Schöne tropische Plage

Kokospalmen haben auch ihre Nachteile. Eine einsame Südseeinsel dient als Freilandlabor für Aktionen gegen invasive Arten.

  • Michael Lenz
  • Lesedauer: 6 Min.

Vor Corona konnte man unbeschwert in ferne Länder reisen. Ein Traumziel für sonnensüchtige Urlauber und Zier so mancher Fototapete in den 70er Jahren waren und sind die Südseeinseln mit ihren schneeweißen Sandstränden und malerischen Palmen. Im ökologischen Sein ist jedoch der schöne Palmenschein oft so gar nicht romantisch.

Auf dem zwölf Quadratkilometer großen Südseeeiland Palmyra rücken Wissenschaftler der Organisation The Nature Conservancy (TNC) der Kokospalme (Cocos nucifera) zu Leibe, die sich als invasive Spezies dort breitgemacht hat und den heimischen Pflanzen und Tieren den Lebensraum nimmt. »Wenn es irgendwo ein Ort gibt, an dem man das ausprobieren kann, dann ist es Palmyra«, sagt Alexander Wegmann, wissenschaftlicher Direktor des TNC-Projekts »Climate Adaptation + Resilience Laboratory at Palmyra Atoll«. Das von TNC und der US-Behörde Fish and Wildlife Service im Jahre 2000 für 30 Millionen US-Dollar gekaufte, 1800 Kilometer südwestlich von Hawaii gelegene Inselchen sei ideal, weil es unbewohnt und keinerlei zivilisatorischen Stressfaktoren ausgesetzt ist.

Polynesier brachten Palmen mit auf die Inseln

Genanalysen haben Thailand und die Philippinen als ursprüngliche Heimat der Kokospalmen ausgemacht. In die Südsee kamen sie vermutlich im 15. Jahrhundert im Gepäck polynesischer Seefahrer. Da es aber keine Anzeichen gibt, dass Palmyra jemals bewohnt war, sind wohl auf entfernten Inseln Kokosnüsse ins Wasser gefallen, durch Wind und Wellen auf Palmyra angeschwemmt worden, wo sie sich hemmungslos vermehrt und eine ökologische Verdrängungskette ausgelöst haben. Die schnell wachsenden Palmen saugen die Feuchtigkeit des Bodens gierig wie ein Schwamm auf. Die Folge sind trockene Böden, mit denen die Palmen gut klarkommen, die einheimische Flora aber nicht. Und so komisch es klingen mag, ein zusätzliches reales Problem für die einheimischen Pflänzchen und Sprösslinge ist die Gefahr, von herabfallenden Kokosnüssen zerquetscht zu werden.

Hinzu kam eine Rattenplage. Ratten (Rattus rattus) gelangten wahrscheinlich während des Zweiten Weltkriegs als blinde Schiffspassagiere nach Palmyra. Mangels natürlicher Feinde vermehrten sie sich explosionsartig, fraßen Setzlinge und Samen und mampften sich durch die Vogelwelt. Die TNC-Forscher vermuten, dass die Ratten Schuld am Verschwinden von mindestens acht Vogelarten sind, die man auf rattenfreien Inseln der Region noch in großer Zahl findet.

Also mussten auch die Ratten weg. Der erste Versuch mit Gift schlug 2002 fehl, weil die zahlreichen Landkrabben den Nagern die Köder wegfraßen, ohne selbst an dem Gift zu sterben. Das Schicksal der Ratten wurde besiegelt, als die Wissenschaftler herausfanden, dass die Nager gern in den Wipfeln der Palmen hausten. Mit Schleudern und auch von Helikoptern aus wurden mit Giftködern gefüllte Säcke in die Palmwipfel gebracht. Dort waren sie für die Krabben unerreichbar.

Jetzt aber verschärfte sich das Palmendrama. Die Ratten hat sich nämlich an Nüssen, Sprösslingen und Blüten der Palmen gütlich getan und somit sogar einen gewissen ökologischen Nutzen gehabt. Ohne die Ratten plumpsten mehr Kokosnüsse als sonst auf den Boden und in die Lagunen, wo sie neue Bäume sprießen ließen. Es wurde also eine geeignete Technik gesucht, mit der man Millionen Palmen in den Pflanzenhimmel schicken konnte. Absägen kam nicht in Frage. Fallende Bäume hätten erstens andere Pflanzen und Tiere zerdrücken können und zweitens beim Verrotten Unmengen des klimaschädlichen CO2 freigesetzt. Abgesägt wurden daher nur junge Bäume, während die ausgewachsenen vergiftet wurden. Die toten Palmen bleiben so zunächst stehen und verrotten nur langsam.

Nun stellt sich aber die Frage: Wozu der ganze Aufwand auf einer unbewohnten Südseeinsel fernab von aller Welt? »Global gesehen ist das das Palmyra-Atoll als Ökosystem nicht wichtig«, räumt Wegmann in einer E-Mail aus Honolulu an. Die bisherigen Erfolge bei der Rekonstruktion des Insel-Ökosystems könnten jedoch auf globale Ausmaße skaliert werden. »Als Atoll bietet Palmyra Zugang zu mehreren global relevanten Ökosystemen, die alle nur wenige Kilometer voneinander entfernt sind: tropische Insel, Regenwald, Gezeiten, Lagune, Korallenriff, pelagische Zonen (freie Gewässer mit den darin lebenden Organismen).« Mit diesem Szenario biete das Palmyra-Atoll die Möglichkeit, Auswirkungen des Klimawandels auf die verschiedenen Atoll-Ökosysteme zu beobachten und Maßnahmen zur Verbesserung der Widerstandsfähigkeit und Anpassung an die Auswirkungen auf das Klima für andere Weltregionen zu testen.

Pflanzen und Tiere als Beipack im globalen Frachtverkehr

Invasive Arten machen sich eben nicht nur auf einsamen Südseeinseln breit, sondern überall auf der Welt. Neu ist das nicht, neu ist aber die Geschwindigkeit und Häufigkeit, mit der Pflanzen und Tiere in Teilen der Welt auftauchen, in denen sie bisher nicht anzutreffen waren. Sie reisen als Beipack im internationalen Transportverkehr vom Frachtschiff über Kreuzfahrtdampfer bis hin zu Flugzeugen. Der Klimawandel erweitert die Lebensräume für allerlei Arten.

Zudem werden Pflanzen und Tiere auch aus wirtschaftlichen Erwägungen gerne vorsätzlich von Menschen importiert. In Europa zum Beispiel treibt die Nutria ihr Unwesen, die in den 1920er Jahren von Pelztierfarmern aus Südamerika eingeführt wurden. So manchem der auch Biberratte genannten Tiere gelang jedoch die Flucht und sie breiteten sich in der europäischen Natur aus. In Norddeutschland gefährden sie durch ihre Höhlen die Stabilität von Deichen und Brücken. Die EU-Liste invasiver Arten wurde 2019 von 49 auf 66 Arten erweitert. Darunter sind auch in Deutschland anzutreffende Arten wie der Riesenbärenklau und das Drüsige Springkraut, die Nilgans und der Waschbär.

Verursacher der Einschleppung von Neobiota ist (fast) immer der Mensch, der diese dann jeweils als »gebietsfremde Art« oder »invasive Art« definiert. Gebietsfremd sind laut den meisten Experten und Naturschützern solche, die aus ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet heraus in ein anderes, fremdes Gebiet oder Land gebracht wurden und es schafften, dort zu überleben und sich fortzupflanzen, ohne zu stören, oder sogar einen Nutzen für den Menschen bringen. Gefährden sie aber aus Sicht des Menschen die biologische Vielfalt der heimischen Ökosysteme, gelten sie als invasive Lebewesen, denen man so früh wie möglich den Garaus machen sollte. Unser Leben wäre allerdings ohne eingeführte Arten kaum noch vorstellbar. Man denke nur an den Apfel, der aus Asien stammt und von den Römern in Europa eingeführt wurde. Oder an die von spanischen Kolonialisten aus Südamerika mitgebrachte Kartoffel. Von Tomate und Paprika nicht zu reden.

Der Brite Chris D. Thomas stellt als Querdenker die weltweit gängige Sichtweise des Niedergangs der Biovielfalt in Frage. In seinem Buch »Inheritors of the Earth: How Nature Is Thriving in an Age of Extinction« argumentiert der Biologe von der Universität York und Direktor des Leverhulme Zentrums für Anthropozäne Biodiversität, die »irrationale Abneigung gegen eindringende Arten« überdecke die hoffnungsvolle Wahrheit, dass der Mensch der Natur auch hilft, sich zu entwickeln und zu verändern. Die Zahl terrestrischer Arten nehme nämlich dank der Etablierung gebietsfremder Arten und der Spezifikation durch Hybridisierung zu. Seine Sichtweise will Thomas aber keinesfalls als Plädoyer für eine gottergebene Akzeptanz der Bedrohung der Biovielfalt verstanden wissen. »Wenn wir bereit sind, biologische Gewinne so sehr zu akzeptieren, wie wir Verluste bereuen, können wir die Erhaltung viel optimistischer betrachten«, sagte Thomas der britischen Zeitung »The Guardian«.

Von Optimismus beseelt sind auch Wegmann und seine wissenschaftlichen Mitstreiter auf Palmyra. »Wir sehen das Palmyra-Atoll als lebendiges Labor für die Wissenschaft des Naturschutzes«, sagt Wegmann. »Alle Maßnahmen der von uns unterstützten Forschungsprojekte verfolgen zwei Hauptziele: den Schutz der einheimischen Arten und Ökosysteme von Palmyra und darüber hinaus die Bereitstellung von Wissen, das als Katalysator für Schutzmaßnahmen über Palmyra hinaus wirken kann.«

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