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Das Instabile im Herzen

Eine Seeräuber-Jenny: Zum Tod der Sängerin Juliette Gréco.

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Welt sei Ungerechtigkeit, so hatte Jean-Paul Sartre einen Brief an Juliette Gréco begonnen. Er wird diesen Satz in sein Stück »Der Teufel und der liebe Gott« übernehmen und schreiben: »Wenn du die Ungerechtigkeit hinnimmst, bist du ein Mitschuldiger, wenn du sie veränderst, wirst du wahrscheinlich zum Henker.« Gréco fragte zurück, was sie tun solle. Sartre antwortete: »Sing, du Hochverehrte, Musik verwandelt Schuld in Fragen und Gewalt in Scham.« Und sie sang, und Sartre schrieb ihr Texte. »Er hat mir Flügel geschenkt, und ich bin damit losgeflogen.«

Sie war eine Frau in Gunst und Gefahr. Die Gunst ist die Gefahr gewesen. Schönheit in Schwarz - das ist Geheimnis, zugleich aber Lockmaterial. In einer Pariser Welt der fünfziger und sechziger Jahre, die Saint-Germain-des-Prés heißt. Rausch des Verrauchten, Lockreiz des Verruchten. Die Gréco im Bannkreis der Bars, im Energiefeld von Boris Vian und Jacques Brel. Das Begehrenswerte stets auch als Testfigur der Männer, wie weit man jemanden unter Wert drücken kann. Nicht Gréco. Sie wurde nicht nur eine große Sängerin, sie wurde ein starker Charakter wider die Vernutzungstechniken des Gewerbes, sie wurde eine graziöse Tapfere wider die kalten rechnerischen Taktiken der Manager.

Im Grunde war sie auch dann, wenn sie sich für gefällige Melodien erweichte, eine Seeräuber-Jenny. Einmal sprach sie von einem Traum: Brecht, den sie nie kennenlernte, habe ihr Zigarrenrauch ins Gesicht geblasen, als sie sang, und sie stieß nach einem Moment der Benommenheit die Töne kräftiger, räudiger aus, »und das Weib in mir war plötzlich wunderbar wild geworden.« Ihre Chansons ließen die Traglast der Erfahrungen schweben. Ihr Ton ließ die Inhaltsstoffe der Illusionen schillern. Im Lied das Lächeln der Verlierer - siegesgewiss wie nichts sonst auf der Welt. Und in allem ein feinstes Witterungsorgan. Edith Piaf wollte »Je hais les dimanches« von Charles Aznavour nicht singen, Juliette Gréco ergriff Lied und Gelegenheit und landete einen Hit.

Manchmal sind ihre Lieder wie ein Regentropfen in einer gewölbten Hand, ein Tropfen, der nicht mehr weiß, was das Meer ist. Oder das Chanson gleicht einem verträumten Streichholz, das seinen feuchten Kopf am Zündstreifen reibt. Du hörst hin und weißt: Was ein bisschen glücklich macht, ist nur immer das Instabile im Herzen. Dieses wunde Ziehen in den Tönen, dann aber - etwa in Préverts »Embrasse-moi« - dieser klare bestimmende Gang durch die Wirren einer Liebe, diese kontrollierende Gefasstheit im Labyrinth einer Beziehung. Jacques Brels Songs klingen mitunter traurig, als seien sie letzte Zigaretten, die sich wünschen, endlich als Kippen erlöst in die Gosse geworfen zu werden - Gréco sang (»Ne me quitte pas«) alles Geknickte und Gedemütigte, alles Feige und Fahrige aus dieser Musik heraus und wandelte um und um - alles Vermissen in Reichtum, alles Klagen in Aufbäumen. Ihre Berührungskunst war die Distanz.

1927 wurde sie als Tochter eines unsteten korsischen Polizisten und einer Französin geboren. Mutter und Schwester wurden ins KZ Ravensbrück verschleppt, beide überlebten. Juliette wurde die Frau aus Montpellier, die sich stolz im Schwarz ihrer Wimpern, Haare, Hosen, Pullover und Kleider verschloss. Das Inspirationswesen der Existenzialisten, das gewissermaßen besänftigend neben dem Pianisten steht, dessen schwere Hand sich ins Dur träumt. Immer sagte sie von sich, sie hätte damals auch eine Nutte werden können. Was sie rettete, waren die Genies: Camus und Giacometti im Café Flore oder im Deux Magots, »auch Gérard Philipe, er war ein Engel, wie jemand, der nicht von dieser Welt war. Ich habe mit allen gesprochen.«

Eines ihrer letzten Alben heißt »Le Temps d’une chanson«, erschienen 2006, mit Chansons nach Texten auch von Serge Gainsbourg und Leo Ferré. Der gesammelte Gang noch einmal durch ihr lebenslanges Werk. Das poetische Abirren in die Suche nach Wärme - nicht als Verweigerung von Welt, sondern als deren zart-herbe Inbesitznahme. Der gesungene Mensch als der Mensch, der ist, der aber doch werden möchte. Der in ein Verhältnis eintreten möchte zu dem, was nicht einfach gesagt, berechnet, abgebildet und dargestellt werden kann. Bekenntnis zu einem Leben, das nie die Fühlung zur Möglichkeit verliert. Was wäre, wenn ... So sang es Juliette Gréco und zitierte Boris Vian: »Schafft den Konjunktiv ab und ihr werdet Gott getötet haben.«

Nun ist die berückende Sängerin und Schauspielerin am vergangenen Mittwoch im Alter von 93 Jahren bei Marseille gestorben.

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