»Das funktioniert auch mit zivilem Ungehorsam«

Fridays-for-Future-Aktivist Maximilian Reimers zu Strategiedebatten, Gewerkschaftsbündnissen und einer Mitte-links-Bundesregierung

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 6 Min.

Das reichste Prozent der Weltbevölkerung ist laut einer Oxfam-Studie für doppelt so viele CO2-Emissionen verantwortlich wie die gesamte ärmere Hälfte der Menschheit. Was bedeuten solche Zahlen für Fridays for Future?

Ich fand persönlich eine grüne Konsumkritik, die auch manche meiner Kolleg*innen teilen, immer schon falsch. Es ist nicht nur erniedrigend, wie dadurch ärmeren Menschen Schamgefühle eingeredet werden sollen - solch ein Ansatz ist auch strategisch unklug und unwirksam. Die tatsächlichen Verschmutzer*innen sind diejenigen, die von diesem System des fossilen Kapitalismus profitieren. Mit ihrem Reichtum haben sie auch mehr CO2-Emissionen zu verantworten. Da nützt es aber nun nichts, einzelne Leute zu kritisieren - man muss an die Machtstrukturen ran.

Maximilian Reimers

Der Umweltaktivist ist Mitbegründer der Ortsgruppe von Fridays for Future in Rendsburg bei Schleswig-Holstein sowie seit Mai für die bundesweite Kooperationsarbeit der Klimagerechtigkeitsbewegung mitverantwortlich. Der 21-Jährige ist zudem Mitglied der Linkspartei. Reimers betont, dass er bei einer alleinerziehenden Mutter mit drei Kindern aufgewachsen ist und keinem privilegierten Milieu - so ein oft geäußerter Vorwurf gegenüber der Klimabewegung - entstammt. Mit dem Aktivisten sprach für »nd« Sebastian Bähr.

Also eine grundlegende Veränderung des Systems?

Natürlich geht es um Systemwandel. Unser Motto ist ja auch »system change - not climate change«. Wie der Wandel dann letztlich aussieht, muss man gemeinsam gestalten. Das verhandelt man aber nicht mit Konzernchefs, sondern mit der Zivilgesellschaft, Kolleg*innen und Aktivist*innen.

Auch zur Strategie scheint es in der Bewegung mittlerweile unterschiedliche Positionen zu geben. Einige prominente Mitglieder sprechen mit hochrangigen Politiker*innen oder kandidieren für die Bundes- und Landespolitik. Andere setzen eher auf Basisarbeit und zivilen Ungehorsam. Zeigt sich da eine Spaltung?

Die Stärke von Fridays for Future ist nach wie vor, eine Massenbewegung mit niedrigschwelligen Aktionsangeboten zu sein. Das funktioniert auch mit zivilem Ungehorsam. In der Schweiz besetzen etwa am Freitag Feund*innen und Genoss*innen den Vorplatz vom Nationalrat. In Deutschland hatten Aktive auch schon Banken blockiert. Die Ortsgruppen müssen einfach für sich prüfen, was jeweils funktioniert. Die größte Kraft liegt in den Kommunen. Wenn die Aktiven glauben, eine breite Masse für eine Blockade hinzubekommen, sehe ich da kein Problem. Wenn sie stattdessen aufgrund der lokalen Gegebenheiten eher eine Fahrraddemo für eine autofreie Innenstadt oder einen besseren öffentlichen Nahverkehr machen wollen, ist das auch in Ordnung.

Und wenn sie in die professionelle Politik gehen, um dann Kompromisse mit dem System einzugehen, das sie eigentlich bekämpfen wollen?

Es gibt viele Quellen, aus denen wir als Bewegung Macht schöpfen können. Man muss sich die verschiedenen Aktivismusfelder wie ein Mosaik vorstellen. Auch bei uns gibt es zudem viele Mitglieder mit unterschiedlichen Talenten. Die einen können besser mit NGOs reden, die anderen mit Gewerkschaften, und wieder andere wollen geile Aktionen planen. Diese Diversität sollten wir beibehalten. Wichtig bleibt nur, dass Vertreter*innen aller Ansätze in der Bewegung miteinander reden. Es braucht eine gemeinsame Analyse und einen gemeinsamen Fahrplan. Und egal, in welchem Feld wir kämpfen - Spielregeln, die keinen Sinn machen, sollten wir brechen.

Wie kann man während einer globalen Pandemie überhaupt als Bewegung bestehen?

Sicherlich bekommen die Themen Klimagerechtigkeit und Klimaschutz derzeit eher weniger Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit. Andererseits zeigt auch die Corona-Pandemie, wie fragil unser Wirtschaftssystem und wie problematisch unser Umgang mit der Natur ist. Das hat viele aufgerüttelt. Man muss jedoch beachten, dass die Corona- wie die Klimakrise unterschiedlich bei den Menschen einschlägt. Ich weiß nicht, wie die Lebensrealitäten im globalen Süden sind, aber ich kenne das Gefühl, wenn man Angst davor hat, im nächsten Monat kein Dach mehr über dem Kopf zu haben. Man kann Leuten in Deutschland aufzeigen, dass viele in der Welt so etwas gerade durchmachen, ohne die Sorgen hier zu negieren. Wir können in dieser Situation Verständnis für einander schaffen.

Wie wurden die vergangenen Monate genutzt?

Die Quarantäne haben wir aus organisatorischer Sicht gut genutzt. Wenn man als Bewegung so schnell wächst, gibt es schließlich immer strukturelle Fragen, die mal angegangen werden müssen. Zudem haben wir unser Verständnis der Umweltkrise vertieft. Das Konzept der Klimagerechtigkeit sehen wir in einem umfassenderen Sinne, so dass wir jetzt etwa mit Verdi gemeinsam an einer Kampagne für den öffentlichen Nahverkehr arbeiten.

Wie funktioniert das?

Gerade auf lokaler Ebene funktioniert die Zusammenarbeit mit den Betriebsrät*innen sehr gut. Die Kooperation ist richtig fruchtbar, und alle Beteiligten strahlen, wenn sie merken, dass da Kontakte entstehen zwischen Gruppen, die bisher nicht so viel direkten Austausch hatten. Der gesichtslose Busfahrer trifft sozusagen auf den unbekannten, abstrakten Klimaaktivisten. In diesen Verbindungen sehe ich sehr große Möglichkeiten.

Aber nicht jede Gewerkschaft gehört zu den natürlichen Verbündeten von FFF.

Natürlich gibt es bei einigen Gewerkschaften bezüglich unserer Positionen Widersprüche. Es wäre aber auch sehr überraschend gewesen, wenn etwa die IG Metall eine radikalere Umweltposition in der Kohlekommission vertreten hätte als Greenpeace. Nichtsdestotrotz haben wir auch mit den Industriegewerkschaften klare Anknüpfungspunkte. Es reicht jedoch nicht, beispielsweise in der Autoindustrie nur alternative Antriebsentwicklungen zu unterstützen. Am Ende verstopfen weiter Blechlawinen die Straßen, und die Branche kriselt weiter wegen Überproduktion. Die Vier-Tage-Woche könnte hier generell gut helfen, wenn wir die Wirtschaft sozial-ökologisch weiterentwickeln wollen. Da müssen wir im Gespräch bleiben.

Wäre eine rot-rot-grüne Bundesregierung ein Partner?

Dazu haben wir als FFF keine Position. Wir wollen Klimaschutz und fordern, dass das Pariser Klimaabkommen eingehalten wird. Falls es zu solch einer Regierung kommen sollte, wäre es sehr wichtig, dass der Protest nicht aufhört. Im schlimmsten Fall übernimmt sonst Bertelsmann die außerparlamentarische Opposition, und die Regierungspolitik wird so, als ob man gleich Schwarz-Gelb gewählt hätte. Von daher kann eine rot-rot-grüne Regierung strategisch sehr stark sein und zu Veränderungen führen, aber nur wenn die Zivilgesellschaft zusammenhält und für ihre Rechte kämpft.

Die Bewegung bekam im vergangenen Jahr viel Aufmerksamkeit, konnte aber wenig politische Ziele erreichen. Was macht das mit den Aktiven?

Eine gewisse Erschöpfung und Enttäuschung ist da. Ratlosigkeit, Aktionismus, auch Wut. Ich denke, dass wir noch nicht genug erreicht haben, liegt auch daran, dass wir zu wenig ökonomischen Druck gemacht haben. Wir werden aber jetzt wieder sichtbarer.

Wie?

Wir werden am Aktionstag unter anderem der Autoindustrie einen kleinen Streich spielen. Dort hält man einfach weiter an veralteten Konzepten fest und gefährdet damit Arbeitsplätze, die Umwelt und auch den globalen Süden. Diese Vormachtstellung von einer der zerstörerischsten fossilen Industrien anzugreifen und gemeinsam mit den dortigen Kolleg*innen nach Alternativen zu suchen, wird für uns ein sehr wichtiger Kampf werden.

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