Deutsch-deutsche Deals
»Kranke Geschäfte« zeigt DDR-Bürger als Versuchskaninchen westdeutscher Medizinstudien
Wer ein paar saftige Feindbilder im Fernsehen braucht, wird hierzulande nirgends besser bedient als beim Themenkomplex DDR. Schon Guido Knopp meinte, dass Kommunisten die schlimmeren Faschisten seien und hat sie folglich auch stets als blutsaufende Bestien dargestellt, während seine NS-Prosa gleichzeitig nie mehr als drei Nazis unter Millionen von Opfern aufwies. Wenn das vom ZDF produzierte Drama »Kranke Geschäfte« also von einem Stasi-Offizier handelt, dessen Tochter unfreiwillig Teil eines pharmazeutischen Ost-West-Deals wird, dürfte es entsprechend klar sein, wer dabei der Böse ist.
Der Offizier Armin Glaser ist selbst für Kollegen »ein 200-Prozentiger«, der zwar sanft aus der MfS-Wäsche schaut, Regimegegner jedoch mit aller Härte des Überwachungsstaates anpackt. Wenn so einer vom schmusestimmigen Florian Stetter gespielt wird, soll das tiefe Wasser erkennbar still erscheinen - ein dramaturgischer Kniff, den Christoph Waltz als kultivierter Judenjäger Hans Landa zur Perfektion brachte. Elf Jahre nach »Inglourious Basterds« zeigt der stille Oberleutnant sein abgründiges Berufsethos von der ersten Minute an - und steht doch für ein Historytainment, das sich wohltuend vom Klischeehagel dieser ideologisch kontaminierten Kunstform abhebt.
Als Armin Glaser erfährt, dass Kati (Lena Urzendowsky) nach ihrer MS-Diagnose mit Medikamenten behandelt wird, für deren Erprobung die DDR dringend benötigte Devisen erhält, beginnt ihr Vater den eigenen Staat auszuhorchen und bringt das tradierte System fiktionaler Klischees damit gehörig ins Wanken. Ein schwäbischer Pharmaboss (Udo Samel), dem 30 Millionen Mark Forschungsmittel wichtiger sind als 13 tote Probanden, wirkt von Beginn an schäbiger als die SED, deren Staatssekretär (Jörg Schüttauf) beim Tauschgeschäft Mensch gegen Material ebenso das Wohl ostdeutscher Patienten im Hinterkopf hat, wie auch seine Studienleiterin Dr. Sigurd (Corinna Harfouch) in Karl-Marx-Stadt. Die Walkmen jedenfalls, die sie vom westdeutschen Partner bekommt, gibt sie flugs an ihre Versuchskaninchen weiter.
Wer gut ist und wer böse, wem es ums finanzielle Überleben geht, wem ums individuelle, wie der hippokratische Eid mit kommunistischem Kollektivismus und kapitalistischer Profitsucht beiderseits der Mauer kollidiert - all dies tariert das Drehbuch von Johannes Betz mit viel Gespür für die Sollbruchstellen totalitärer Systeme und ihrer demokratischen Klassenfeinde aus. Während die DDR 1988 gegen den finanziellen und politischen Staatsbankrott kämpfte, befand sich die BRD ja nur scheinbar in moralisch überlegener Position. Und es ist Regisseur Urs Egger zu verdanken, dass er sich von Letzterer lösen kann. In »Kranke Geschäfte« sind es schließlich Landsleute des Schweizers Egger, deren Pharmakonzern die kleinere Konkurrenz aus Stuttgart zu schlucken droht, falls deren Doppelblindtests unerprobter Arzneimittel gegen Multiple Sklerose keinen Erfolg bringen. Wenn das Gesundheitssystem Ost durch die Vermittlung unfreiwilliger Studienobjekte mit teurer Medizintechnik West versorgt wird, wenn Kritik am Deal mit dem Systemgegner als Kritik am Sozialismus gilt, wenn der Stasi-Spitzel zum Ziel der eigenen Leute wird, hacken sich alle Krähen des Kalten Krieges gegenseitig die Augen aus, bis niemand den inneren Kompass mehr erkennt.
Trotzdem ist es nicht unproblematisch, wenn sich der Film als »inspiriert von wahren historischen Ereignissen« bezeichnet. Dass Tausende von DDR-Bürgern in Hunderten von Tests Millionen an Devisen erbracht haben, wie es der Abspann darstellt, mag ja stimmen. Zugleich aber hat die medizingeschichtliche Forschung ergeben, dass die DDR den damaligen Standard der völkerrechtlichen Deklaration von Helsinki über Menschenversuche weitestgehend eingehalten hat. Die Skrupellosigkeit der Ärzte, Pharmakologen und Politiker des Historytainments suggerieren dagegen das Gegenteil. Es bleibt der einzige Haken eines glaubhaften Films über ein Kapitel deutsch-deutscher Geschichte, das absolut erzählenswert ist.
»Kranke Geschäfte« in der ZDF-Mediathek
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.