Wärmewende aus der Tiefe

Beim Heizen sind fossile Brennstoffe noch führend. Geothermie könnte das ändern. Städte in Mecklenburg waren Pioniere bei der Nutzung in Deutschland.

  • Steffen Schmidt
  • Lesedauer: 4 Min.

Ob Deutschland nun bis 2035 oder 2050 klimaneutral werden will, in jedem Falle brauchen neben der Stromproduktion auch der Verkehr und die Gebäudeheizung andere Energiequellen. Derzeit kommt die Heizwärme in Deutschland gerade mal zu 15 Prozent aus klimaneutralen Quellen. Der Löwenanteil davon kommt aus der Verbrennung von Biomasse, einer letztlich auch begrenzten Ressource. Dieser Zustand ist fatal, denn Heizwärme macht knapp 85 Prozent des Energiebedarfs der Privathaushalte aus.

Ausgerechnet die Suche nach fossilen Brennstoffen - Erdöl und Erdgas - brachte zutage, dass eine Energiequelle auch hierzulande nutzbar ist, die man zuvor höchstens in Vulkangebieten wie Island oder Italien für ergiebig hielt: die Geothermie. Altbekannt ist, dass die Temperatur um circa drei Grad pro hundert Meter zunimmt, wenn man in die Tiefe vordringt. Doch bei den Erkundungsbohrungen nach Erdgas im sogenannten Norddeutschen Becken von Niedersachsen über Mecklenburg-Vorpommern bis nach Brandenburg zeigte sich, dass auch außerhalb vulkanischer Gebiete die Temperatur schneller zunehmen kann. So entstand 1984 das erste deutsche Geothermie-Kraftwerk in Waren an der Müritz. Für eine effiziente Stromerzeugung erwies sich der Standort mit seinem 60 Grad Celsius heißen salzigen Tiefenwasser allerdings letztlich als ungeeignet. Heute speist die Anlage nur noch das Fernwärmenetz der mecklenburgischen Stadt. Eine ähnliche Anlage entstand Ende der 1980er Jahre auch in Neustadt-Glewe.

Heikel ist der hohe Salzgehalt, weil dadurch Rohre und Wärmetauscher leicht korrodieren können. Zudem ist im heißen Wasser, das nach oben kommt, deutlich mehr Salz löslich, als im abgekühlten Wasser, das zurückgepumpt wird. So erinnert der Geowissenschaftler Jens Grimmer vom Karlsruher Institut für Technologie daran, dass bei einer Versuchsbohrung in Groß Schönebeck bei Berlin beim Rücklauf der Sole Salz ausfällte und die Rohre verstopfte.

Fossile Brennstoffe stehen auch an der Wiege eines Forschungsprojekts, das für den Berliner Raum erkunden soll, ob sich hier die Erdwärme stärker nutzbar machen lässt, oder ob sich wenigstens Wärme aus den Sommermonaten effektiv für die Heizung im Winter speichern ließe. Im Westen der Stadt, 1015 bis 1045 Meter unter dem Berliner Grunewald, wurde bis 2017 in der dortigen Sandsteinschicht Erdgas zwischengelagert, um den schwankenden Bedarf der Stadt zu decken. Wissenschaftler um Guido Blöcher vom Deutschen GeoForschungsZentrum GFZ in Potsdam nutzen den Rückbau des Erdgasspeichers für ein Projekt. Das soll klären, ob die 500 Meter über dem bisherigen Erdgasspeicher liegende Schicht aus Muschelkalk geeignet wäre, um Erdwärme zum Heizen von Gebäuden zu nutzen. Dort befinden sich zwei jeweils 15 Meter dicke Muschelkalkschichten mit sehr vielen Poren. Dieses Gestein ähnelt einem sehr harten Schaum. In dessen Poren steckt reichlich Wasser fest, das normalerweise nur entlang von Klüften fließen kann, die sich im Gestein bilden. Weil der Muschelkalk und auch das darin eingeschlossene Wasser unter dem Berliner Grunewald in einer Tiefe zwischen 500 und 550 Metern ungefähr 32 Grad warm sein sollte, könnte man die darin steckende Energie als Erdwärme nutzen. Und man könnte in diesem Schaumkalk auch im Sommer überflüssige Wärme für den Winter speichern. Anders als bei den Anlagen in Mecklenburg allerdings müsste man mit Hilfe von Wärmepumpen die Temperatur so weit erhöhen, dass sie im Fernwärmenetz nutzbar ist.

Wie gut sich eine solche Gesteinsschicht in der Tiefe nutzen lässt, hängt ganz entscheidend davon ab, wie viel Wasser im Karbonatgestein des Schaumkalks steckt und welche Mengen durch die dort unten natürlich entstandenen Klüfte strömen können. Der große Vorteil des Erdgasspeichers ist, dass man die vorhandenen Bohrungen für die Untersuchungen nutzen kann. Denn die Kosten für ein Bohrloch - bei den Anlagen in Mecklenburg über einen Kilometer, in Bayern gar bis zu sechs Kilometer tief - können leicht in die Millionen gehen. Und man braucht für eine Anlage wenigstens zwei.

Wie die am Projekt beteiligte Hydrochemikerin Simona Regenspurg in einer Mail an »nd« schreibt, liegt Berlin zwar ebenso im Norddeutschen Becken wie die bereits laufenden Geothermieanlagen in Mecklenburg, doch unterscheide sich die Tiefenwasserzusammensetzung erheblich. Wasser aus einer Muschelkalkschicht könne man nicht mit dem aus Keuperformationen vergleichen, wie es in den genannten Mecklenburger Anlagen genutzt wird. Die Unterschiede sind auch für die beim Bau verwendeten Materialien wichtig, da Wasser mit hohem Chloridgehalt andere Materialien angreift als solches mit hohem Kohlensäureanteil. Wichtig ist auch die Menge des Wassers, das aus den Klüften im Schaumkalk fließt. Ist der Durchfluss zu gering, lohnt es nicht. Auf das künstliche Aufbrechen des Gesteins - das umstrittene Fracking - will man verzichten.

Sollten die Ergebnisse zeigen, dass sich der poröse Muschelkalk gut als Erdwärmespeicher eignet, könnte das Verfahren auch im umliegenden Brandenburg genutzt werden. Auch dort liegt in ähnlicher Tiefe eine solche Muschelkalkschicht und auch dort existieren noch viele alte Bohrlöcher aus der Zeit der DDR-Erdgassuche.

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