Indiens Bauern protestieren
Agrarreform bedroht Kleinbauern und soll Großkonzernen den Weg ebnen
Es war die zweite Gesprächsofferte der Regierung, die nun angenommen wurde - eine erste Konferenzeinladung vor einer Woche hatten die Vertreter der wütenden Bauern noch ausgeschlagen. Diesmal hatte Sanjay Agarwal, der Top-Bürokrat im Ministerium, zwar grundsätzlich Erfolg, dass beide Seiten sich zumindest trafen. Man wolle nicht als absolut sture Verweigerer dastehen, ließ das All India Kisan Sangharsh Coordinating Committee, die Dachorganisation von einigen der an der Spitze der Protestfront stehenden Verbänden, als Begründung verlauten. »Wir haben entschieden, auf das Angebot einzugehen. Aber die Proteste dauern an, und wir erwarten nicht viel von den Gesprächen«, wurde AIKSCC-Koordinator Darshan Pal von der Zeitung DNA India zitiert. Pal gehört auch der siebenköpfigen Delegation an, die Agarwal und seinem Team gegenübersaß. Laut dem Online-Nachrichtenportal The Print machten die AIKSCC-Anführer aber vorab deutlich, dass es ihnen um die komplette Rücknahme der Reform geht. Darüber hat ein Ministerialbeamter nicht einmal Verhandlungsbefugnis.
Seit die Regierung von Premier Narendra Modi und seiner hindunationalistischen Bharatiya Janata Party (BJP) am 14. September das wenig später beschlossene Paket der drei Gesetze erstmals im Parlament zur Debatte gestellt hatte, halten die Bauernproteste schon an, seit Anfang Oktober weiten sie sich immer mehr aus. Zwar stehen Punjab und Haryana, die beiden als Kornkammern des Landes geltenden Bundesstaaten nordwestlich von Delhi, im Fokus. Widerstandsaktionen gibt es aber auch in Bihar, Kerala, Maharashtra oder Karnataka. Die angenommene Gesprächseinladung hat zu Rissen in der gemeinsamen Front geführt. Denn die AIKSCC ist lediglich das Dach von 30 Verbänden im Punjab, die bisher besonders stark mobilisieren konnten. Landesweit sind aber über 260 bäuerliche Organisationen beteiligt. Dass ein koordinierendes Sprachrohr für alle bisher fehlt, ist trotz eindrucksvoller Bilder derzeit eine Schwäche der Bewegung. Die ist auch in ihren Beteiligten nicht einheitlich: Gerade im Punjab und Haryana gibt es etliche eher wohlhabendere Landwirte mit größeren Flächen, während der Rest des Landes in der Regel kleinbäuerlich strukturiert ist, viele Familien bewirtschaften nur zwischen einem und zehn Acre (0,4 Hektar).
Die Protestierenden sehen die Gesetze als Angriff auf das traditionelle System, als Einfallstor für große Konzerne im Agrarsektor. Dass im Punjab Tankstellen von Reliance (Ambani-Familie) besetzt und bei Großsilos von Adani die temporäre Einstellung des Betriebs erzwungen wurde, ist als direkter Angriff auf das sogenannte Big Business und dessen Ambitionen in der Landwirtschaft eine neue Komponente. Die Bauern fürchten in Zukunft eine Durchlöcherung des bisher über die Unionsstaaten koordinierten Systems staatlicher Aufkäufe von Reis, Weizen und Gemüse, ein Unterschreiten geltender Mindestpreise und einen Griff der Konzerne nach Landflächen im großen Stil. Diverse Oppositionsparteien unterstützen die Proteste.
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