- Politik
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Losgelöst aus dem braunen Netz
Lukas Bals prägte einst die berüchtigte Dortmunder Naziszene. Doch er ist ausgestiegen. Was brachte ihn dazu?
Um zu verstehen, was für ein Typ Lukas Bals war, muss man fünf, sechs Jahre zurückblicken. 2014 und 2015 gehörten zu den Jahren, in denen die Dortmunder Neonaziszene so viel Aufmerksamkeit bekommen hat wie selten. Ein Grund dafür auch: die Aktivitäten von Bals. Miese Sprüche über das NS-Opfer Anne Frank, sich lustig machen über Mehmet Kubaşık, der vom NSU in Dortmund ermordet wurde, oder die Verhöhnung des Neonaziopfers Thomas Schulz, der 2005 von einem Nazi-Skinhead an der Dortmunder U-Bahn-Haltestelle Kampstraße erstochen wurde. Bals hat fröhlich mit seinen damaligen Kameraden Hassparolen geschrien.
Ein Foto von dem ehemaligen Neonazi ging sogar um die Welt. Es zeigt ihn am Abend der Kommunalwahl 2014, als die Partei Die Rechte in den Dortmunder Stadtrat einzog, mit einer Sektflasche in der Hand vor dem Rathaus. Kurz nachdem das Bild aufgenommen wurde, folgte eine Auseinandersetzung mit den Anhängern demokratischer Parteien. Mehr als ein Jahr später wird Lukas Bals wegen eines Faustschlags gegen eine Politikerin der Piratenpartei zu einer Geldstrafe von 800 Euro verurteilt. Es ist eins von vielen Strafverfahren, die gegen ihn zu dieser Zeit geführt werden.
Spricht man mit Lukas Bals heute über Ereignisse von damals, wird schnell klar, dass er sich dafür schämt, was er getan hat. Es fallen Sätze wie: »Ich war so bekloppt.« oder »Das war schlimm!« Lukas Bals ist seit dreieinhalb Jahren raus aus der extrem rechten Szene und wird heute von einem Aussteigerprogramm betreut. Jetzt geht er an die Öffentlichkeit. Auf YouTube und Twitter will er seine »Hassgeschichten« erzählen. Der Nächste im Aussteigergeschäft möchte Bals allerdings nicht werden. Er will kein Buch schreiben, um es zu vermarkten, sondern lediglich reinen Tisch machen, erklärt er. Über seine Vergangenheit aufklären. Immer, wenn er in den letzten Jahren Menschen kennengelernt hat, hätten sie früher oder später erfahren, was er so getrieben hat, erzählt Bals, entweder, weil er es erzählte oder sie im Netz drüber gestolpert sind. Manche hätten ihm geglaubt, dass er nichts mehr mit Nazis zu tun habe. Andere hätten sich abgewandt. Auch deswegen tritt er an die Öffentlichkeit. Lukas Bals positioniert sich jetzt gegen Extremismus und »ohne Ausnahme gegen Gewalt«. Doch wie kam dieser Wandel?
Die politische Biografie von Lukas Bals ist durchaus interessant. Begonnen hat alles 2010 beim linken, autonomen 1. Mai in Wuppertal. Freunde, die er vom Fußball kannte - er war Anhänger des FC Remscheid -, haben ihn dahin mitgenommen, weil dort »Action« sei. Ein bisschen rennen, Schubsereien mit der Polizei, das hat ihm gefallen. Inhalte der Linken habe er nicht viel mitgenommen, erzählt er. Er ist in der Zeit von Demo zu Demo gefahren, weil er dort das Abenteuer suchte. In einer linken Gruppe sei er aber nie gewesen. Im Rückblick sagt er, dass er für die Linksradikalen nicht »politisch korrekt« genug gewesen sei. Er sei ein »kompletter Macker« gewesen. Zur selben Zeit spitzten sich in Wuppertal die Auseinandersetzungen mit einer wachsenden, jungen Naziszene zu. Bals behauptet, Linke hätten einen Übergriff erfunden. Da habe es ihm gereicht. Eine der Nazi-Aktivistinnen habe er gekannt, zu ihr sei er gegangen und habe davon erzählt. Anschließend wechselte er die Seiten.
Die Rechtsradikalen nehmen ihn freundlich auf. »Ich habe mich da schnell heimisch gefühlt«, erzählt er. Dass Nazis »scheiße« sind, hat er nicht mehr geglaubt, nachdem er einige kennengelernt hatte. In Wuppertal arbeitet er sich in der Naziszene hoch. Wird bekannt, weil er auf Demos in der ersten Reihe steht und sich an Schlägereien beteiligt. Auch wegen einer, allerdings unpolitischen Schlägerei, muss er dann für neun Monate ins Gefängnis. Dort wird er von der Naziszene gestärkt. Es gibt viel Besuch, und weil er auf einer internationalen »Gefangenenliste« steht, gibt es zu Weihnachten Post aus der ganzen Welt. Die Nazis machen dies bewusst, um Leute bei der Stange zu halten, sagt Bals.
Nach der Haftentlassung taucht er wieder in die braune Szene ein, erst in Wuppertal, dann zieht es ihn 2014 nach Dortmund. In die Stadt mit der größten und auffälligsten Naziszene im Ruhrgebiet. Am Anfang sei das ein »Hochgefühl« gewesen. Er zieht in eines der Nazi-Häuser im Stadtteil Dorstfeld. Überall um ihn herum seien »Kameraden« gewesen. Er wird zum Aktivposten. Beteiligt sich an Aktionen und begleitet sie mit der Kamera und gehört zu den Kreativen in der Szene. Einem Lokaljournalisten übergeben die Nazis einen »Goldenen Pinocchio«, eine Idee von Bals. Als eine Neonazi-Kundgebung zeitgleich zum CSD stattfindet, schlägt er vor, die Wiedereinführung des Paragrafen 175 zu fordern. Das sind Provokationen, die sitzen. Zeitgleich bricht er alte Kontakte ab: »Privat habe ich in der Zeit alles eingerissen«, erzählt er. Seiner Familie hat das extrem rechte Engagement überhaupt nicht gefallen. Immer wieder gab es deshalb Streit.
Für Bals folgt bald der Absturz. Hausdurchsuchungen, Jobverluste, eine Trennung und Schulden. Er verkriecht sich in seiner Wohnung. Von den »Kameraden« bekommt er keine Unterstützung. Die Frage »Wie geht’s dir?« würden Nazis nur oberflächlich stellen. Immer gehe es darum, Stärke zu zeigen. Bals hat Selbstmordgedanken. Für einen Job bei einer von Rechten geführten Spedition in München verlässt er fluchtartig Dortmund. In Bayern bewegt er sich zwischen der Identitären Bewegung, Pegida, der Burschenschaft Danubia und der AfD. Auch wenn er aus der Partei Die Rechte kommt, die sich mehr oder weniger offen zum Nationalsozialismus bekennt, wird er bei diesen, sich gemäßigt gebenden Gruppierungen offen aufgenommen. Jetzt sagt er, ideologisch habe es da kaum Unterschiede gegeben. Auch in München beteiligt er sich an zahlreichen Aktionen. Als eine Antifa-Demo bei einer Wahlparty der AfD im September 2016 auftaucht, kommt es zu Auseinandersetzungen. Bals ist daran ebenso beteiligt wie Rechtsrapper Chris Ares. Seine letzte rechte Veranstaltung erlebt er im Frühjahr 2017, es ist ein Vortrag von Alexander Gauland. Im Rückblick sagt er, »das ist zu viel Hass gewesen«. Was dort gesagt wurde, hätte auf jede Nazidemo gepasst.
Lukas Bals flüchtet wieder. Er geht nach Mallorca, arbeitet dort in der Gastronomie und distanziert sich von der rechten Szene. Doch seine Vergangenheit begleitet ihn, Strafverfahren laufen weiter. Der staatliche Druck sei der Hauptantrieb für die Abwendung von der rechten Szene gewesen, sagt er heute. Seine alten »Kameraden« missbilligen seine Abkehr von der Szene. Dortmunder Nazis fotografieren ihn auf der spanischen Insel; von einem ehemaligen Mitglied der Kameradschaft Aachener Land wird er so schwer attackiert, dass er ins Krankenhaus muss.
Bals sucht Hilfe und nimmt Kontakt zu einem Aussteigerprogramm auf. Dort fängt er auch an, sich mit der rechten Ideologie auseinanderzusetzen, die er vertreten hat. Über den Nationalsozialismus habe er immer »viel gewusst«, als Nazi habe er dieses Wissen nur »umdrehen« und anders werten müssen. Heute schämt er sich für die rassistische Hetze gegen Geflüchtete, die er vertreten hat, sagt er. In seiner Neonazi-Zeit habe er keine Fakten an sich herangelassen.
Und jetzt? Was hilft aus der Sicht des ehemaligen Nazis gegen die rechte Gefahr? »Repression«, sagt er ganz schnell. Und die Naziumtriebe »nicht größer reden, als sie sind«. In Dortmund habe es oft viel Aufregung für Kleinigkeiten gegeben. Pfefferspray, das an Infoständen verteilt wurde, Rundgänge als »Stadtschutz«, dies habe man nur gemacht, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. »Ein paar Fotos und das war’s«, sagt er. Die Polizei müsse da einschreiten, wo Straftaten geschähen. Falsch sei es aber, den Rechten durch juristisch nicht haltbare Aktionen Propagandaerfolge schenken.
Im Gespräch sagt Bals heute immer wieder, dass er sich »gegen jeden Extremismus« wende. Er wolle auch nicht ins nächste Antifa-Café rennen und auspacken. Das wäre vielleicht auch unglaubwürdig. Was er aber machen möchte, ist erzählen, wie er Ereignisse erlebt hat. Wie Anerkennung in der Naziszene funktioniert, und wie der Staat und die Zivilgesellschaft weniger Angriffspunkte für Nazis bieten können. Hauptsächlich aber soll es »um meine Schuld gehen«, sagt er. Politisch betätigen will er sich »nie mehr«. Ein normaler Job, ein normales Leben. Das wünscht Lukas Bals sich für die Zukunft.
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