Polarnacht erleuchtet
Nach 389 Tagen endet die größte Arktis-Forschungsexpedition aller Zeiten: Wir wissen nun mehr über den Polarwinter und das Geschehen unterm Eis. Und sehen es tauen
Es war nicht die erste Expedition, bei der Wissenschaftler im Eis durch das Polarmeer drifteten. Es war auch nicht die längste. Doch die Polarmeerdrift des deutschen Forschungsschiffs »Polarstern« war mit Abstand die größte, sowohl was die Zahl beteiligter Wissenschaftler angeht als auch die Vielfalt der Forschungsgebiete. Am Montag kam das Schiff mit dem Team des abschließenden Expeditionsabschnitts zurück in seinen Heimathafen Bremerhaven. Wurden bei den früheren sowjetischen Drift-Expeditionen Lager auf großen Eisschollen errichtet, diente diesmal das Schiff als Basislager für die Wissenschaftler. Der Forschungseisbrecher hatte sich dazu auf einer geeigneten Eisscholle einfrieren lassen, nachdem er am 20. September 2019 den norwegischen Hafen Tromsø Richtung zentrale Arktis verlassen hatte. Von da an sollten Route und Geschwindigkeit über ein Jahr lang einzig von Wind und Strömung des Polarmmeers unter dem Eis bestimmt werden.
Insgesamt 442 wissenschaftliche Fahrtteilnehmende, Crewmitglieder, Nachwuchsforschende, Lehrkräfte und Medienschaffende waren während der fünf Expeditionsabschnitte dabei. Sieben Schiffe, mehrere Flugzeuge sowie mehr als 80 Institutionen aus 20 Ländern beteiligen sich. Freilich war der Zweck der Expedition kein Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde. Angesichts der immensen Bedeutung der Nordpolarregion für das Klima wollte man Daten sammeln, die ein besseres Verständnis der komplexen Wechselwirkungen im Klimasystem zwischen Atmosphäre, Eis, Ozean und dem Leben ermöglichen. Die Ergebnisse sollen auch zur Verbesserung der Klimamodelle beitragen. Ein großer Teil der Arbeit - die Auswertung dieser Daten - steht noch bevor.
Den ursprünglichen Plan, den Kurs einzig von den Kräften der Natur steuern zu lassen, durchkreuzte allerdings die Corona-Pandemie. Im Frühsommer musste die »Polarstern« zum Teamtausch ihre Eisscholle zeitweilig verlassen. Ein neues Team nahm nach vier Wochen die Arbeiten auf der Eisscholle wieder auf und führte die Untersuchungen bis zu ihrem letzten Tag fort, als die Scholle wie vorhergesagt den Eisrand östlich von Grönland erreichte, unter dem Einfluss von Dünung und Wellen zerbrach und damit ihren typischen Lebenszyklus beendete. Um auch das Gefrieren des Meereises am Ende des Sommers zu erfassen, stieß die Expedition danach nach Norden vor und überquerte den Nordpol.
Eines wurde schon vor der detaillierten Datenauswertung deutlich. »Wir haben gesehen, wie das Eis der Arktis stirbt«, sagte Expeditionsleiter Markus Rex vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung bei der Rückkehr der »Polarstern«. Wenn wir die Klimaerwärmung nicht sofort und massiv bekämpfen, werde das arktische Eis im Sommer bald verschwunden sein, mit unabsehbaren Folgen für Wetter und Klima auch bei uns. nd
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