Politprozess gegen Pressefreiheit

Podiumsdiskussion der Helle Panke e.V. zum Auslieferungsverfahren

  • Daniel Lücking
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Fall des Australiers Julian Assange hat die Dimension der Spiegel-Affäre, bei der in den 1960er Jahren Journalisten des Landesverrates bezichtigt wurden. Gregor Gysi, außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, kritisiert, dass Journalist*innenverbände und Journalist*innen nicht intensiver über den Fortgang des derzeit in London laufenden Auslieferungsverfahrens gegen den Wikileaks-Gründer berichten.

Zusammen mit der Theaterregisseurin und Journalistin Angela Richter, Menschenrechtsanwalt Wolfgang Kaleck und Diani Barreto, die über Whistleblower und deren Verfolgung forscht, diskutierte Gysi am Montagabend in Berlin. Der Fall Assange müsse in reichweitenstarken Talkshows thematisiert und einem größeren Publikum nahe gebracht werden, forderte Gysi.

Nach zwei Verhandlungswochen ist das Urteil für den 4. Januar 2021 angekündigt. Vor Assange liegen damit weitere drei Monate im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh, das als britisches Guantanamo gilt. Aktivist*innen, Menschenrechtsorganisationen und Prozessbeobachter*innen haben die Haftbedingungen, die Verweigerung des Kontakts zur Familie und vor allem den nur im Gerichtsaal möglichen Austausch Assanges mit seinen Anwälten beklagt. Assange droht die Auslieferung an die USA. Dort erwartet ihn ein Prozess wegen Spionage mit einer angekündigten Haftstrafe von 175 Jahren. Zusammen mit deutschen, britischen und us-amerikanischen Medien hatte Assange über US-Kriegsverbrechen im Irak und in Afghanistan berichtet. Die Belege dafür kamen von US-Soldatin Chelsea Manning.

Die Bundesregierung wird indes nicht müde, auf Nachfragen immer wieder zu betonen, man habe volles Vertrauen in die britische Justiz und Assange bekomme ein faires und rechtstaatlich einwandfreies Auslieferungsverfahren. »Eine Anklage nach dem Espionage Act ist ein Totschlagargument«, ordnete Diani Barreto die ausbleibende Unterstützung für Assange aus der Bundesrepublik ein. »Da wünschte ich mir eine Regierung mit etwas Mumm«, sagt Gysi. »Deutschland traut sich doch nicht, einem Edward Snowden oder Julian Assange politisches Asyl zu gewähren.« Der »Zeitgeist« müsse sich ändern, die Bundesregierung müsse klar Position zum Verfahren beziehen.

Die US-Regierung erkennt die Aktivitäten des Wikileaks-Gründers nicht als Journalismus an. »Wie verhält sich die Bundesregierung in dem Fall«, fragte die Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Anne Helm, die die Runde moderierte. Gysis Antwort: »Ganz wie immer: gar nicht.«

Vom Aufkommen der Informationstechnologie, die die Veröffentlichungen der Dokumente und den Beweis von Kriegsverbrechen erst ermöglicht hat, hatte sich Gysi zunächst mehr Demokratie erhofft. Herrschaftswissen dürfe kein exklusives Gut in den Händen der Regierungen mehr sein. Doch die derzeit zunehmenden autoritären Tendenzen im Wahlverhalten von Bürgern und von Staatsoberhäuptern seien Rückschritte.

Würde Assange ausgeliefert und in den USA verurteilt, so hätte dies weitreichende Konsequenzen für Journalist*innen weltweit. »Es ist ein Informationskrieg. Wer autoritär agieren will, muss die Informationen kontrollieren«, machte Angela Richter deutlich und wies auf den aufgeblähten US-Sicherheitsapparat hin, der mittlerweile über mehrere Millionen Geheimnisträger*innen verfügt.

In dieser Woche ist erneut John Shipton in Berlin und wirbt bei den Bundestagsfraktionen um Unterstützung für seinen Sohn Julian Assange. Im Bundestag forderte am Dienstag Linksfraktionschefin Amira Mohamed Ali die Haftentlassung des Australiers. »Als Linke sagen wir, Julian Assange muss sofort freigelassen werden. Es kann nicht sein, dass diejenigen, die Kriegsverbrechen aufdecken, in Haft sind und dafür bestraft werden. Es müssen diejenigen sein, die Kriegsverbrechen begehen.«

Die britische Prozessführung verhindert derzeit, dass Assange in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Zu den Prozessterminen wurde er in einem Fahrzeug mit abgedunkelten Scheiben gefahren, so dass keine Bilder und Blicke auf Assange möglich sind. Trotz der coronabedingten eingeschränkten Öffentlichkeit im Gerichtssaal reduziert das Gericht zusätzlich die Anzahl der Onlinezugänge. Nur wenige Prozessbeobachter*innen konnten verfolgen, wie mit Assange umgegangen wird. »Mir ist nicht klar, wie die Briten da Gesicht wahren wollen«, sagte Wolfgang Kaleck, der auch Generalsekretär des European Center for Constitutional and Human Rights ist.

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