Globaler Streit per Video
Corona-Pandemie wichtigstes Thema der virtuellen Generaldebatte der Vereinten Nationen
Zu einem direkten Schlagabtausch mit Rede und direkter Gegenrede, wie es ihn bei früheren Generaldebatten bei den Vereinten Nationen (UN) durchaus gab, kann es in diesem Jahr nicht kommen. Wegen der Corona-Pandemie senden die Staats- und Regierungschefs ihre zuvor aufgenommenen Videobeiträge ein, die dann abgespielt werden. In der Halle der Vollversammlung ist jedes Land nur mit einem Diplomaten vertreten. Der erste Tag der Debatte am Dienstag zeigte aber, dass es nicht des direkten Schlagabtausches bedarf, um einander zu kritisieren und verbal anzugreifen.
Im derzeit vielleicht weltpolitisch heikelsten Konflikt zwischen den USA und China - UN-Generalsekretär António Guterres warnte vor einem neuen Kalten Krieg - nutzten die Präsidenten Donald Trump und Xi Jinping ihre Redezeit, um sich gegenseitig Versagen beim Umgang mit Sars-CoV-2 vorzuwerfen. Trump forderte, »die Nation zur Rechenschaft zu ziehen, die die Seuche auf die Welt losgelassen hat - China«. Xi sprach sich, ohne Trump oder die USA bei Namen zu nennen, gegen Alleingänge und für Solidarität in der Pandemie aus. Am Mittwoch übernahm es das Außenministerium in Peking, direkt auf Trumps Vorwürfe zu antworten: Sprecher Wang Wenbin kritisierte den US-Präsidenten dafür, das UN-Podium missbraucht zu haben, um Lügen und unbegründete Anschuldigungen gegen China erhoben zu haben. Trumps Kritik sei vielmehr ein Versuch, von der Ineffizienz der USA im Kampf gegen das Coronavirus abzulenken.
Generell war die Corona-Pandemie eines der bestimmenden Themen des ersten Tages, das von den vortragenden Staats- und Regierungschefs dazu genutzt wurde, um für Reformen bei den Vereinten Nationen oder für mehr multilaterale Zusammenarbeit zu werben. So forderte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan eine Reform der Weltorganisation. »Wir haben gesehen, wie ineffektiv die bestehenden globalen Mechanismen in dieser Krise sind«, sagte er in seiner Videobotschaft. Russlands Staatschef Wladimir Putin warb für die von Moskau entwickelte Impfung und für eine Onlinekonferenz auf höchster Regierungsebene, um die Zusammenarbeit bei der Entwicklung eines Impfstoffes voranzutreiben.
Neben dem Konflikt zwischen den USA und China und der Corona-Pandemie ist der Streit um die UN-Sanktionen gegen den Iran ein weiteres wichtiges Thema der UN-Generaldebatte. Nachdem Trump 2018 einseitig den Rückzug seines Landes aus dem internationalen Atomabkommen mit Teheran erklärt hatte, verhängten die USA zahlreiche Sanktionen gegen das Land. Im Gegenzug hat der Iran nach und nach die Erfüllung seiner Verpflichtungen aus dem Abkommen zurückgefahren. Washington sieht den Vertrag durch Teheran verletzt und forderte, über einen sogenannten Snapback-Mechanismus UN-Sanktionen gegen Teheran wieder in Kraft zu setzen, die im Zuge des Atomabkommens von 2015 aufgehoben worden waren. Erst am Wochenende hatte US-Außenminister Mike Pompeo erklärt, die UN-Sanktionen seien wieder in Kraft.
Dem widersprach allerdings die große Mehrheit der ständigen und nichtständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates, darunter auch Deutschland, und ließ einen Antrag der USA auf Wiedereinführung der Sanktionen gar nicht erst zu. Die Staaten argumentieren, dass die USA wegen ihres Austritts aus dem Atomabkommen nicht berechtigt seien, den dort verankerten Snapback-Mechanismus zu aktivieren.
Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron sagte in seiner Videobotschaft, die Europäer würden in dieser Frage nicht gegenüber den USA nachgeben. Andernfalls wären die »Einheit des UN-Sicherheitsrats und die Integrität seiner Entscheidungen« gefährdet. Von Russland forderte Macron erneut Aufklärung im Fall des vergifteten oppositionellen Alexej Nawalny. Außerdem sprach er sich für eine neue UN-Initiative für eine dauerhafte Waffenruhe im vom Bürgerkrieg erschütterten Libyen aus. Mit Agenturen
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