte die türkische Regierung die staatliche Mineralölgesellschaft mit der Ölsuche vor sieben griechischen Ägäis-Inseln. Griechenland war da schon deutlich weiter. Fast zeitgleich verkündete Adamantios Androutsopoulos, Premier in der Endphase der Obristendiktatur, Bohrungen hätten den Nachweis für »bedeutende Vorkommen von Erdöl guter Qualität und großer Mengen von Naturgas« erbracht. »Im Meeresgrund von Thassos haben wir plötzlich Aladins Wunderlampe entdeckt«, jubilierte die Zeitung »Akropolis«.
Bis heute fördert Griechenland aber nur in kleinem Stil in der Ägäis, die Türkei gar nicht. Die »Wunderlampe« ist nämlich zu einer Art »Büchse der Pandora« geworden, die alle paar Jahre einen Spalt geöffnet wird. 1976, 1987, 1996 und nun 2020 - erneut droht ein militärischer Konflikt. Ein türkisches Forschungsschiff, begleitet von der Marine, soll vor Kastelorizo und anderen griechischen Inseln nach Gas suchen. Kampfjets fliegen, Manöver werden abgehalten, Ankara droht mit Krieg. Die EU reagierte bislang halbherzig; bilaterale Gespräche im Nato-Rahmen kamen nicht zustande, da Athen als Vorbedingung ein »Ende der Provokationen« fordert.
Dies zeigt, wie verfahren die Situation ist. Denn es geht nur vordergründig um Erdgas. Im Hintergrund schwelt ein uralter maritimer Territorialkonflikt: um die Abgrenzung und Nutzung des Festlandsockels auf dem Meeresboden, die Abgrenzung der Territorialgewässer sowie des nationalen Luftraums und den Status der ostägäischen Inseln.
Nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reichs und dem griechisch-türkischen Krieg von 1920, der zu furchtbaren Gräueltaten und hunderttausendfacher Vertreibung führte, wurden die Grenzen zwischen den neuen Staaten Griechenland und Türkei gezogen. Eindeutig ist die knapp 200 Kilometer kurze Landgrenze, die meist entlang des Flusses Evros (türk.: Meriç) verläuft. Diese macht aber nur zehn Prozent der Grenze aus, auf hoher See wird es kompliziert. Die meisten Inseln in der Ägäis gehören gemäß dem Vertrag von Lausanne von 1923 zu Griechenland, manche liegen nur wenige Kilometer vor dem türkischen Festland. Das Problem: Auf dem Meer gibt es nicht die eine festgelegte Staatsgrenze, sondern Unterschiede zwischen Oberfläche und Meeresboden sowie verschiedene Zonen mit unterschiedlichen Rechten.
Das 1994 in Kraft getretene UN-Seerechtsübereinkommen gibt die aktuellen Regeln vor. Ausgehend von einer Basislinie, meist die Küste, darf jeder Staat ein Territorialgewässer von maximal zwölf Seemeilen (22,2 Kilometer) Breite festlegen, wo alle Landesgesetze gelten. Auch Inseln generieren diese Rechte. Ferner kann eine Ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) bis zu einer Ausdehnung von 200 Seemeilen festgelegt werden, wo der Staat über die natürlichen Ressourcen wie Fische und Bodenschätze verfügen kann. Die Zone kann auf bis zu 350 Seemeilen ab der Basislinie erweitert werden - geologische Grundlage ist der Festlandsockel, also die Verlängerung des Landgebietes unter Wasser.
Häufig überschneiden sich die möglichen AWZ von Staaten. Und was den Festlandssockel angeht, ist es meist Willkür zu sagen, dass der Meeresboden die Verlängerung des Landes A und nicht des Landes B darstellt. Daher zielt das UN-Recht auf eine politische Einigung zwischen den beteiligten Staaten ab. Sollte dies nicht gelingen, steht die UN-Gerichtsbarkeit als Schiedsrichter bereit. Das Problem: Die Türkei hat die UN-Konvention nicht ratifiziert. Auch bestreitet sie, dass Inseln einbezogen werden dürfen. Daher erhebt Ankara Ansprüche auf Gasvorkommen in der Ägäis und vor Zypern im östlichen Mittelmeer, von denen man behauptet, dass sie unter dem eigenen Festlandssockel liegen.
Hingegen ist Griechenland in einer rechtlich komfortablen Situation. Athen nutzt diese aber nicht aus, sondern beschränkt sich bei der Festlegung der eigenen Küstengewässer auf sechs Meilen. Wohl auch deshalb, da die Türkei für den Fall einer Ausweitung auf zwölf Meilen mit Krieg droht. Die Ägäis würde nämlich zu einem griechischen Binnenmeer, die westanatolischen Häfen wären von der hohen See abgeschnitten, die Marine könnte dort nicht mehr verkehren. Kürzlich hat Griechenland westlich seines Festlands, im Ionischen Meer, das Territorialgewässer auf zwölf Meilen ausgeweitet - in Absprache mit den Nachbarn Italien und Albanien.
Ein gutes Zeichen, da man Ankara signalisierte, auf einseitige Schritte zu verzichten. Auch die Historie stimmt letztlich hoffnungsvoll: Im Ägäis-Konflikt blieb es jeweils bei Drohungen, auf die dann Phasen der Entspannung folgten. Die stärkste Annäherung gab es ab Mitte der 1990er Jahre, als die Perspektive eines EU-Beitritts der Türkei auch eine Lösung dieses Konflikts bringen sollte.
Auch wenn es nicht danach aussieht: Es braucht eine außenpolitische Lösung unter internationaler Vermittlung, und die müsste auch den Zypern-Konflikt umfassen. Die jüngsten Kooperationen im östlichen Mittelmeer zwischen Griechenland, Zypern, Israel und Ägypten einerseits sowie der Türkei und Libyen andererseits haben nur für weitere Polarisierung gesorgt. Eine breitere Einigung müsste Kooperationen bei der Gasförderung oder Beteiligung an den Erlösen beinhalten.
Noch besser wäre es, das Erdgas im Boden zu belassen. Das wäre auch im weltweiten Interesse: Das UN-Abkommen hat das Ziel, die Meere zu schützen. Umweltthemen dominieren längst die Konferenzen der Vertragsstaaten. Auch Aladins Wunderlampe war letztlich nur ein Märchen aus 1001 Nacht.
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