Den Hunger entwaffnen
UN-Welternährungsprogramm erhält den Friedensnobelpreis. Von Martin Ling
Vorab wurde unter anderem über die Weltgesundheitsorganisation spekuliert, zugesprochen bekommen hat den Friedensnobelpreis 2020 nun das Welternährungsprogramm (WFP), das ebenfalls bei den Vereinten Nationen angesiedelt ist. Dessen Slogan passt ebenfalls gut zu der 2020 die Welt bestimmenden Corona-Pandemie: »Bis zu dem Tag, an dem wir einen medizinischen Impfstoff haben, ist Nahrung der beste Impfstoff gegen das Chaos.« Der Slogan wurde von der Vorsitzenden des norwegischen Nobelpreiskomitees, Berit Reiss-Andersen, bei ihrer Rede ausdrücklich mit Zustimmung bedacht.
Entscheidend für das Votum des Nobelpreiskomitees waren aber die weit vor Corona unternommenen Bemühungen des WFP, den Teufelskreis zwischen Hunger und bewaffneten Konflikten zu durchbrechen: »Krieg und Konflikte können zu Ernährungsunsicherheit und Hunger führen, so wie Hunger und Ernährungsunsicherheit latente Konflikte aufflammen lassen und Gewaltanwendung auslösen können. Wir werden das Ziel des Null-Hungers niemals erreichen, wenn wir nicht auch Krieg und bewaffnete Konflikte beenden«, sagte Reiss-Andersen bei der Bekanntgabe des Preises. Die Zahlen sprechen für sich: »Im Jahr 2019 litten 135 Millionen Menschen an akutem Hunger, die höchste Zahl seit vielen Jahren. Der größte Teil des Anstiegs wurde durch Krieg und bewaffnete Konflikte verursacht«, führte Reiss-Andersen bei ihrer Rede aus.
Das Welternährungsprogramm ist die größte humanitäre Organisation der Welt, die sich mit der Bekämpfung des Hungers und der Förderung der Ernährungssicherheit befasst. Im Jahr 2019 leistete das WFP Hilfe für fast 100 Millionen Menschen in 88 Ländern, die Opfer von akuter Ernährungsunsicherheit und Hunger sind. »Dies ist ein stolzer Moment«, sagte der Sprecher des Welternährungsprogramms in Genf, Tomson Phiri, nach der Zuerkennung des Friedensnobelpreises an das WFP. Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter notierte die Organisation: »Wir sind sprachlos.«
Der Friedensnobelpreis ist auch eine Mahnung: »Die Welt ist in Gefahr, eine Hungerkrise von unfassbarem Ausmaß zu erleben«, wenn das Welternährungsprogramm nicht die geforderte finanzielle Unterstützung erhalte, sagte Reiss-Andersen.
Kaum noch in Erinnerung ist auch hierzulande, dass die drastische Kürzung der Essensrationen für die Flüchtlinge in Syriens Nachbarstaaten durch das WFP wegen Geldmangels im Sommer 2015 einen gewaltigen Schub in der darauffolgenden Migration über die Balkanroute auslöste. 2017 legte das WFP den Bericht »An der Wurzel des Exodus: Gesicherte Ernährung, Konflikt und internationale Migration« vor. Demnach steigt mit jedem weiteren Jahr eines Konflikts die Zahl der Flüchtlinge pro 1000 Einwohner um 0,4 Prozent. Nimmt zugleich die Zahl der von Hunger bedrohten Menschen um ein Prozent zu, migrieren sogar 1,9 Prozent mehr Menschen. Der Teufelskreis ist noch nicht unterbrochen. Kommentar Seite 8
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.