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Wenn man Macht hat

Der Hamburger G20-Gipfel als Antifamilienroman: «Sicherheitszone» von Katrin Seddig

  • Marit Hofmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Feuer, die Wut, die verzerrten Gesichter und ihre Posen, wie sie die Fäuste recken, wie sie sich inszenieren, als würden sie in einen Kampf ziehen. Und auf der anderen Seite die Rumstehenden, die Äugenden. Wenn du es dir genau ansiehst, dann hat jede Figur auf diesem Spielfeld eine andere Position, eine eigene Meinung dazu … Wie sollte man das jemandem erzählen, was hier passiert? Man müsste jede einzelne Geschichte jedes einzelnen Menschen erzählen.«

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Katrin Seddig: Sicherheitszone. Rowohlt Berlin, 416 S., geb., 24 €.

Zum Beispiel die Geschichte der Schriftstellerin Katrin, die nicht nur als Anwohnerin 2017 auf den Demonstrationen gegen den G20-Gipfel in Hamburg war: »Ich habe mich als Beobachterin gefühlt, die zwar inhaltlich hinter den Demos steht, aber nicht richtig beteiligt ist«, erzählte die »Taz Nord«-Kolumnistin ihrem Hausblatt. Sie spüre allerdings drei Jahre danach immer noch Wut in sich.

Nicht zuletzt, um Abstand von der Wucht der Ereignisse zu gewinnen, hat Katrin Seddig einen Roman vor dem Hintergrund der »Hamburger Chaostage« (diverse Krawallmedien) geschrieben, in dem sie wiederum die einzelnen Geschichten einer fünfköpfigen Familie erzählt. »Sicherheitszone« wirkt zunächst wie auf dem Reißbrett entworfen, die kleinste Zelle der Gesellschaft soll einander entgegengesetzte Positionen bereithalten: Der Adoptivsohn versucht mit »Das geht dich nichts an«-Haltung seine Pflicht als Polizist zu tun, unterdrückt seine wahren Gefühle und entwickelt immer mehr Hass auf »Zecken« wie seine an vorderster Front demonstrierende Schwester; den zunächst unpolitischen Vater reißt eine Ladung Pfefferspray, die er als Besitzer eines Ladens an der Sperrzone abbekommt, aus dem bürgerlichen Schlummer; der Mutter, die sich an einer kreativen Protestaktion beteiligt, verhilft das Erlebnis zu einem Neustart; die Großmutter schließlich lässt sich auf dem heimischen Sofa von Fernsehen und Springer-Presse in ihren Ressentiments gegen die linken »Chaoten« befeuern.

Die Autorin findet sich »nicht in einer einzelnen meiner Romanfiguren« wieder und kritisiert zu Recht, dass sich Interviews zu »Sicherheitszone« hauptsächlich um ihre eigene Meinung zu G20 drehen. Dennoch: »Vieles, was in dem Roman passiert, sind Erfahrungen, die ich persönlich gemacht oder mitbekommen habe.« Die späte Einsicht, dass »man systematisch Gesetze brechen kann und dafür nicht belangt wird, wenn man Macht hat«, hat sie mit dem Vater im Roman gemein, den die Polizeigewalterfahrung aus der Beobachterposition herauskatapultiert: »Er hatte die ganze Zeit gedacht, er könne außen vor bleiben, alles als Beobachter sehen, und sein eigener Irrtum wird ihm so kalt und klar, so höhnisch bewusst, als wäre er ein Irrtum nicht nur in diesem Moment, sondern seines ganzen Lebens.« Er gibt auf Seddigs Bühne die komische Figur, ein Trottel in der Midlife-Crisis in rosa Shorts und Badelatschen, der als Erster die Familie verlässt und ihr dann nachtrauert.

Öfter ist man versucht, die Autorin mit der Mutter, einer Kunsthistorikerin, zu identifizierten, deren ästhetischer Blick es ermöglicht, das Geschehen auf der Straße »in größere Zusammenhänge und geschichtliche Vorgänge einzuordnen« (Seddig) und eine Vorliebe für den Verfall zu entwickeln. Das bedeutet auch, dass sie sich keine Illusionen mehr über den Fortbestand der Familie macht. Doch auf Reflexion folgt Aktion: Die Mutter ringt um Sinn und eine eigene Haltung, um politisch aktiv werden zu können.

Obwohl die reaktionäre Ostpreußen-Omi als einzige der Figuren keine nennenswerte Entwicklung durchmacht, gehören ihre inneren Monologe, in denen sie sich in Kindheitserinnerungen und Kriegsassoziationen verheddert und schließlich ins Delirium driftet, literarisch zum Stärksten dieses Antifamilienromans. Erst im Kleinen, in der Introspektion und den Alltagsdetails, wenn ihr Personal nicht als Thesenvertreter herhalten muss, das teils Gedanken aus Seddigs Zeitungskolumnen diskutiert, läuft die Erzählerin zu gewohnt großer Form auf. Obwohl das medienwirksame G20-Thema dieser Autorin endlich die verdiente Aufmerksamkeit bringen dürfte, steht ihr die schnöde politische Realität bisweilen wie ein Wasserwerfer im Weg. Die Grobheit der großen Anlage nimmt Seddigs Stil etwas von seinem versponnenen Zauber. Doch immer wieder kann sie sich mit Witz und Empathie für ihre vereinsamten Figuren behaupten. Da kann ausgerechnet der Kauf eines Dessous Rebellion und Aufbruch verheißen. Oder das Schreiben eines Romans?

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