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  • Beilage zur Buchmesse Frankfurt Main

Eine falsche Fliege

Leander Fischer fischt um des Fischens willen: »Die Forelle«

  • Michael Wolf
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ist eines der ungewöhnliches Debüts der Saison. Oftmals hangeln sich Autoren bei ihren ersten Büchern an den Eckpfeilern der eigenen Biografie entlang, was den Vorteil hat, dass sie ihr Material kennen und zu kontrollieren wissen, allerdings - so ein oft gehörter Vorwurf - auch den Nachteil, dass allzu oft nur das nicht besonders spannende Schicksal von Mittelschichtkindern in makellose Sätze gegossen wird.

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Leander Fischer: Die Forelle. Wallstein, 782 S., geb., 28 €.

Ganz anders Leander Fischer. Der 1992 im österreichischen Vöcklabruck geborene Autor hat im letzten Jahr beim Klagenfurter Bewerb den Deutschlandfunk-Preis gewonnen, nun reüssiert er mit einem Roman, dessen Umfang von fast 800 Seiten schon darauf hindeutet, dass Bescheidenheit nicht Fischers Sache ist. Da will es einer wissen, da geht einer aufs Ganze - und dieses Ganze ist, schon das eine wirklich gute Pointe, das ganz Kleine: eine Fliege. Wobei: Nein! Nicht die Fliege, sondern ihr Imitat steht im Zentrum, ist Dreh- und vor allem Angelpunkt dieses Romans, geht es in »Die Forelle« doch ums Fliegenfischen.

Der Ich-Erzähler Siegi Heehrmann hat am Mozarteum studiert, es aber trotz bester Aussichten nicht zu einer Karriere als Solist gebracht. Stattdessen verschlug es ihn als Musiklehrer in die oberösterreichische Provinz, wo er sich über die Jahre mehr und mehr von seiner Frau und den zwei Söhnen entfremdet. Seine ganze Leidenschaft gilt nun dem Fischen.

Siegi geht bei Ernstl in die Lehre, ein Säufer und Gentleman, vor allem die uneingeschränkte Autorität auf dem Gebiet des Fliegenbindens. Denn hierin liegt die wahre Kunst dieses Sports: nicht im Fangen von Forellen, sondern in der perfekten Imitation eines Insekts. Fischers Roman ist nicht zuletzt eine Meditation über die Mittel und Ziele von Literatur und Kunst.

Die Mimesis, die Nachahmung der Natur, galt seit der Antike als vornehmste Aufgabe der Kunst. Leander Fischer führt all die Bemühungen zu ihrer Vervollkommnung vor. Die künstlichen Fliegen mit schönen Namen wie Goldkopfnymphe, Ritz D oder Red Tac bestehen aus Plastikteilen, echtem Frauenhaar, dem Fell ertränkter Katzen oder den Drähten einer Stereoanlage, gestohlen aus dem Zimmer der Söhne. Es sind monströse Gebilde, zusammengesammelt aus einer Welt, auf der zu sein nur Sinn ergibt, wenn das finale Glück erreicht werden kann.

Siegi will der beste Fliegenfischer des Salzkammerguts werden, will Ernstl als »Fliegenbindepapst« ablösen. Was er als Musiker nicht erreicht hat, soll ihm nun beim Fischen gelingen. Um sich herum schart er eine Boheme aus Außenseitern, Althippies, Umweltschützern und in der Provinz gestrandeten Ästheten. Sie zetteln einen Kleinkrieg mit den alteingesessenen Dorfbewohnern an, die unsportlicherweise Zuchtfische in den Fluss setzen, um sich das Fangen zu erleichtern.

Ernstl und Siegi verfolgen gänzlich andere Ziele, mithin eine Ästhetik des L’art pour l’art, entlassen ihre Fische sogleich wieder ins Wasser, zählt für sie doch das Erlebnis, nicht das Ergebnis.

Dieser Losung folgt auch der Autor. Fischer erzählt nicht stringent an einer Handlung entlang, er springt durch die Zeiten und Stile, variiert Sprachrhythmus und Vokabular, lehnt sich oft an musikalische Motive an. Jeder seiner mitunter halbseitigen Sätze will eigentlich schon Roman sein: »Im Morgengrauen fischte Ernstl ein, zwei, manchmal auch drei Stunden, taufrisch und unverwunden kämpfte er sich fassadenklettersicher die jenseits des Dorfes gelegenen, verforsteten Böschungen hinab ans Wasser, hie und da an Lianen, Zweige und Büsche fassend, legte er sogleich Finger an seiner Stange Korkgriff und barfüßig Dutzende Meter stromaufwärts zurück, durchs grundgeschotterte Flussbett, mit hochgenadelten, sicherheitsgekrempelten Hosenbeinen, ins hodenkrebskalte Erregungsgewässer hinein ...«

Fischer verfolgt Mimesis als stilistisches Projekt, er sucht - und findet - für jede Szene, jedes Bild den passenden Rhythmus, versucht Siegis Streben nach Virtuosität zu beschreiben, indem er ganz zweifellos virtuos schreibt.

Diese formale Entscheidung hat aber einen Preis, sie geht zulasten des Erzählflusses. Er stockt, während der Text mal tröpfelt, dann wieder tost und peitscht. Wenig gibt es, an dem man sich hier festhalten könnte. Man fragt sich mitunter bang, wohin all das führen soll. In die Literatur, mag die Antwort lauten, nur immer weiter in die Literatur!

Fischer ersetzt die Welt durch ihre kunstvolle Beschreibung. Man mag das Selbstvertrauen des Debütanten bewundern oder angesichts seiner Hybris den Kopf schütteln. Als sicher gilt, dass von diesem Autor noch viel zu erwarten ist.

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