- Wissen
- Alkoholsucht
Ein dreckiges Molekül
Der Psychopharmakologe Marcus Meinhardt will Alkoholsucht mit psychedelischen Substanzen lindern
Starker Alkoholkonsum kann das zentrale und periphere Nervensystem beschädigen. Wie unterscheidet sich das Gehirn eines Menschen mit Alkoholsucht von anderen?
Was wir im MRT über die generelle Struktur des Gehirns eines Alkoholabhängigen feststellen konnten, ist, dass die Ventrikel, die Hohlräume im Gehirn, größer werden und die Menge der grauen Substanz, also die Zellkörper und Neuronen, die dafür zuständig sind, Impulse weiterzugeben, immer kleiner. Im funktionellen MRT lässt sich die Aktivität der verschiedenen Hirnregionen messen, während Patienten eine Reihe von Aufgaben lösen. Dabei konnten wir sehen, dass der Präfrontale Cortex bei Alkoholikern kaum mehr aktiv ist. Dieser Abschnitt des Gehirns ist normalerweise auch für Selbstkontrolle zuständig - was bei Alkoholikern eben nicht mehr so gut funktioniert und immer wieder zu Rückfällen führt. Um das zu verhindern, muss der Präfrontale Cortex reaktiviert werden. Wir suchen nach Substanzen, die dazu in der Lage sein könnten.
Warum brauchen wir dafür neue Substanzen?
Eine Frage ist in diesem Zusammenhang von zentraler Bedeutung: Führen die Veränderungen im Gehirn eines Alkoholikers in der Abstinenz zu einem erhöhten oder einem gesenkten Dopaminspiegel? Dopamin wird bei natürlichen Belohnungen ausgeschüttet, aber auch durch Drogen und Alkohol. Unsere These ist, dass Dopamin im Hirn von alkoholabhängigen Menschen vermehrt vorhanden ist - und nicht weniger, wie bisher angenommen wurde. Daraus folgt, dass ein Alkoholiker einen viel stärkeren positiven Reiz erhalten muss, um ihn tatsächlich als positiv zu empfinden. Der »normale« Wert ist also so hoch, dass ein geringer positiver Reiz nicht ausreicht, um Glücksgefühle zu empfinden. Zuvor ging man davon aus, dass der Dopaminspiegel eines Alkoholikers niedriger als gewöhnlich sei - und das Glücksempfinden deshalb schwächer.
Dr. rer. nat. Marcus Meinhardt untersucht am Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim - einer universitätsmedizinischen Einrichtung in Kooperation mit der Uni Heidelberg - die Auswirkungen von Alkoholsucht auf das Gehirn. Im Gespräch mit Lidia Polito erklärt er, wie der Einsatz psychedelischer Substanzen vor einem Rückfall bei Alkoholsuchterkrankungen schützen könnte.
Sie arbeiten mit psychedelischen Substanzen wie LSD und Psilocybin, dem Wirkstoff von »Magic Mushrooms«. Was erhoffen Sie sich davon?
Das Gehirn besteht hauptsächlich aus Nervenzellen, die Rezeptoren haben. An diesen Rezeptoren können Moleküle oder Substanzen andocken und diese stimulieren. Alkohol ist ein sehr »dreckiges« Molekül - das bedeutet, es dockt an sehr vielen Rezeptoren an. Es stimuliert fast alle Transmittersysteme im Hirn. Alkohol ist ein sehr komplexer Mechanismus, aber ein Haupteffekt ist im glutamatergen System, also den Synapsen, an denen Glutaminsäure als Neurotransmitter fungiert. Das macht auch Sinn, weil der Präfrontale Cortex hauptsächlich aus dem glutamatergen System besteht und diese Neuronen zu einem großen Teil für exekutive Funktionen zuständig sind. Deswegen ist es für uns nur logisch, dass dies einer der Hauptkomponenten ist, die bei erhöhtem Alkoholkonsum weniger gut funktionieren. Bei Psilocybin tritt quasi der umgekehrte Mechanismus ein. Es stimuliert das glutamaterge System so, dass es besser funktioniert. Um das wirklich zu verstehen, müssen wir noch einige Experimente machen, aber es sieht so aus, als ob sich verschiedene Rezeptoren, die durch Alkoholkonsum verschwunden sind, durch Psilocybin an der Nervenzelle wieder herstellen lassen.
Wie wollen Sie das herausfinden?
Wir arbeiten in einem EU-geförderten Projekt an drei Standorten, das sich psi-alc nennt. Unser Zielgedanke ist herauszufinden, wie Psilocybin im Körper funktioniert und ob es überhaupt das Potenzial hat, bei einer einmaligen Gabe die Strukturen des Gehirns so stark zu beeinflussen, dass es dabei unterstützen kann, Rückfälle zu verhindern. Diese Frage haben wir in unserer ersten Studie im Tiermodell untersucht. Denn momentan müssen viele Patienten mit Sucht- und anderen psychischen Erkrankungen ihr ganzes Leben lang täglich oder wöchentlich Medikamente einnehmen, die oft starke Nebenwirkungen haben. Unsere Hoffnung ist, dass sich unsere These bestätigt und Psilocybin schon bei einmaliger Abgabe hilft.
Konnten Sie das in Ihrer ersten Studie bestätigen?
Nein, im Tiermodell konnten wir keinen großen Effekt feststellen. Aber: In Tiermodellen können wir uns allein auf die pharmakologischen Mechanismen von Psilocybin und LSD fokussieren. Doch ein Therapieerfolg beim Menschen hängt nicht allein von den pharmakologischen Mechanismen dieser Substanzen ab, sondern vor allem auch von der therapeutischen Begleitung während einer Session. Nur so können die Eindrücke verarbeitet und verinnerlicht werden. Um das zu beweisen, müssen wir allerdings die Wirkmechanismen noch genauer kennen, daher arbeiten wir zunächst in Tiermodellen.
Lange Zeit war es nur schwer möglich, mit diesen Substanzen zu forschen. Wie sind die Reaktionen auf eine Forschung, die Psilocybin oder LSD als Medikamente verwenden will?
In der Forschung ist man sich beispielsweise sicher, dass das Suchtpotenzial dieser Substanzen auf der pharmakologischen Ebene sehr niedrig ist. Es ist wichtig, dass auch die breite Öffentlichkeit versteht, warum wir diese Substanzen benutzen wollen. Oft passiert es, dass die Leute zunächst sehr skeptisch sind, wenn sie hören, dass wir an psychedelischen Substanzen forschen. Sicherlich, es gab Gründe, warum diese Substanzen einmal verboten wurden. Ich denke, vielen ist aber nicht bewusst, dass wir diese Substanzen am Patienten als Vehikel benutzen wollen, um Zugang zu unbewussten, psychischen Problemen oder Traumata zu erlangen, um diese im zweiten Schritt zusammen mit einem Therapeuten zu verarbeiten. Denn so wie es heute läuft, dem Patienten einfach eine Tablette zu geben und zu hoffen, dass das irgendwie helfen wird, funktioniert nicht.
Warum nicht?
Schon jetzt werden nur sehr wenige Medikamente an Alkoholsuchtkranke abgegeben, weil die Ärzte nicht von ihnen überzeugt sind. Es gibt verschiedene, beispielsweise Acramposat oder Naltrexon, das sind die Klassiker. Sie müssen aber auch mehrmals am Tag genommen werden und wirken jeweils nur an einem Transmittersystem. Die Vermutung ist, dass diese Substanzen den großen Durchbruch nicht gebracht haben, weil sie sich auf einzelne Transmittersysteme fokussieren. Sie sind dann jeweils nur für einzelne Gruppen von Patienten geeignet - je nachdem, welche Art von Alkoholiker sie sind und welche Transmittersysteme besonders stark stimuliert werden. Von Psilocybin erhoffen wir uns, dass das Wirkprofil besser ist und für ein breiteres Spektrum der Patienten passt.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.