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- Beilage zur Buchmesse Frankfurt Main
Von Cola di Rienzo bis Gauland & Co
Kolja Möller hat eine erhellende Geschichte des Populismus verfasst
Populismus ist die politische Kommunikation des kleinen Aufstands, Appell des Volkes gegen die Eliten. Kein neues Phänomen, sondern immerwährender Bestandteil politischer Prozesse. Das sind die Kernthesen von Kolja Möllers »Geschichte des Populismus«. Den im Titel des Buches verwendeten Begriff »Katzenjammer« hat er sich bei Karl Marx ausgeliehen, der nach dem gescheiterten Volksaufstand in Frankreich 1848 davon gesprochen hatte. Der Autor folgt Marx und Friedrich Engels auch in deren Fehleranalyse hinsichtlich der Bedingungen für erfolgreiche Aufstände. Es gebe den voluntaristischen Fehler, der die politische Veränderung vor allem auf den Volkswillen zurückführe, den identitären Fehler, der sich täusche, was die historische Veränderbarkeit von Gesellschaften betrifft, und den autoritären Fehler, bei dem das Volk nur noch zur Unterstützung von Führungsfiguren herbeigerufen werde.
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Kolja Möller: Volksaufstand und Katzenjammer. Zur Geschichte des Populismus.
Wagenbach, 160 S., br., 18 €.
Anhand dieser Annahmen zeichnet Möller eine Linie vom späten Mittelalter bis in die Gegenwart. Er berichtet von einem zunächst erfolgreichen Volksaufstand 1347 gegen die herrschenden Adelsfamilien in Rom, in dessen Folge sich Cola di Rienzo zum Volkstribun stilisiert habe und schließlich nach nur einem guten halben Jahr Herrschaft das Capitol weinend wieder verließ; er hatte nicht vermocht, die Ziele des Aufstandes umzusetzen. Möller verweist auf Napoleon Bonaparte, der zunächst erfolgreich eine Querfront aus Soldaten, Bauern sowie Vertretern anderer Stände und Berufe geschmiedet hatte, die ihren Platz in der modernen Gesellschaft nicht fanden - nur um sich an die Macht zu bringen und ein autoritäres Regime zu installieren. Beleuchtet werden populistische Bewegungen in den USA im ausklingenden 19. Jahrhundert, so unter der ländlichen Bevölkerung gegen das Establishment und die städtischen Eliten, die auf Kosten der Produzentenmoral der Bauern lebten. Hier trafen, so Möller, religiöse, konservative, liberale und sozialistische Impulse aufeinander.
Mit einem Hechtsprung geht es dann in die jüngste Vergangenheit, nach Lateinamerika, wo einerseits die argentinischen Peronisten Volkes Wille innerhalb des neoliberalen Projektes umzusetzen versuchten, andererseits unter Hugo Chávez in Venezuela, Evo Morales in Bolivien und Rafael Correa in Ecuador linkspopulistisches Regieren ausprobiert wurde. Im Folgenden wird es besonders spannend: Nach einer erhellenden Analyse aktueller populistischer Parteien und Bewegungen - die AfD unter Alexander Gauland & Co., der Front National unter Marine Le Pen, die Anhängerschaft des US-Präsidenten Donald Trump - diskutiert Möller, ob jenen ein linker Populismus entgegengesetzt werden kann. Um dem Vorwurf einer Gleichsetzung zu entgehen, grenzt der Autor zunächst den gegenwärtigen Rechtspopulismus vom historischen Faschismus ab. Rechter Populismus verschiebe Politik wieder stärker in Richtung Identität, Kollektiv oder Tradition, beziehe sich aber auf die Volkssouveränität und die Verfassung. Im Gegensatz zum Faschismus werde von Rechtspopulisten heute der Gewalt keine schöpferische Kraft zugeschrieben. Damit sei der sogenannte kleine Aufstand bis ins linke und liberale Milieu anschlussfähig und erfolgreich. Trotzdem berge auch der aktuelle Rechtspopulismus Gefahren, beispielsweise wenn in den Visegrad-Staaten Verfassungsänderungen initiiert werden sollen, womit die Möglichkeit zur autoritären Transformation gegeben sei.
Am Beispiel der Proteste der französischen Gelbwesten argumentiert Möller, dass der »kleine Aufstand«, das populistische Moment, weder zu verdrängen noch aus machtpolitischen Auseinandersetzungen wegzudenken sei. In Anlehnung an Chantal Mouffe und Ernesto Laclau könne dieser sogar als Lebenselixier der Demokratie angesehen werden - allerdings nur, wenn an die Stelle des vermeintlich homogenen Volkes ein heterogener, reflektierender Souverän trete. Ein »Volk der Leute«, das in der Unübersichtlichkeit der Repräsentationskrise der Demokratie ein neues Recht einfordert, das der neoliberalen Globalisierung gegenübersteht. Europäische Parteien wie die spanische Sammlungsbewegung Podemos, die griechische Syriza unter Alexis Tsipras oder die Labour-Partei unter Jeremy Corbyn hätten diesen Ansatz teilweise erfolgreich genutzt. Dem britischen Journalisten Paul Mason folgend, schlägt Möller einen vernetzten Aktivismus vor, der sich pragmatisch entlang von Parteien organisiert.
Dieses Buch bietet eine spannende, erkenntnisreiche Lektüre. Historische und aktuelle Entwicklungen sind gut und nachvollziehbar beschrieben. Dass allerdings der »Nationalsozialismus« hier keine Beachtung findet, lässt den Leser etwas ratlos zurück.
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