- Politik
- Rechtsextremismus in der Polizei
Empörung über neuen Polizeiskandal
Oppositionspolitiker werfen der nordrhein-westfälischen Landesregierung Versäumnisse vor
Am ersten Tag nach der Aufdeckung des Nazi-Skandals in der nordrhein-westfälischen Polizei ist die Debatte um die Aufklärung entbrannt. Deutliche Stimmen kommen von Polizeifunktionären. Der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Sebastian Fiedler, sagte gegenüber der »Westdeutschen Allgemeinen Zeitung«, das Geschehen in Mülheim und Essen »rüttelt an den Grundfesten des Vertrauens in die Polizei«. Dass Landesinnenminister Herbert Reul (CDU) einen Sonderermittler eingesetzt hat, begrüßte Fiedler, kritisierte aber: »Es wäre noch besser gewesen, einen Beauftragten von außen ins Innenministerium zu holen, zum Beispiel einen früheren Richter oder Staatsanwalt.« Der eingesetzte Sonderermittler Uwe Reichel-Offermann ist stellvertretender Chef des Verfassungsschutzes und arbeitet seit Jahren im Innenministerium.
Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) fand klare Worte. »Die Bekämpfung des Rechtsextremismus gehört zur DNA der Polizei«, betonte der stellvertretende GdP-Landesvorsitzende Michael Maatz. Die Polizei habe »bei der Entwicklung einer liberalen, weltoffenen Gesellschaft« eine zentrale Rolle gespielt. Bevor es Konsequenzen gegen einzelne Beamte gäbe, müssten »alle Fakten auf den Tisch«, damit klar sei, wem welches Fehlverhalten vorzuwerfen sei, so der Polizeigewerkschafter.
Im nordrhein-westfälischen Landtag wurde am Donnerstag ebenfalls über die Nazi-Chatgruppen bei der Polizei diskutiert. Reul informierte die Abgeordneten über das Geschehen vom Vortag. Neue Details, bis auf geringfügige Verstöße gegen das Waffen- und Betäubungsmittelgesetz, kamen dabei nicht zur Sprache. Die Devise des Innenministers für die Aufklärung: »cool bleiben, aufarbeiten, handeln.« Lebhafter wurde die Debatte zwischen den Parteienvertretern. Der SPD-Innenpolitiker Sven Wolf warf der schwarz-gelben Landesregierung Versäumnisse in den vergangenen Wochen und Monaten vor. Seine Fraktion habe immer wieder Vorschläge gemacht, auf die nicht gehört worden sei. Mit den Worten, man müsse »aufhören zu glauben, anfangen zu wissen«, forderte Wolf eine Studie zu rechtsextremen und rassistischen Einstellungen in der Polizei. Dafür solle auch Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) bei Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) »Druck« machen.
Deutlicher wurde Verena Schäffer von den Grünen. Sie zählte zahlreiche rechte Vorfälle bei der Polizei in diesem Jahr auf. Dabei ging es etwa um Polizisten aus Aachen, die während sie eine Synagoge bewachten, Nazi-Parolen aus einer Fernsehserie über den Polizeifunk abspielten, und einen Beschäftigten der Polizei in Hamm, dem vorgeworfen wird, Mitglied der unter Terrorverdacht stehenden »Gruppe S« zu sein. Schäffer warf dem Innenminister außerdem vor, das Problem nicht richtig zu verstehen. Es ginge nicht nur um Rechtsextremismus, sondern auch um rassistische und diskriminierende Einstellungen, die bis in die Mitte der Gesellschaft verbreitet seien. Solche Einstellungen machten »nicht an der Behördentür halt«. Die Grünen-Politikerin forderte, dass untersucht wird, ob die Polizisten an Einsätzen beteiligt waren, die in den vergangenen Monaten und Jahren als rassistisch kritisiert wurden. Sie forderte eine Studie zu Einstellungsmustern in der Polizei sowie eine unabhängige Beschwerdestelle.
Vertreter von CDU und FDP drückten zwar auch aus, wie sehr sie von den Vorfällen geschockt seien. Sie stellten in der Debatte aber in den Vordergrund, dass die meisten Polizisten rechtsschaffend seien und dass mit neuen Maßnahmen gewartet werden solle, bis der aktuelle Fall aufgeklärt sei. Am Ende der Debatte meldete sich Innenminister Reul noch einmal zu Wort. Eine wissenschaftliche Aufklärung begrüßte er grundsätzlich. Gegen eine unabhängige Studie sprach er sich allerdings aus: »Eine große, weltumfassende Studie, am besten von einem Professor, der vorher schon weiß, was hinterher rauskommt und nur eine Finanzierung braucht, die brauchen wir nicht.« Reul setzt auf Aufklärung durch eine Wissenschaftlerin aus dem Innenministerium.
Am Mittwoch war bekannt geworden, dass 29 Polizisten in Nordrhein-Westfalen, mit dem Schwerpunkt in Mülheim an der Ruhr, über Jahre neonazistische und volksverhetzende Bilder in Chatgruppen ausgetauscht hatten. Bei einem Strafverfahren gegen einen der Polizisten waren die Chatgruppen quasi zufällig entdeckt worden. In den vergangenen zwei Wochen ermittelte eine Sonderkommission unter strenger Geheimhaltung. Am Mittwochmorgen durchsuchten 200 Polizisten die Wohnungen und teilweise auch Dienststellen ihrer Kollegen, die unter Nazi-Verdacht stehen.
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