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«Ich bin Ingenieur»
Als Frauen aus Ost- und West 1990 aufeinandertrafen, gab es nicht nur sprachliche Barrieren.
Der gesamtdeutsche Zug droht uns zu überrollen«, warnten ost- und westdeutsche Frauen im April 1990. Auf einem Flugblatt hatten sie zum ersten Ost-West-Frauenkongress eingeladen. »Frauen in der DDR haben viel zu verlieren«, hieß es darauf weiter, und: »Frauen in der BRD könnten viel gewinnen, wenn sie denn endlich fordern, dass das, was gut war in der DDR, in das westliche Rechts- und Sozialsystem übertragen wird.«
Beim dreitägigen Kongress in der Dynamo-Sporthalle in Berlin wollten sie diskutieren, sich austauschen und Strategien für eine gemeinsame Frauenpolitik entwerfen. Doch der Kongress begann am 27. April zunächst mit Protest: Migrantinnen, Jüdinnen und Frauen of Color sahen sich und ihre Lebensrealitäten nicht repräsentiert. Sie forderten, auch die zunehmende rassistische Gewalt und die Neufassung des Ausländergesetzes als frauenpolitisches Anliegen zu benennen. Und auch sonst herrschte unter den vermeintlichen »Schwestern« alles andere als Einigkeit, wie die westdeutsche Journalistin Ulrike Helwerth und ihre Kollegin aus dem Osten, Gislinde Schwarz, später in ihrem Interviewband »Von Muttis und Emanzen« konstatieren. Zu verschieden waren die Biografien und Lebensentwürfe von Ost- und Westfrauen nach 40 Jahren getrennter Geschichte.
Gleichstellung vs. Feminismus
»Wenn ich mich nicht selbst ernähren kann, dann bin ich auch nicht emanzipiert«, erklärte Sybille aus Erfurt, eine der Frauen, die Helwerth und Schwarz interviewten. Tatsächlich hatten die Frauen im Osten einen klaren Gleichstellungsvorsprung: Ende der 80er-Jahre waren 92 Prozent der ostdeutschen Frauen berufstätig, die meisten arbeiteten in Vollzeit. Gleichstellung, die politisch forciert war, etwa durch kostenfreie Kitaplätze und Ganztagsbetreuung. Durch ihre Berufstätigkeit waren ostdeutsche Frauen finanziell unabhängiger, was auch ihr Selbstverständnis prägte: Zwei Drittel aller Scheidungen wurden von Frauen eingereicht. Allerdings verdienten Frauen auch hier weniger als Männer und auch in Führungspositionen und in der Politik waren sie unterrepräsentiert. Zuletzt mussten auch sie neben dem Beruf noch Kindererziehung und Haushalt überwiegend alleine stemmen. Laut DDR-Institut für Bedarfsforschung leisteten vollberufstätige Mütter 1969 eine wöchentliche Gesamtarbeitszeit - bestehend aus Lohnarbeit, Haushalt und Kindererziehung - von mehr als 93 Stunden. Männer arbeiteten dagegen knapp 59 Stunden pro Woche.
Im Westen steckten die meisten Frauen zur gleichen Zeit in Beziehungen, in denen der Ehemann der Alleinverdiener war. Auch das war politisch gewollt: Die Hausfrauenehe bestand bis 1977 - ohne Zustimmung des Ehemannes durften Frauen bis dato kein eigenes Bankkonto eröffnen und waren gesetzlich zur »Führung des Haushalts« verpflichtet. Bei einer Arbeitsaufnahme musste der Mann im Vorfeld zustimmen und konnte den Arbeitsvertrag seiner Ehefrau auch wieder kündigen. Wer sich dennoch beruflich verwirklichen wollte, sah sich oftmals dem Vorwurf ausgesetzt, eine Rabenmutter zu sein. Noch 1989 waren nur 51 Prozent der Frauen in der BRD berufstätig. Die Gleichberechtigung kannten die Frauen vor allem aus Büchern und forderten sie auf der Straße. Mit der Studentenbewegung gründeten sich ab 1968 auch immer mehr feministische Gruppen.
»Offiziell war eine solche unabhängige feministische Organisierung in der DDR vor 1990 nicht möglich«, erklärt Jessica Bock, die 2018 zur ostdeutschen Frauenbewegung am Beispiel Leipzigs (1980-2000) promovierte, dem »nd«. Dennoch habe es zahlreiche informelle, staatlich unabhängige Frauen- und Lesbengruppen gegeben - ausdrücklich und bewusst nicht unter dem Dach der staatlichen Massenorganisation Demokratischer Frauenbund (DFD). Den hätten viele, so die Expertin, »als sehr konservativ und verkrustet erlebt«. Die evangelische Kirche hatte sich in den 80er Jahren für Gruppen wie »Lesben in der Kirche« geöffnet. Mehrere Jahre lang legte die Gruppe in der KZ-Gedenkstätte Ravensbrück Kränze nieder.
Natürlich spielte all das auf dem Ost-West-Frauenkongress immer wieder eine Rolle und spiegelte sich auch in der Sprache wieder: Während die Westfeministinnen auf weibliches Suffix und Binnen-I bestanden, benutzten fast alle Ostfrauen die männliche Variante: Sie sahen sich längst gleichgestellt und sagten lieber »Ich bin Ingenieur«.
Reproduktive Rechte
Doch es gab einen Punkt, in dem sich alle einig waren: Paragraf 218. In der DDR waren Schwangerschaftsabbrüche seit 1972 legal. Im Zuge des Ersten DDR-Frauenkongresses hatten zahlreiche Frauen zuvor 13 000 Anträge gestellt und diese der Frauenkommission des Politbüros übergeben. Auch die kostenlose Ausgabe von Verhütungsmitteln wie der Pille, die hier »Wunschkindpille« hieß, regelte das Gesetz. Geprägt hatte den Begriff der Rostocker Professor Karl-Heinz Mehlan. In Abgrenzung zur »Anti-Baby-Pille« des Westens hatte er eine positive Bezeichnung gewählt, auch wenn sich das Wortkonstrukt kaum durchsetzte. Bereits in den 1950er Jahren waren in der DDR zudem uneheliche Kinder ehelich Geborenen gleichgestellt worden.
In der BRD kämpften Westfrauen hingegen bereits seit Jahrzehnten für die Abschaffung des Abtreibungsparagrafen. »Grenzenloses Unbehagen« lautete das Motto einer gemeinsamen Demonstration gegen den Paragrafen im April 1990, zu der Vertreterinnen von zwölf Parteien, Organisationen und Bürgerinitiativen aufgerufen hatten.
Am Ende sollten die Proteste erfolglos bleiben: 1992 verabschiedete der Bundestag das »Gesetz zum Schutz des werdenden Lebens«, das die Fristenlösung mit Beratungspflicht vorsieht und das bis heute besteht. »Paragraf 218 war nicht unser Paragraf«, sagte die letzte DDR-Frauenministerin, Christa Schmidt (CDU), später in einem Interview mit der Stiftung Aufarbeitung. Das Thema Abtreibung sei ihr von Bonner Seite regelrecht »aufgezwungen« worden. Ein herber Rückschlag für alle Frauen aus der DDR.
Die Wendeverliererinnen
Bis heute gelten Ostfrauen als Verliererinnen der Wende. Vom drastischen Beschäftigungsabbau nach 1990 waren sie um ein Vielfaches stärker betroffen als Männer. »Entwertung weiblicher Berufstätigkeit«, nennt Bock dieses Phänomen. Vielen sei gesagt worden, dass Berufe im Ingenieurs- und Technikbereich nichts für Frauen seien. Und: »Sie haben doch Kinder, bleiben Sie erst mal zu Hause«. Dabei habe die Marginalisierung von Frauen nicht nur die Arbeitswelt betroffen, meint Bock, sondern auch den politischen Bereich. »Studien zeigen, dass der Frauenanteil nach 1990 vor allem im kommunalen Bereich stark zurückging und teilweise noch geringer war als in der DDR.«
Um dennoch Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu haben, hätten sich zahlreiche Ostfrauen in den Nachwendejahren sterilisieren lassen, berichtete etwa der »Spiegel« 1992. Waren in der Magdeburger Frauenklinik 1989 noch acht Sterilisationen vorgenommen worden, waren es 1991 beinahe 1200. Auch in Brandenburg hätten sich die Eingriffe mindestens verdoppelt.
Dennoch: Die These der Wendeverliererinnen ist umstritten, meint Bock. Es gebe nicht »die Wendeverliererin«: Besonders in Bezug auf das Alter der Frauen und darauf, ob sie aus dem ländlichen oder städtischen Raum kamen, hätten sie unterschiedliche Möglichkeiten gehabt, sich beruflich neu zu finden, so Bock. Viele insbesondere gut ausgebildete Frauen seien in den 1990er Jahren in den Westen abgewandert; die Auswirkungen sind bis heute spürbar.
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