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Eingefroren, neu entflammt
Im Karabach-Konflikt bleibt der EU nur die Zuschauerrolle.
Seit der jüngsten Eskalation in Bergkarabach mehren sich Stimmen, die eine diplomatische Lösung des fast 30 Jahre währenden Konfliktes fordern. Dieser galt lange als »eingefroren«, aber die aktuellen Kampfhandlungen und der »Viertagekrieg« im Juli beweisen das Gegenteil. Doch weder die Vereinten Nationen (Uno) noch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) haben bisher effektive Schritte zu diplomatischen Verhandlungen unternommen.
Die Kämpfe in Bergkarabach zeigen deutlich: Sowohl die Uno als auch die OSZE hinken den aktuellen Entwicklungen hinterher. Bei der jüngsten UN-Generalversammlung in New York kurz vor Ausbruch der Kämpfe forderten die Regierungen Armeniens und Aserbaidschans eindringlich eine Lösung der Karabach-Frage und bestätigten damit nur Befürchtungen, der Konflikt könne erneut eskalieren. Der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew warf Armenien vor, den Verhandlungsprozess zu sabotieren und einen neuen Krieg vorzubereiten. Sein armenischer Amtskollege Nikol Paschinjan wiederum kritisierte, die Türkei verschärfe den Konflikt und könnte Aserbaidschan bei einer erneuten Eskalation militärische Unterstützung leisten.
Die OSZE ist im Rahmen der sogenannten Minsk-Gruppe seit dem Ende des »heißen Krieges« von 1992 bis 1994 mit der Erarbeitung einer Friedenslösung betraut. Allerdings hat die Organisation momentan nicht einmal mehr Beobachter in der Konfliktregion, wie der Sondergesandte für die Bergkarabach, Andrzej Kasprzyk, diese Woche eingestehen musste. Allerdings wolle man, sobald es die Situation erlaube, wieder welche entsenden.
Völkerrechtlich ist die Lage klar: Bergkarabach ist aserbaidschanisches Staatsgebiet. Kein Staat, nicht einmal Armenien, erkennt die selbst ernannte Republik Arzach an. Allgemein verurteilt werden zudem die ethnischen Säuberungen, die während des Krieges auf beiden Seiten verübt wurden. Auch über die notwendigen Schritte zur Konfliktlösung herrscht seit Jahrzehnten Einigkeit: Erforderlich ist ein Abzug der armenischen Truppen aus Bergkarabach und eine weitreichende Autonomie für die Region im Rahmen des aserbaidschanischen Staates. Die vertriebenen aserbaidschanischen Flüchtlinge sollen zurückkehren dürfen. Geplant sind zudem internationale Wirtschaftshilfen für die Region. Eine multinationale Friedenstruppe soll den Prozess überwachen.
Uneinigkeit herrscht dagegen in der Frage, welche Schritte zuerst erfolgen müssen, und wie sie umzusetzen sind. Die Minsk-Gruppe hat in der Vergangenheit dazu keinen Fahrplan entwickelt. Dadurch nehmen die Konfliktparteien die OSZE in erster Linie als ineffektives Debattenforum wahr.
Der Karabach-Konflikt steht sinnbildlich für die gescheiterten Pläne, eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur für Europa zu schaffen. Mit dem Ende des Ost-West-Konfliktes schien dieses Vorhaben plötzlich greifbar. Die Spaltung des Kontinents in konkurrierende militärische Blöcke galt in den späten 1980er Jahren als wesentlicher Grund für das Wettrüsten und die Gefahr eines Atomkrieges. Diesen Standpunkt vertraten nicht nur die Friedensbewegung, sondern auch viele europäische Regierungen. Die OSZE hätte eine wichtige Rolle beim Aufbau einer solchen Sicherheitsarchitektur spielen können, da sie explizit kein westliches beziehungsweise östliches Bündnis ist. Mitglieder der Organisation sind alle Länder Europas, inklusive der Türkei, die postsowjetischen Staaten, die Mongolei sowie die USA und Kanada. Doch Appelle, die besonders aus den sowjetischen Nachfolgestaaten kamen, die OSZE zu stärken, blieben ungehört.
Die erneute Eskalation zwischen Armenien und Aserbaidschan verdeutlicht vor allem die Hilflosigkeit der Europäischen Union. Offensichtlich lässt sich der Konflikt in den bestehenden internationalen Verhandlungsrahmen nicht lösen. Andere Formate sind nicht in Sicht, nicht zuletzt, weil man in der Vergangenheit stets glaubte, darauf verzichten zu können. Allerdings zeigen die vielen Kriege im postsowjetischen Raum, wie notwendig dies wäre. Der Konflikt zwischen Moldawien und Transnistrien gilt ebenfalls als eingefroren, könnte aber genauso schnell wieder eskalieren wie der fragile Frieden in Südossetien und Abchasien enden könnte.
Damit bleibt der EU nur die Zuschauerrolle. Die entscheidenden Akteure in dem Konflikt sind neben Armenien und Aserbaidschan die Schutzmächte Russland und die Türkei - und die zeigen bestenfalls ein eingeschränktes Interesse an ernsthaften Verhandlungen.
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