Organischer Origineller

Rainer Rilling zum 75. Geburtstag

  • Lesedauer: 3 Min.

Er stellt sein Licht oft unter den Scheffel, doch sollte man es umso heller scheinen lassen. Es gibt kaum ein Themenfeld, zu dem der Soziologe Rainer Rilling, der am 14. Oktober 75 wird, nicht hervorragende Expertise produzierte und Begriffe prägte: von »Transformationsforschung« über »Futuring« und »Imperialität« bis »Gated Capitalism«. Er hat übers Internet geforscht, als viele dieser neuen Technologie noch keine Zukunft zuerkennen wollten. Als mit dem Aufstieg des Neoliberalismus Armutsberichte dringlicher werden, fragt er schon nach dem Reichtum in der Gesellschaft - und griff so Thomas Piketty vor, seit dessen 2013 in Frankreich und 2014 in Deutschland erschienenem Buch über das »Kapital im 21. Jahrhundert« solche Fragen wieder linker Mainstream sind. Die »Sirenen der Ökonomie« - so der Titel einer seiner Veranstaltungen im Jahre 2002 - hört Rainer Rilling schon lange bevor sich die Relevanz ökonomischer Prozesse in der globalen Finanzkrise wieder so wuchtig vergegenwärtigte. Mit dem Begriff »Futuring« prägt er die Arbeit eines Forschungsinstituts in der Rosa-Luxemburg-Stiftung über Jahre: Gemeint ist die strategische Planung von Zukunft mit Blick auf die globalen Produktions- und Kräfteverhältnisse.

Rainer Rilling ist ein Nachkriegskind. Die Auseinandersetzung mit dem deutschen Faschismus ist auch eine mit der eigenen Familie. Der Enge des Schwabenlandes nach Marburg entkommen, studiert er bei Wolfgang Abendroth, Werner Hofmann und Reinhard Kühnl. Nach seinem Studium ging er nach Bremen und promovierte 1973 bei Lothar Peter zu Rüstungsforschung und Rüstungspolitik. Zurück in Marburg, arbeitete er als wissenschaftlicher Assistent am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften, wo er sich 1980 auch habilitiert.

Rainer Rilling hat die Umformung der Hochschul- und Wissenschaftslandschaft kritisch begleitet: politisch mit dem Bund demokratischer Wissenschaftler*innen, dessen Geschäfte er von 1983 bis 1998 führt - und auch wissenschaftlich. Ganze Kohorten junger linker Wissenschaftlern*innen wurden aus den Unis gedrängt, in den 1970ern auch durch Berufsverbote, später durch die Streichung von Themen, den Umbau von Curricula, durch eine Ausweitung der Befristungen - eine »Kombination aus Refeudalisierung und neoliberaler Vermarktlichung«, wie Rilling schreibt. Er hat alternative Räume für linke Wissenschaft geschaffen. Als sich die Rosa-Luxemburg-Stiftung erweiterte, war es nur logisch, dass sie sich sogleich um ihn bemühte. Jahrelang hat er die Arbeit der Stiftung befruchtet: Zukunftsszenarien, ein europäisches und globales Netzwerk gegen Privatisierung und für das Öffentliche, ein Großprojekt wie »Auto.Mobil.Krise« und - lange vor der Debatte um Bernie Sanders - der »grüne Sozialismus«. Der Strang »globaler Autoritarismus« der Stiftung geht auf ihn zurück. Er hat eine Faszination für das Empire wie den Widerstand - auch daher rühren seine guten Kontakte zu den großen linken Intellektuellen in den USA. Die Strukturen des Imperiums mit mehreren Zentren und was sich vom Widerstand im »belly of the beast« lernen lässt: Das wollte er auf beiden Seiten des Atlantiks diskutieren.

In der Rosa-Luxemburg-Stiftung ist er eine zentrale Figur, die verbindet, anregt und Anregungen weitergibt, ein Verdichter von Diskussionsfäden. Mit seinem freundlichen Wesen schafft er eine kollegiale und produktive Arbeitsatmosphäre. Er ist immer auf der Suche nach neuen Themen, die relevant werden, Wirkung entfalten. Er treibt zur Originalität an. Als Fellow am Institut für Gesellschaftsanalyse arbeitet er auch nach der Pensionierung, verhindert stets, sich in Erreichtem einzurichten, ausgetretenen Pfaden zu folgen - Futuring im besten Sinne.

Heuer musste »seine« Diskussionswerkstatt »Villa Rossa« in der Toskana wegen der Pandemie verschoben werden. »Aufruhr« sollte ihr Thema sein. Wir freuen uns auf gemeinsame Fortsetzung.

Lutz Brangsch, Michael Brie, Mario Candeias, Alex Demirovic, Frank Deppe, Richard Detje, Dagmar Enkelmann, Barbara Fried, Cornelia Hildebrandt, Christina Kaindl, Dieter Klein, Sabine Reiner, Katrin Schäfgen, Ingar Solty, Sybille Stamm, Daniela Trochowski und Florian Weis.

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