Werbung

Wie können sie es nur wagen?!

Im Düsseldorfer Schauspielhaus diskutiert Volker Lösch die Klimagerechtigkeit mit »Volksfeind for Future«

  • Glenn Jäger
  • Lesedauer: 5 Min.

Die nachgeholte Premiere von »Volksfeind for Future« in Düsseldorf fiel auf einen Freitag. Das war passend terminiert: zwei Tage vor den Kommunalwahlen in NRW und zwei Wochen vor dem globalen Aktionstag von Fridays for Future. Frei nach »Ein Volksfeind«, Henrik Ibsens »Umweltklassiker aus dem Jahr 1882« (Programmheft), verhandeln Volker Lösch (Regie) und Lothar Kittstein (Autor) die aktuellen Fragen von Klimagerechtigkeit.

Die »schönste Stadt am Rhein« erhält den Zuschlag für ein neues Tesla-Werk. 6000 Arbeitsplätze für eine gefeierte Auto-Technologie und ein großes Los für die grüne Oberbürgermeisterin (sehr treffend: Minna Wündrich). In der Folge wird die Klimafreundlichkeit des E-Autos ebenso demaskiert wie eine kapitalkonforme Umweltpolitik. Desweiteren proben die Tochter und der Sohn der OB den Aufstand gegen die Mutter und die Mogelpackung Elektromobilität.

In der Rolle des Sohnes wird der erst 13-jährige Charlie Schrein zur schauspielerischen Entdeckung des Abends. Als Tochter überzeugt die 27-jährige Cennet Rüya als eine Art Greta vom Rhein im familiären Aufbegehren ebenso wie in einer Bürgerversammlung, der dramaturgischen Schlüsselszene des Stücks: Während die OB, der Betriebsrat und die Lokalpresse sich im Applaus des Tesla-Chefs sonnen, bezieht die OB-Tochter flugs das Publikum ein und fragt nach dem »Verbot von SUVs?« und »der Waffenproduktion von Rheinmetall?« Im Saal gehen Hände hoch, allein der Aufforderung, »hier und jetzt« den Autoschlüssel abzugeben, folgt niemand.

Zu den gewinnenden Rollen gehört die des rebellischen Haus- und Ehemanns (Glenn Goltz), der die »korrumpierte grün-schwarze Politik« seiner Frau, der Oberbürgermeisterin mit bissigem Witz angeht. Diskutabler erscheint die Rolle des Betriebsrats (Jonas Friedrich Leonhardi), die wenig Raum für reale Widersprüchliche lässt. Gewiss, die traditionelle Sozialpartnerschaft in der Autoindustrie lädt zu Kritik ein, und Theater muss überzeichnen. Daraus wird hier die auf Linie gebrachte rechte Hand der Tesla-Führung, ein »Sozi« und Dieselfreund durch und durch (»das E-Auto als Ergänzung«), der sich am Einspritzmotor aufgeilt und gerne einen großen Schluck aus dem Kanister nimmt. Wie die polemische Zuspitzung »Betriebs-Rädchen im System« bei Gewerkschaftsaktiven oder bei den »Gewerkschafter*innen für Klimaschutz« ankommt, bleibt fraglich.

Das Bühnenbild (Carola Reuther) überzeugt mit bunten Papp-Autos, auf denen getanzt und gestritten wird. Bald sind sie auf Stufen arrangiert, die Chefredakteurin der »Rheinischen Rundschau« (ausgezeichnet: Claudia Hübbecker) klettert zum Tesla-Chef empor. Dieser hatte ihr zuvor wegen zu großer Nähe zur Jugend gedroht, sie über den befreundeten Verleger kündigen zu lassen. Auftrag erfüllt: die Presse an der Seite des Kapitals. Ständige Requisite ist die Schwimmnudel - coronabedingter Abstandshalter, Phallussymbol, E-Gitarre und Mikro (»Highway to hell«) oder als Zeichen für verknotete Argumentationen. Zuletzt schießt der Tesla-Chef auf einem Berg von Autoreifen um sich: auf den »Klimaknaben«, bzw. den revoltierenden Gemahl der OB, die ihrerseits die kinderfreie Stadt ausruft.

Der Erkenntnisgewinn des Abends rührt aus einer Fülle von Argumenten mit Anleihen bei dem Verkehrsexperten (und ehemaligen PDS-Bundestagsabgeordneten) Winfried Wolf. Elektromobilität bedeute eine »Vergrößerung der Weltautoflotte« und bringe »ein Mehr an CO2-Emissionen«, so Wolf in einem Interview, das im Programmheft steht und auch online gestellt wurde.So bleiben »alle Systemnachteile bestehen«, die weltweit 1,2 Millionen Verkehrstoten pro Jahr werden auch auf der Bühne benannt.

Eindringlich sind dort, eingeblendet in Videosequenzen, 20 Aktivistinnen und Aktivisten präsent. Gut begründet fordern sie zum Handeln, ja: zum Ungehorsam auf. Sie benennen Perspektiven jenseits eines Systems, das die Klimakatastrophe hervorbringe, Kriege produziere und Fluchtursachen schaffe. Derlei geht einher mit konkreten Forderungen, von der Steuerprogression bis zum Wahlalter. »Klar, das sind unsere Texte«, werden sie am Rande der Premierenfeier bestätigen. Man habe aber auch »eine Träne verdrücken« müssen, ergänzt die Dramaturgin Janine Ortiz, weil die Jugendlichen coronabedingt »nicht auf die Bühne« konnten. Lehrreich ist ein Gespräch mit Kittstein, dem wir vorhalten, in seiner überschriebenen Fassung sei von Ibsen nicht viel übrig. Auf die konkrete Handlung komme es »nicht so sehr an«, entscheidend sei die »erhaltene Grundstruktur«: eine Stadt, in der »etwas schiefläuft«, »in Maßen gewollte Aufklärung«, aber bitte »nicht zu radikal«. Sonst versuche die Gegenseite, einen »lächerlich zu machen«. Einen Tisch weiter benennt Wolf Alternativen: Es gelte, Verkehr »zu verlagern«, etwa auf den ÖPNV, aber auch, ihn möglichst »zu vermeiden«.

Das Stück ist in auf der Höhe der Zeit. Erstens hallt hier das »How dare you« wider, dieser Urschrei der Bewegung: Wie können sie es nur wagen?! »Es geht ihnen um Profitmaximierung«, weiß man beim »Volksfeind«, »nicht ums Klima«. Als Ausblick werden Positionen betont, wie sie aktuell etwa die Publizistin Kathrin Hartmann (»Grüner wird’s nicht«) vertritt: den Klimaschutz »an den tiefen Wunsch nach einer anderen, gerechten Welt« zu knüpfen.

Zweitens erscheint die Inszenierung als Antwort auf jüngst diskutierte Fragen, wie sie der Dramaturg Florian Malzacher (»Gesellschaftsspiele«) stellt: »Was für ein Theater brauchen wir« in einer Zeit der Demontage von Demokratien, von Zuwachs rechter Populisten und sozialer Ungerechtigkeit, von Kriegen und einer Klimakatastrophe, die »alle Aufmerksamkeit erfordert«? Die noch griffigere Frage »Warum Theater?« (Jakob Hayner) blieb an diesem Abend kaum offen: mithin für den großen Auftrag, »alle Verhältnisse umzuwerfen«. Zumindest aber, um »von bürgerlicher Kultur zu entgrenzen«, wie sich Generalintendant Wilfried Schulz auf der Premierenfeier ausdrückte. Gleichsam entsprach das Stück jener harschen Kritik an der »abstrakten Moral« des bürgerlichen Theaters, wie sie Mesut Bayraktar in der aktuellen Ausgabe von »Theater der Zeit« übt. Einer »bankrotten Moral«, hier verkörpert in der Figur der Oberbürgermeisterin, hält Bayraktar entgegen, »das Poetische lebendig« zu entfalten, damit »das Meer der Möglichkeiten« in der Wirklichkeit erkennbar werde. Ein hehrer Auftrag. Im Düsseldorfer Schauspielhaus wurde er eingelöst.

Nächste Vorstellungen: 20.9., 1.10. und 15.10.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.