• Kultur
  • Beilage zur Buchmesse Frankfurt Main

Was heißt Schwarz sein?

Ijeoma Oluo über alltäglichen Rassismus

  • Knut Henkel
  • Lesedauer: 4 Min.

Ihre Haare waren für das Büroteam zu »ethnisch«, ihr Auftreten zu »laut« - Ijeoma Oluo nahm es hin. Sah über rassistische Witze hinweg, dämpfte ihre Stimme in Meetings, akzeptierte, dass ihr Chef sie zwar beförderte, aber ihr keine Gehaltserhöhung gewährte, arbeitete härter, um voranzukommen. Sie sagte sich, dass sich das Durchhalten eines Tages lohnen würde, dass eine erfolgreiche Schwarze Frau genug Revolution sei. Vorbei - nur eine Etappe im Leben der Politikwissenschaftlerin aus Seattle, die als Autorin, Bloggerin und Journalistin das geschafft hat, wovon viele träumen: auf der Bestsellerliste der »New York Times« zu landen.

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Ijeoma Oluo: Schwarz sein in einer rassistischen Welt. Warum ich darüber immer noch mit Weißen spreche.
Unrast, 211 S., br., 16 €.

»So you want to talk about race« heißt ihr Buch im Original. Es richtet sich ausdrücklich an jene, die etwas ändern wollen, die bereit sind, Strukturen zu hinterfragen, die die alte Mär von den USA als Schmelztiegel der Kulturen und Migrant*innen nicht verinnerlicht haben. An die US-Amerikaner*innen, die aus Protest auf die Straße gingen, nachdem George Floyd am 25. Mai erbärmlich unter dem linken Knie des Polizisten Derek Chauvin in Minneapolis erstickte, und an jene, die nicht schweigen, wenn an der Schule ihres Kindes Schwarze und Braune als zu laut, zu renitent, zu gewalttätig beschimpft und aussortiert werden. Alltag an US-amerikanischen Bildungseinrichtungen, wie der Fall des fünfjährigen Sagan zeigt. Der Knirps hatte einen Lehrer geschubst, zwei Schulmitarbeiter geschlagen und sich Anweisungen widersetzt. Niemand jedoch fragte das einzige Schwarze Kind in der Klasse, was zuvor passiert war, warum es derart reagierte.

Die Suspendierung des Fünfjährigen war für Lehrer*innen und Schulmitarbeiter*innen vollkommen normal - Pädagogik: Fehlanzeige. Kein Einzelfall, den Oluo schildert. Sagan steht für die gängige Praxis an US-Schulen, wo 31 Prozent der Suspendierungen auf Schwarze Kinder entfallen, obgleich sie nur 16 Prozent der Schülerschaft ausmachen. Bei den Verhaftungen an den Schulen ist es noch augenfälliger: 70 Prozent der an US-Schulen in polizeilichen Gewahrsam genommenen Schüler*innen sind Schwarz.

Kein Zufall. Und die Folgen sind gravierend. Als »school-to-prison-pipeline« bezeichnen kritische US-Bildungsexperten die deutlich höhere Wahrscheinlichkeit, dass der Weg von Schwarzen, aber auch von Braunen Schüler*innen direkt oder indirekt ins Gefängnis führt. Dafür sind Vorurteile und struktureller Rassismus entscheidend, argumentiert Olue, die Schwarz genauso wie Braun konsequent großschreibt. Für sie sind dies keine wirklichen Attribute, sondern Teil einer politischen Realität, die in einem System wurzelt: im System des Rassismus. Dieses dient, historisch betrachtet, in den USA in erster Linie als Rechtfertigung für den grausamen Akt der Sklaverei und den Völkermord an den Native Americans, den »Ureinwohnern«, und wurde später modifiziert, um als Mittel zur Spaltung der unteren Klassen herzuhalten, schreibt Olue.

Dabei kommt der Polizei eine wichtige Rolle zu. Gegründet, um Sklaven einzufangen, und nicht, um Verbrechen zu verhindern, spielen die Ordnungshüter bis heute eine zentrale Rolle. Die Wahrscheinlichkeit, dass Schwarze Autofahrer*innen von der Polizei angehalten werden, ist um 23 Prozent höher als bei weißen Fahrer*innen; die Wahrscheinlichkeit, bei einer Polizeikontrolle getötet zu werden, gleich dreieinhalb- bis viermal höher als bei weißen - die Statistik spricht Bände.

Anläufe, daran etwas zu ändern, hat es durchaus gegeben. Positive Diskriminierung oder Affirmative Action heißt das Konzept, das in den 1960er Jahren eingeführt wurde, um gegen extrem rassistische Unterschiede im öffentlichen Dienst und im Hochschulbetrieb vorzugehen. Durchaus erfolgreich, wie die zunehmende Zahl Schwarzer Studierender gezeigt hat. Doch schon unter Ronald Reagan Anfang der 80er Jahre wurde das Konzept zurückgefahren, obwohl es funktioniert, kritisiert Olue. Und unter der aktuellen Administration ist Affirmative Action kein Thema mehr - für keine Minderheit.

Es gelingt Oluo, Diskurse über die Vor- und Nachteile identitätspolitischer Kämpfe verständlich zu machen und den Begriff der Intersektionalität zu erklären, der verlangt, dass soziale Bewegungen alle Schnittpunkte von Privilegien, Identität und Unterdrückung berücksichtigen, um endlich gerecht und effektiv zu sein. Das lässt sich erlernen, setzt aber Sensibilität und Reflexion voraus. Diese sind vonnöten, um etwas zu ändern, das eine jahrhundertelange Geschichte verstetigt hat, das tief verwurzelt ist.

Ein Buch zum Nachdenken über das eigene Verhalten - die eigenen Vorurteile. Oluo lässt die Leser*innen in den Spiegel schauen. Doch struktureller, institutioneller Rassismus ist nicht nur ein Problem der USA. Auf die Parallele zur deutschen Gesellschaft verweist Jana Pareigis im Vorwort. Hierzulande entscheiden ebenso die Hautfarbe, ein türkischer Nachname oder ein Kopftuch darüber, ob und welchen Job man bekommt. Ein Buch für alle, die bereit sind nachzudenken - über die Missstände in der eigenen Gesellschaft. Und die bereit sind, sich zu engagieren, um die Gesellschaft zu ändern.

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